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An Kreuzungen jubelten Soldaten auf Patrouille ihrem Lord Rahl zu und bedankten sich lautstark für ihre Heilung.

Richard hielt Kahlan fest an der Hand. Seit Verlassen des Palastes hatten sie kein einziges Wort gesprochen. Er hatte Nadine gezwungen, hinter ihnen zu gehen, zwischen den beiden Mord-Sith. Er hoffte, daß die Frau klug genug war, den Mund zu halten.

Yonick zeigte nach vorn. »Gleich da hinauf.«

Sie folgten ihm, als er von der Straße in eine enge Gasse zwischen Steinmauern einbog, die das untere Stockwerk eines Hauses bildeten. Wasser, das vom tauenden Schnee oben herabtröpfelte, spritzte den Matsch aus der Gasse ein paar Fuß hoch an die Mauern. Mit einer Hand hatte Kahlan Richards Hand gefaßt, mit der anderen hielt sie den Saum ihres Kleides hoch und folgte ihm über die Reihe von Bohlen, die man in den Schlamm gelegt hatte.

Vor einer Tür unter einem kleinen Vordach blieb Yonick stehen. Die Menschen zu beiden Seiten sahen neugierig aus den Fenstern. Als Richard ihn eingeholt hatte, öffnete der Junge die Tür und rannte, nach seiner Mutter rufend, die Stufen hoch.

Am oberen Ende der Treppe öffnete sich quietschend eine Tür. Eine Frau in einem braunen Kleid mit weißer Schürze starrte dem Jungen entgegen, der die Treppe hochgelaufen kam.

»Mutter – es ist Lord Rahl! Ich habe Lord Rahl mitgebracht!«

»Den Guten Seelen sei Dank!« rief sie.

Sie legte ihrem Sohn erschöpft eine Hand auf den Rücken, als er ihr die Arme um die Hüfte schlang. Mit der anderen Hand deutete sie auf eine Tür im Hintergrund des kleinen, als Küche, Eß- und Wohnzimmer genutzten Raumes.

»Danke, daß Ihr gekommen seid«, sagte sie undeutlich zu Richard, brach aber in Tränen aus, bevor sie den Satz beenden konnte.

Yonick rannte ins hintere Zimmer. »Hier entlang, Lord Rahl.«

Richard drückte der Frau im Vorbeigehen den Arm, um sie zu beruhigen, und folgte Yonick. Kahlan hielt seine andere Hand noch immer fest umklammert. Nadine und Drefan folgten ihnen auf dem Fuße, dahinter Cara und Raina. Als die übrigen hereinkamen, hielt Yonick sie an der Schlafzimmertür zurück.

Eine einzelne Kerze auf einem kleinen Tisch kämpfte fast vergeblich gegen das Leichentuch der Dunkelheit an. Eine Schüssel mit Wasser und einem seifigen Lappen hielt neben der Kerze Wache.

Der Rest des Zimmers, das größtenteils von drei Strohlagern eingenommen wurde, schien nur darauf zu lauern, daß die Bemühungen der Kerze erlahmten und die Nacht von dem Zimmer Besitz ergreifen konnte.

Auf dem hintersten Strohlager lag eine schmächtige Gestalt. Richard, Kahlan, Nadine und Drefan drängten sich um sie. Yonick und seine Mutter, Silhouetten im Licht aus dem Nebenraum, standen am Rand der Dunkelheit und sahen zu.

Im Zimmer roch es nach verfaultem Fleisch.

Drefan schlug die Kapuze seines flachsenen Gewandes zurück. »Öffnet die Läden, damit ich etwas erkennen kann.«

Cara zog beide Läden auf, schob sie gegen die Wand und ließ Licht in das winzige Zimmer, so daß man einen blondschöpfigen Jungen sehen konnte, der bis zum Hals in ein weißes Laken und eine Decke eingehüllt war. Sein Hals war stark angeschwollen. Sein ungleichmäßiger Atem rasselte.

»Wie heißt er?« rief Drefan nach hinten zur Mutter.

»Kip«, weinte sie jämmerlich.

Drefan tätschelte dem Jungen die Schulter. »Wir sind hier, um dir zu helfen, Kip.«

Nadine drängte sich dazwischen. »Ja, Kip, wir werden dich im Nu wieder auf den Beinen haben.«

Sie legte die Hand wegen des fauligen Gestanks, der ihnen allen den Atem raubte, über Nase und Mund.

Der Junge reagierte nicht. Er hielt die Augen geschlossen. Das verschwitzte Haar klebte ihm auf seiner Stirn.

Der Hohepriester der Raug'Moss schlug die Bettdecke bis zu Kips Hüften auf, bis unterhalb der Hände, die auf seinem Bauch ruhten. Die Fingerspitzen des Jungen waren schwarz.

Drefan versteifte sich. »Gütige Seelen«, entfuhr es ihm kaum hörbar.

Er ließ sich auf die Fersen zurücksinken und tippte mit dem Handrücken gegen die Beine der beiden Mord-Sith, die sie von hinten überragten.

»Schafft Richard hier raus«, drängte er sie leise. »Schafft ihn raus, sofort.«

Ohne Fragen zu stellen, schoben Cara und Raina ihre Hände unter Richards Arme und schickten sich an, ihn hochzuzerren. Richard befreite sich mit einem Ruck aus ihrem Griff.

»Was soll das?« wollte er wissen. »Was ist?«

Drefan wischte sich mit der Hand über den Mund. Er blickte über die Schulter zu Yonick und seiner Mutter. Sein Blick erfaßte die übrigen und kam dann auf Richard zur Ruhe. Er beugte sich weiter vor.

»Der Junge hat die Pest.«

Richard starrte ihn an.

»Was haben wir, um ihn heilen zu können?«

Drefan zog die Augenbrauen hoch. Er wandte sich wieder dem Jungen zu und hielt eine seiner kleinen Hände hoch. »Sieh dir seine Finger an.« Sie waren schwarz. Er zog die Bettdecke zur Seite. »Sieh dir seine Zehen an.« Die waren ebenfalls schwarz. Er öffnete die Hose des Jungen. »Sieh dir seinen Penis an.« Auch dessen Spitze war schwarz.

»Das ist Brand. Er zersetzt die Gliedmaßen. Deswegen nennt man diese Krankheit den Schwarzen Tod.«

Richard räusperte sich. »Was können wir für ihn tun?«

Drefan senkte die Stimme noch mehr. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe, Richard? Der Schwarze Tod. Manchmal erholen sich Menschen wieder von der Pest, aber nicht, wenn die Krankheit so weit fortgeschritten ist.«

»Wären wir eher zu ihm gekommen…« Nadine ließ ihren Vorwurf unbeendet.

Kahlans Hand krallte sich in Richards Arm. Er hörte, wie sie einen Aufschrei unterdrückte.

Richard funkelte Nadine wütend an. Sie wendete den Blick ab.

»Und, Kräuterfrau, weißt du, wie man die Pest kuriert?« fragte Drefan voller Spott.

»Na ja, ich –« Nadine wurde rot und verstummte.

Die Lider des Jungen öffneten sich flatternd. Er wälzte den Kopf in ihre Richtung.

»Lord … Rahl«, hauchte er flach atmend.

Richard legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, Kip. Ich bin gekommen, um mir dich anzusehen. Ich bin hier.«

Kip nickte kaum merklich. »Ich habe schon gewartet.« Seine Brust hielt nach jedem Atemzug länger inne.

»Was könnt Ihr tun, um ihm zu helfen?« hörten sie eine tränenvolle Frage von der Tür. »Wann wird er wieder gesund werden?«

Drefan öffnete den Kragen seines weißen Rüschenhemdes und beugte sich noch näher zu Richard. »Sag irgend etwas Nettes zu dem Jungen – mehr können wir nicht tun. Er wird nicht mehr lange durchhalten. Ich gehe und spreche mit der Mutter. Das gehört zur Arbeit eines Heilers dazu.«

Sein Halbbruder erhob sich und zog Nadine mit sich fort. Kahlan lehnte sich an Richards Schulter. Er hatte Angst, sie anzusehen, weil sie dann in Tränen ausbrechen könnte. Weil er dann in Tränen ausbrechen könnte.

»Bald bist du wieder auf den Beinen und wirst Ja'La spielen, Kip. Du hast die Krankheit so gut wie überstanden. Ich würde gerne kommen und mir eins deiner Ja'La-Spiele ansehen. Ich verspreche dir, ich komme, sobald es dir wieder bessergeht.«

Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen. Seine Lider schlossen sich halb. Sein Brustkorb senkte sich, als der Atem aus seinen Lungen wich.

Richard hockte da und lauerte klopfenden Herzens darauf, daß die Lungen des Jungen sich wieder füllten. Sie taten es nicht.

Stille senkte sich über das Zimmer und wartete geduldig darauf, daß es wieder dunkel wurde.

Richard hörte von draußen das Quietschen der Räder eines Handkarrens und das ferne, heisere Geschrei von Raben. Helles Kinderlachen wehte in der Luft vorbei.

Das Kind vor ihm würde nie wieder lachen.

Kahlans Kopf fiel gegen seine Schulter. Leises Schluchzen überkam sie, während sie sich in seinen Ärmel krallte.

Richard zog das Laken über den toten Körper.

Langsam hob sich die Hand des Jungen von seinem Bauch. Richard erstarrte.

Die Hand schwebte zielbewußt auf Richards Kehle zu. Die schwarzen Finger krümmten sich und krallten sich mit tödlich festem Griff in Richards Hemd.

Kahlan erstarrte.

Sie beide wußten, daß der Junge gerade eben gestorben war.

Die Hand des Jungen zog Richard näher heran. Die längst verstummten Lungen füllten sich noch einmal mit einem Atemzug.

Richard, dem sich die Nackenhaare sträubten, ging mit seinem Ohr ganz nahe heran.

»Die Winde«, flüsterte der tote Junge, »machen Jagd auf dich.«