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Sie schloß erleichtert die Augen und ließ sich an seine Brust sinken. »Der arme Junge«, weinte sie.

Er strich ihr über das lange braune Haar. »Ja, ich weiß.«

»Wir haben beide gehört, was der Junge nach seinem Tod gesagt hat, Richard.«

»Noch ein warnendes Zeichen dafür, daß der Tempel der Winde geschändet wurde.«

Sie schob sich von ihm zurück. Ihre grünen Augen suchten seine.

»Wir müssen jetzt alles noch einmal überdenken, Richard. Was du mir über den Tempel der Winde erzählt hast, stammt aus einer einzigen Quelle, und die ist nicht einmal offiziell. Es handelt sich bloß um ein Tagebuch eines einzelnen, der sich damit die Zeit vertrieben hat, während er die Sliph bewachte. Davon abgesehen hast du es nur in Auszügen gelesen, und es ist auf Hoch-D'Haran, was sich nur schwer genau übersetzen läßt. Vielleicht hast du aus dem Tagebuch eine falsche Vorstellung von diesem Tempel der Winde gewonnen.«

»Na ja, ich weiß nicht, ob ich dir zustimmen würde, daß –«

»Du bist todmüde. Du denkst nicht nach. Jetzt kennen wir die Wahrheit. Der Tempel der Winde versucht überhaupt nicht, eine Warnung zu schicken – er versucht, dich zu töten!«

Richard zögerte, als er die Sorge in ihrem Gesicht sah. Er sah nicht nur den Kummer in ihren Augen, sondern auch die Sorge um ihn.

»Bei Kolo klang das ganz anders. Nach allem, was ich gelesen habe, glaube ich, der rote Mond ist eine Warnung, daß der Tempel der Winde geschändet wurde. Als damals der rote Mond zu sehen war –«

»– schrieb Kolo, alles sei in Aufruhr gewesen. Über den Aufruhr hat er sich nicht näher ausgelassen, stimmt's? Vielleicht deswegen, weil der Tempel versuchte, sie umzubringen. Kolo schrieb, die Mannschaft, die den Tempel der Winde fortgeschickt hat, habe sie verraten.

Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Richard. Dieser Junge hat gerade eine Warnung des Tempels der Winde überbracht: ›Der Wind macht Jagd auf dich.‹ Wenn man Jagd auf etwas macht, dann will man es töten. Der Tempel der Winde macht Jagd auf dich – und versucht dich zu töten.«

»Warum hat er dann nicht mich, sondern den Jungen getötet?«

Darauf wußte sie keine Antwort.

Draußen auf der Gasse beobachtete Drefan aus seinen blauen Darken-Rahl-Augen, wie Richard und Kahlan über die Bohlen im Schlamm zurückkamen. Es schien, als gewährten diese Augen einen Einblick in seine Gedanken. Vermutlich mußten Heiler scharfe Menschenbeobachter sein, diese Augen aber gaben Richard ein Gefühl von Nacktheit. Wenigstens konnte er in ihnen keinerlei Magie erkennen.

Nadine und Yonick warteten in stummer Sorge. Richard flüsterte Kahlan zu, sie solle bei Drefan und Yonick warten. Er faßte Nadine am Arm.

»Nadine, würdest du mich einen Augenblick begleiten, bitte?«

Sie sah ihn strahlend an. »Sicher, Richard.«

Er half ihr die Stufen zum Treppenhaus hoch. Während Richard die Tür schloß, war sie damit beschäftigt, nervös ihr Haar zu richten.

Als die Tür geschlossen war, drehte er sich zu der lächelnden Nadine um und stieß sie krachend mit dem Rücken gegen die Wand, so fest, daß ihr die Luft wegblieb.

Sie stieß sich von der Wand ab. »Richard –«

Er packte sie bei der Kehle, stieß sie noch einmal gegen die Wand und hielt sie dort fest.

»Du und ich, wir wollten niemals heiraten.« Die Magie des Schwertes, sein Zorn, übertrug sich auf seine Stimme. Sie strömte durch seine Adern. »Wir wollten niemals heiraten. Ich liebe Kahlan. Ich werde Kahlan heiraten. Es gibt nur einen einzigen Grund, daß du noch hier bist: Irgendwie bist du in diese Geschichte verwickelt. Du wirst erst einmal bleiben, bis wir uns Klarheit verschaffen.

Ich kann dir verzeihen, was du mir angetan hast, und habe es bereits getan, aber solltest du noch einmal voller Absicht etwas so Grausames und Verletzendes zu Kahlan sagen, wirst du den Rest deines Lebens unten in der Grube verbringen. Hast du mich verstanden?«

Nadine legte zärtlich ihre Finger auf seinen Unterarm. Sie lächelte geduldig, so als wäre sie überzeugt, er sei unfähig, die Situation ganz zu erfassen, und sie würde ihm gleich ihre vernünftige Sichtweise nahebringen.

»Ich weiß, du bist jetzt aufgebracht, Richard, das sind wir alle, aber ich wollte dich nur warnen. Ich wollte nicht, daß du nicht über den Vorfall unterrichtet bist. Du solltest die Wahrheit wissen über das, was sie –«

Er stieß sie abermals krachend gegen die Wand. Er versuchte, sich zu zügeln, um ihr verständlich machen zu können, daß er mehr als verärgert war und daß er meinte, was er sagte.

»Ich weiß, du hast auch Gutes in dir, Nadine. Ich weiß, Menschen sind dir nicht gleichgültig. Damals in Kernland waren wir Freunde, also werde ich es bei einer Warnung bewenden lassen. Und du solltest ernst nehmen, was ich sage. Es gibt Ärger. Eine Menge Menschen werden Hilfe brauchen. Du hast den Menschen immer helfen wollen. Ich gebe dir Gelegenheit, genau das zu tun.

Aber Kahlan ist die Frau, die ich liebe, und die Frau, die ich heiraten werde. Ich lasse nicht zu, daß du etwas daran änderst oder versuchst, ihr weh zu tun. Wage nicht einmal, auch nur daran zu denken, mich in diesem Punkt auf die Probe zu stellen, sonst suche ich mir eine andere Kräuterfrau, die mir hilft. Hast du das begriffen?«

»Ja, Richard. Was immer du sagst. Ich verspreche es. Wenn du sie wirklich willst, dann mische ich mich nicht ein, gleich, wie verkehrt –«

Er hob den Zeigefinger. »Du stehst mit den Zehen bereits auf der Linie, Nadine. Einen Schritt weiter, und es gibt, das schwöre ich dir, kein Zurück mehr.«

»Ja, Richard.« Sie lächelte auf eine verständnisvolle, geduldige, leidgeplagte Weise. »Was immer du sagst.«

Sie schien sich damit zufriedenzugeben, daß er ihr zugehört hatte. Sie erinnerte ihn an ein Kind, daß sich unartig benahm, um die geliebten Eltern auf sich aufmerksam zu machen. Er funkelte sie wütend an, bis er sicher war, daß sie kein Wort mehr von sich geben würde, dann erst öffnete er die Tür.

Drefan hatte sich hingehockt, hatte Yonick eine Hand auf die Schulter gelegt und sprach leise beruhigend auf den Jungen ein. Aus ihren grünen Augen beobachtete Kahlan, wie Nadine eine Hand nach hinten ausstreckte, damit Richard ihr auf die schmale Bohle im Matsch hinunterhalf.

»Drefan«, wandte sich Richard an seinen Halbbruder, als er wieder bei ihnen war, »ich muß mit dir über ein paar Dinge sprechen, die du da drinnen gesagt hast.«

Drefan strich Yonick über den Rücken und erhob sich dann. »Über welche Dinge?«

»Zum einen wolltest du, daß Cara und Raina mich dort rausschaffen. Ich will wissen, warum.«

Drefan sah erst Richard, dann Yonick einen Augenblick lang nachdenklich an. Dann schlug er sein Gewand auf und hakte es hinter eine der Ledertaschen an seinem Gürtel. Er öffnete den Beutel an der Vorderseite seines Gürtels und schüttete ein wenig trockenes Pulver aus einem Ledersäckchen auf ein Stück Papier. Er drehte das Papier zusammen und gab es dem Jungen.

»Bevor wir uns die anderen Jungen ansehen gehen, würdest du das bitte zu deiner Mutter hochbringen, Yonick, und ihr sagen, sie soll es ein paar Stunden in heißem Wasser ziehen lassen und einen Tee daraus kochen, ihn dann durchseihen und dafür sorgen, daß alle aus der Familie ihn heute abend trinken? Er wird helfen, die Abwehrkräfte deiner Familie zu stärken, damit ihr gesund bleibt.«

Yonick betrachtete das Papier in seiner Hand. »Natürlich. Ich sag' es meiner Mutter und bin gleich wieder hier.«

»Du brauchst dich nicht zu beeilen«, sagte Drefan. »Wir werden auf dich warten.«

Richard wartete, bis Yonick die Tür geschlossen hatte. »Also gut, ich weiß, du wolltest mich wegen der Gefahr, mich bei dem kranken Jungen mit der Pest anzustecken, da rausbringen. Aber wir sind alle in Gefahr, nicht wahr?«

»Ja, nur habe ich keine Ahnung, wie sehr. Du bist Lord Rahl. Ich wollte dich so weit weg haben wie möglich.«

»Wie steckt man sich mit der Pest an?«