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Richard zog die Bänder an seinen Handgelenken zurecht. Darunter schwitzte seine Haut stets. »Da hast du recht, Drefan.«

Es war ihm gar nicht aufgefallen, aber er hatte sich an seine Umgebung gewöhnt. Seit er Kernland verlassen hatte, hatte er viele prunkvolle Orte gesehen. Sein eigenes Zuhause, damals in Kernland, war nicht annähernd so ansehnlich wie dieses einfache Zimmer, dennoch war er dort glücklich gewesen. Er war glücklich gewesen, ein Waldführer zu sein.

Aber wie Drefan sagte, mußte ein Mensch anderen helfen, denen auf keine andere Weise geholfen werden konnte. Er war dazu verdammt, Lord Rahl zu sein. Sein Ausgleich war Kahlan. Jetzt mußte er nur den Tempel der Winde finden, bevor alles verloren war.

Wenigstens hatte er eine Frau, die er mehr liebte, als er je für möglich gehalten hätte. Und jetzt hatte er auch einen Bruder.

»Drefan, weißt du, was Raug'Moss bedeutet?«

»Ich habe gelernt, daß es altes Hoch-D'Haran ist und ›Göttlicher Wind‹ bedeutet.«

»Sprichst du Hoch-D'Haran?«

Drefan strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Nur dieses eine Wort.«

»Wie ich hörte, bist du ihr Hohepriester. Du hast es weit gebracht, wenn du Anführer einer Gemeinschaft von Heilern geworden bist.«

»Ich habe nie ein anderes Leben kennengelernt. Hohepriester zu sein bedeutet allerdings meist, daß die anderen jemanden haben, dem sie die Schuld zuweisen können, wenn irgend etwas schiefläuft. Wenn jemand, dem wir zu helfen versuchen, sich nicht erholt, zeigen die Heiler auf mich und sagen: ›Er ist unser Anführer. Sprecht mit ihm.‹ Hohepriester zu sein bedeutet, daß ich Berichte und Aufzeichnungen lesen muß und bestürzten Anverwandten erkläre, daß wir nur Heiler sind und den Ruf des Hüters nicht ungeschehen machen können. Klingt beeindruckender, als es in Wahrheit ist.«

»Sicherlich übertreibst du. Ich bin stolz, daß du es so weit gebracht hast. Wer sind die Raug'Moss? Woher stammen sie?«

»Der Legende nach wurden die Raug'Moss vor Tausenden Jahren von Zauberern gegründet, deren Gabe das Heilen war. Dann begann die Gabe auszusterben, und Zauberer, besonders jene, die für das Heilen begabt waren, wurden immer seltener.«

Daraufhin erzählte Drefan Richard die Geschichte, wie die Gemeinschaft der Raug'Moss sich mit dem Aussterben der Zauberer zu verändern begonnen hatte. Besorgt, ihre Arbeit könnte mit ihnen aussterben, beschlossen die Zaubererheiler, Lehrlinge aufzunehmen, die nicht die Gabe besaßen. Mit der Zeit gab es immer weniger Zauberer, die die Arbeit beaufsichtigen konnten, bis vor langer Zeit schließlich der letzte Zauberer gestorben war.

Für Richard klang das ganz so, als lese er in Kolos Tagebuch. Denn auch in der Burg der Zauberer war es vor langer Zeit anders zugegangen. Damals war sie noch von Zauberern und ihren Familien bevölkert gewesen.

»Jetzt gibt es bei uns niemanden mehr mit der Gabe«, berichtete Drefan. »Die Raug'Moss haben viele Schlüsselbegriffe der Gesundheit und des Heilens gelernt, aber wir verfügen nicht annähernd über die Fähigkeiten der Zauberer von damals. Wir besitzen keine Magie, die uns hilft. Mit dem Wissen, das uns die wahren Heiler aus alter Zeit überliefert haben, tun wir, was wir können, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Es ist ein einfaches Leben, ein hartes Leben, aber es schenkt uns Belohnungen und Annehmlichkeiten, die weltlicher Besitz nicht bietet.«

»Verstehe. Es ist sicher ein nicht zu überbietendes Gefühl, Menschen zu helfen.«

Drefans Gesicht bekam einen neugierigen Ausdruck. »Und was ist mit dir? Mit deinen Fähigkeiten?«

Richard wich Drefans Blick aus. Seine Hand umfaßte das Heft seines Schwertes fester.

»Ich wurde als Kriegszauberer geboren«, sagte er leise. »Ich wurde zum fuer grissa ost drauka ernannt, das ist Hoch-D'Haran für ›Bringer des Todes‹.«

Im Zimmer kehrte Stille ein.

Richard räusperte sich. »Anfangs war ich darüber ziemlich bestürzt, aber seitdem habe ich begriffen, daß ein Kriegszauberer auch nur anderen helfen soll, indem er sie vor jenen beschützt, die Tyrannei verbreiten wollen. Vor Menschen wie unserem Bastardvater – Darken Rahl.«

»Ja«, sagte Drefan in die beklemmende Stille hinein. »Manchmal ist das Töten die beste Verwendung für unsere Fähigkeiten – um auf diese Weise ein Leben zu beenden, das keine Hoffnung kennt, nur Schmerz, oder um ein Leben zu beenden, das anderen nichts anderes bringt als Leid.«

Richard rieb mit dem Daumen über die Symbole auf dem silbernen Band an seinem Handgelenk. »Ja, jetzt verstehe ich, was du meinst. Ich glaube, früher war das bei mir anders. Wir sind beide gezwungen, Dinge zu tun, die uns nicht gefallen, die aber getan werden müssen.«

Drefan lächelte dünn. »Im Gegensatz zu meinen Heilern haben das nicht viele je begriffen. Ich bin froh, daß du zu letzteren gehörst. Manchmal ist das Töten ein Akt größter Nächstenliebe. Ich bin sehr vorsichtig, wem gegenüber ich diese Worte ausspreche. Gut zu wissen, daß mein Bruder sie versteht.«

»Das gilt für mich genauso, Drefan.«

Bevor Richard weitere Fragen stellen konnte, wurden sie von einem Klopfen unterbrochen. Raina streckte den Kopf zur Tür herein. Ihr langer, dunkler Zopf fiel nach vorn über ihre Schulter.

»Was gibt's, Raina?«

Raina verdrehte die Augen und deutete auf jemanden hinter ihr.

»Nadine wünscht Euch zu sprechen. Irgend etwas scheint sie ganz aus der Fassung gebracht zu haben, und sie will nur mit Euch reden.«

Auf Richards Zeichen hin öffnete die Mord-Sith die Tür ein wenig weiter, und Nadine schob sich, blind gegen Rainas tadelnden Blick, herein.

»Richard, du mußt mit mir kommen.« Sie faßte seine Hand mit beiden Händen. »Bitte! Bitte, Richard, kommst du mit? Da ist jemand, der dich dringend sprechen muß.«

Sie schien ehrlich besorgt zu sein und zerrte an seiner Hand. »Bitte, Richard.«

Richard war noch immer auf der Hut. »Was dagegen, wenn ich Drefan mitnehme?«

»Natürlich nicht. Ich wollte dich sowieso darum bitten.«

»Gehen wir also, wenn es wirklich wichtig ist.«

Sie hielt seine Hand fest und zog ihn hinter sich her.

28

Richard bemerkte Kahlan, die ihm in der Vorhalle entgegenkam. Sie runzelte die Stirn, als sie sah, daß Nadine ihn an der Hand hinter sich herzog. Drefan, Raina, Ulic und Egan folgten ihm auf dem Fuße; alle zusammen bahnten sich den Weg durch das Palastpersonal und die patrouillierenden Soldaten.

Nadine warf Kahlan einen zornigen Blick zu, bevor sie in den Korridor einbog, der zu ihrem Zimmer führte. Richard fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Gereizt zog er seine Hand mit einem Ruck aus ihrem Griff, lief ihr aber weiter hinterher. Nadine steuerte um einen Walnußholztisch an der Wand herum, der unter einem alten Wandteppich stand, auf dem eine Herde weißschwänziger Hirsche vor schneebedeckten Bergen im Hintergrund zu sehen war. Sie warf einen prüfenden Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Richard ihr noch folgte.

Kahlan und Cara holten sie ein. Die Mutter Konfessor gesellte sich zum Sucher.

»Also«, meinte Cara von hinten und strich sich über ihren Zopf, »wenn das kein interessanter Anblick ist.«

Richard warf ihr einen verärgerten Blick zu. Nadine drehte sich um und griff ungeduldig erneut nach seiner Hand.

»Du hast es mir versprochen. Komm weiter.«

»Versprochen habe ich gar nichts. Ich sagte, ich begleite dich«, protestierte Richard. »Ich sagte nicht, ich würde rennen.«

»Der große, starke Lord Rahl kann mit mir nicht Schritt halten?«, spottete Nadine. »Der Waldführer, den ich von früher kannte, konnte selbst im Halbschlaf schneller laufen.«

»Ich bin im Halbschlaf«, murrte er.

»Die Wachen sagten mir, du seist zurück und zu Drefan gegangen«, flüsterte Kahlan ihm zu. »Ich war gerade unterwegs dorthin, um dich zu treffen. Was hat diese Prozession zu bedeuten?«

In ihrer geflüsterten Frage schwang Verärgerung mit. Er sah, daß sie kurz auf Nadines Hand schielte, die seine fest umklammert hielt.