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Die Hand schwebte zielbewußt auf Richards Kehle zu. Die schwarzen Finger krümmten sich und krallten sich mit tödlich festem Griff in Richards Hemd.

Kahlan erstarrte.

Sie beide wußten, daß der Junge gerade eben gestorben war.

Die Hand des Jungen zog Richard näher heran. Die längst verstummten Lungen füllten sich noch einmal mit einem Atemzug.

Richard, dem sich die Nackenhaare sträubten, ging mit seinem Ohr ganz nahe heran.

»Die Winde«, flüsterte der tote Junge, »machen Jagd auf dich.«

29

Richard starrte benommen geradeaus, während Drefan den toten Jungen in ein Laken schlug. Nur Richard und Kahlan hatten gesehen, was passiert war – hatten gehört, was der tote Junge gesagt hatte. Hinter ihm, im vorderen Zimmer, jammerte die Mutter.

Drefan beugte sich nah an ihn heran. »Richard.« Drefan berührte seinen Arm. »Richard.«

Richard erschrak. »Was?«

»Was willst du tun?«

»Tun? Wie meinst du das?«

Drefan sah über die Schulter und betrachtete die anderen hinten an der Tür. »Was willst du den Leuten erzählen? Er ist an der Pest gestorben. Willst du das geheimhalten?«

Richard schien seine Gedanken nicht ordnen zu können.

Kahlan schob sich an ihm vorbei. »Geheimhalten? Warum?«

Drefan holte tief Luft. »Nun ja, die Nachricht von einer Pestepidemie könnte eine Panik auslösen. Wenn wir die Leute davon unterrichten, glaubt mir, dann hat die Nachricht den Palast schneller erreicht als wir.«

»Glaubt Ihr, andere haben sich ebenfalls angesteckt?« wollte sie wissen.

Drefan zuckte die Achseln. »Ich bezweifele, daß wir es nur mit einem Einzelfall zu tun haben. Wir müssen den Leichnam sofort vergraben oder verbrennen. Seine Bettdecke, das Bett und alles, womit er sonst in Berührung gekommen ist, sollte auch verbrannt werden. Das Zimmer sollte ausgeräuchert werden.«

»Werden die Leute nicht wissen wollen, was hier vor sich geht?« fragte Richard. »Werden sie nicht von selbst darauf kommen?«

»Wahrscheinlich.«

»Wie können wir es dann geheimhalten?«

»Du bist Lord Rahl. Dein Wort ist Gesetz. Du müßtest sämtliche Informationen zurückhalten. Die Familie verhaften. Sie eines Verbrechens beschuldigen. Nimm sie in Gewahrsam, bis diese Geschichte vorüber ist. Lasse ihre gesamten Habseligkeiten von Soldaten fortschaffen und verbrennen und ihr Haus versiegeln.«

Richard rieb sich die Augen mit den Fingerspitzen. Er war der Sucher der Wahrheit und nicht deren Unterdrücker.

»Das können wir einer Familie, die gerade einen Sohn verloren hat, nicht antun. Das werde ich nicht tun. Wäre es außerdem nicht besser, wenn die Leute Bescheid wüßten? Haben die Menschen kein Recht darauf zu erfahren, in welcher Gefahr sie schweben?«

Drefan nickte. »Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich wollen, daß die Menschen Bescheid wissen. Ich habe die Pest bereits kennengelernt, in kleinen Orten. In einigen versuchte man, die Kunde davon zu unterdrücken, um eine Panik zu vermeiden, als jedoch immer mehr Menschen zu sterben begannen, ließ sie sich nicht mehr geheimhalten.«

Richard fühlte sich, als sei der Himmel über ihm eingestürzt. Er kämpfte darum, seine Gedanken zu ordnen, doch die Worte des toten Jungen hallten ihm immer wieder durch den Kopf. Die Winde machen Jagd auf dich.

»Wenn wir versuchen, die Menschen zu belügen, werden sie uns gar nichts mehr glauben. Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen. Sie haben ein Recht darauf.«

»Richard hat recht«, stimmte Kahlan zu. »Wir sollten nicht versuchen, die Menschen zu täuschen, erst recht nicht in einer Angelegenheit, die sie das Leben kosten kann.«

Drefan bestätigte mit einem Nicken, daß er derselben Ansicht war. »Wenigstens haben wir Glück mit der Jahreszeit. In der Hitze des Sommers wütet die Pest am schlimmsten. Hätten wir jetzt Sommer, könnte es sein, daß sie wild um sich greift. Im kälteren Frühlingswetter dürfte sie sich nicht so schnell ausbreiten. Mit etwas Glück handelt es sich um einige wenige Fälle, die bald ausgestanden sind.«

»Mit etwas Glück«, wiederholte Richard murmelnd. »Glück ist etwas für Träumer, und ich habe nur Alpträume. Wir müssen die Menschen warnen.«

Drefan blickte einen nach dem anderen mit seinen blauen Augen an. »Ich verstehe, und ich stimme deinen Überlegungen zu. Viel können wir allerdings nicht tun, außer die Toten rasch zu verscharren und ihre Habseligkeiten zu verbrennen. Es gibt Heilmittel, aber ich fürchte, sie sind nur von begrenztem Wert.

Ich will dich nur warnen: Die Nachricht von einer Pestepidemie wird sich verbreiten wie ein Feuersturm.«

Richard bekam eine kribbelnde Gänsehaut.

Mit dem roten Mond wird der Feuersturm kommen.

»Mögen die Guten Seelen uns das ersparen«, flüsterte Kahlan. Ihr ging das gleiche durch den Kopf wie ihm.

Richard sprang auf. »Yonick.« Er ging durch das Zimmer, damit der Junge nicht gezwungen war, sich seinem toten Bruder zu nähern.

»Ja, Lord Rahl?« Seine Stirn legte sich in Falten, als er sich bemühte, seine Tränen zurückzuhalten.

Richard stellte ein Knie auf den Boden und nahm den Jungen bei den Schultern.

»Es tut mir so leid, Yonick. Wenigstens leidet dein Bruder nicht mehr. Er ist jetzt bei den Guten Seelen und ruht in Frieden. Sicherlich hofft er, daß wir uns an die schönen Zeiten mit ihm erinnern und nicht traurig sind. Die Guten Seelen werden über ihn wachen.«

Yonick wischte sich das blonde Haar auf Seite. »Aber … ich…«

»Ich will nicht, daß du dir Vorwürfe machst. Niemand hätte etwas für ihn tun können. Niemand. Manchmal werden Menschen krank, und keiner von uns hat die Macht, sie wieder gesund zu machen. Niemand hätte irgend etwas ausrichten können. Selbst wenn du mich gleich zu Anfang geholt hättest.«

»Aber Ihr habt Magie.«

Richard war zutiefst verzweifelt. »Für einen solchen Fall nicht«, erwiderte er leise.

Er nahm Yonick einen Augenblick lang in die Arme. Im Zimmer nebenan weinte sich die Mutter an Rainas Schulter aus. Nadine war damit beschäftigt, ein paar Kräuter für die Frau zusammenzustellen und ihr Anweisungen für die Anwendung zu geben. Die Frau an Rainas Schulter nickte und hörte schluchzend zu.

»Ich brauche deine Hilfe, Yonick. Ich muß die anderen Jungs aus der Ja'La-Mannschaft aufsuchen. Kannst du mich dahin bringen, wo sie wohnen?«

Yonick wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. »Warum denn?«

»Ich fürchte, sie können auch krank werden. Das müssen wir wissen.«

Der Junge drehte sich sichtlich besorgt zu seiner Mutter um. Richard gab Cara ein Zeichen.

»Wo ist dein Vater, Yonick?«

»Er ist ein Filzmacher. Er arbeitet die Straße runter, und dann die dritte rechts. Jeden Tag ist er bis spät in den Abend bei der Arbeit.«

Richard erhob sich. »Cara, schickt ein paar Soldaten los, die Yonicks Vater holen sollen. Er sollte jetzt hier bei seiner Frau sein. Sorgt dafür, daß ein paar Soldaten für heute und morgen seinen Platz einnehmen und aushelfen, so gut sie können, damit seiner Familie der Verdienst nicht verlorengeht. Sagt Raina, sie soll bei der Mutter bleiben, bis Yonicks Vater zu Hause ist. Das dürfte nicht lange dauern, anschließend kann sie nachkommen.«

Am Fuß der Treppe faßte Kahlan ihn am Arm, hielt ihn zurück und bat Drefan und Nadine, draußen bei Yonick zu warten, solange Cara unterwegs war, um seinen Vater zu suchen. Kahlan schloß die Tür zur Gasse, so daß sie unten im düsteren Treppenhaus mit Richard alleine war.

Sie wischte sich die Tränen mit zitternden Fingern von den Wangen. Aus ihren grünen Augen rannen immer neue.

»Richard.« Sie schluckte und rang keuchend nach Atem. »Ich wußte nichts davon, Richard. Da war Marlin, und diese Schwester der Finsternis … Ich hatte ja keine Ahnung, daß Yonicks Bruder so krank war, sonst hätte ich niemals –«

Richard hob die Hand, damit sie schwieg. Er sah ihr jedoch an dem verängstigten Blick an, daß es seine finstere Miene war, die sie hatte verstummen lassen.

»Wage nicht zu glauben, dich wegen Nadines grausamer Lügengeschichten erklären zu müssen. Wage es ja nicht. Ich kenne dich, und ich würde niemals so etwas von dir denken. Niemals.«