«Hat er kriegerische Gelüste?»
«Welcher Pharao würde nicht von Größe träumen? Ägypten ist nicht mehr so prächtig wie zu Ramses’ Zeiten, aber es ist ehrgeizig geblieben. Siamun muß sich auf eine neue Eroberung Kleinasiens gefaßt machen. Der Weg zu seinen Siegen führt durch Israel. Darum befürchte ich, daß deine Botschaft bei ihm lediglich Heiterkeit auslöst.»
Elihap hatte frei von der Leber gesprochen, und Salomo wußte diese Aufrichtigkeit zu schätzen.
«Ich teile deine Ansicht, Schreiber, aber ich liebe das Unmögliche. Der Name dieses Pharaos gleicht zu sehr dem meinen, da müssen sich unsere Wege einfach kreuzen. Da er ‹der Geliebte der Maat› ist, der Göttin, die die Weltordnung und die Wahrheit verkörpert, wird er meine Absichten verstehen. An die Arbeit, Elihap. Beginnen wir mit ‹König Salomo an seinen Bruder, den Pharao von Ägypten…›»
Vor einem Monat war die kostbare Botschaft einem königlichen Sendboten anvertraut worden. Salomo, dessen Schlaf immer leichter wurde, konnte seine Gereiztheit nur noch schlecht verhehlen. Er kürzte seine Audienzen ab und versenkte sich immer länger in der Palastkapelle. Er wußte, daß die Hebräer die Ägypter verabscheuten, das Land, in dem man sie der Legende nach zu Sklaven gemacht hatte. Doch er wußte auch, daß die pharaonische Monarchie durch die feste Verknüpfung von Himmel und Erde ein außergewöhnliches Vorbild geschaffen hatte, wie man ein von der Gottheit inspiriertes Wesen auf den Thron setzte. Nur ein erblicher König, der aus dieser Tradition kam, konnte sein Volk auf dem Weg der Weisheit und des Glücks führen. Daher hatte Salomo, der sich über gefühlsbetonte Anwandlungen und früheren Groll hinwegsetzte, den hebräischen Staat und seine Verwaltung nach dem pharaonischen Vorbild geformt.
Salomo war überzeugt, daß er sein Volk damit nicht verriet. Dennoch erhoffte er sich ein Zeichen von Jahwe, das ihn in seiner Wahl bestätigte, nämlich der Pharao Israels zu werden. Die Antwort des Herrn in der Wolke erreichte ihn eines schönen Abends, als er einem Greis begegnete, der die Stufen des Throns fegte. Dem König schoß eine Frage durch den Kopf, eine Frage, die er diesem bescheidenen Diener unbedingt stellen mußte.
«Du da, was hältst du von Ägypten?»
Der Kehrer dachte nach.
«Ich habe da gelebt. Mein Vater auch. Und der Vater meines Vaters. Und unsere Vorfahren. Alle haben das gleiche gesagt: Es ist ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Man ißt dort gut, und es gibt keine Not. Wir sind da im Süden glücklich gewesen. Wir lieben Ägypten, und gleichzeitig hassen wir es, weil es für Israel ein zu starker Nachbar ist… Deswegen ist der Haß stärker als die Liebe. Das ist dumm, mein König, aber so ist die menschliche Natur nun einmal beschaffen. Daran kann niemand etwas ändern.»
«Sollte man nicht gerade den allerhöchsten Berg besteigen? Aus deinem Mund spricht Weisheit. Stelle deinen Besen beiseite und laß deine Arbeit einen Jüngeren machen. Im Palast wird man sich auf deine alten Tage um dich kümmern.»
«Endlich eine Antwort vom Pharao», verkündete Elihap.
«Lies sie mir vor», forderte Salomo.
«Es ist kein Papyrus, Majestät, sondern eine Neuigkeit, die Banajas gebracht hat. Das ägyptische Heer hat die Philister besiegt, die Stadt Gaza eingenommen und zieht auf die israelitische Grenze zu.»
Salomo wurde blaß. Er war nicht nur gescheitert, sondern hatte bei seinem furchteinflößenden Gegner auch noch eine heftige Reaktion ausgelöst. Die Existenz Israels stand auf dem Spiel.
«Rufe alle meine Regimenter zusammen», befahl Davids Sohn. «Wir werden nicht kampflos sterben.»
Banajas, der auf den Kampf brannte, marschierte an der Spitze der israelitischen Truppen. Salomos Ruf war so groß, seine Festungen boten eine so beispielhafte Sicherheit, daß ihnen der Sieg über die Ägypter gewiß war.
Salomo teilte diese Erwartung nicht. Das ägyptische Heer war nicht so arglos wie die Beduinen. Mochte seine Vorhut auch in die Falle der aufeinanderfolgenden Ringmauern tappen, die Hauptstreitmacht gewiß nicht. Mit dem Sieg über die Philister bei Gaza hatte Pharao Siamun strategische Begabung bewiesen.
Der Einfall in Israel würde ihn viele Tote kosten, doch allein durch die Zahl der Soldaten und Waffen war er im Vorteil.
Trotz des Vertrauens, daß die hebräischen Soldaten in ihren König setzten, erschauerten sie, als sie sahen, wie sich die Ägypter zu einer langen Schlachtordnung aufstellten. Vor den Fußsoldaten standen Dutzende von Streitwagen, die von zwei Pferden gezogen wurden. Jeder wußte um die Treffsicherheit der ägyptischen Bogenschützen, die dafür berüchtigt waren, daß sie ihre Gegner nur so hinmetzelten. Selbst Banajas verlor etwas von seinem Schwung.
Oben auf dem befestigten Turm, auf dem Salomo, sein Schreiber und der oberste Heerführer Platz genommen hatten, herrschte banges Schweigen. Beim Kampf würde es einer gegen sechs stehen, ständig würde man Leitern umstoßen müssen, die die Angreifer an die Mauern der Festung legten. Wie lange konnten sie wohl durchhalten?
Ein Streitwagen löste sich aus der Menge und näherte sich langsam dem israelitischen Lager. Das war ungewöhnlich. Der Streitwagen hielt in einiger Entfernung. Ein höherer Offizier stieg aus und warf mit großer Geste Schwert und Schild zu Boden. Dann durchmaß er die Wüste und blieb an die zweihundert Ellen vor der Grenze stehen.
«Gebieter, darf ich ihm die Kehle durchschneiden?» bat Banajas.
«Warte hier auf meine Anweisungen.»
Der König ließ das Festungstor öffnen und ging auf den ägyptischen Offizier zu. Und schon bald standen die beiden Männer Angesicht zu Angesicht.
«Mögen dich die Götter beschützen», sagte der Ägypter in etwas stockendem Phönizisch, der Sprache, die rings um das Mittelländische Meer verstanden wurde. «Ich bin der Heerführer der Heere des Pharaos, dessen Vorhut du sehen kannst.»
«Möge Jahwe den Herrn Ägyptens segnen. Warum kommst du der Grenze meines Landes so nahe?»
«Gebieter, hast du dem Pharao nicht einen Brief geschrieben? Hast du ihn nicht um Pferde und Streitwagen gebeten?»
«Ich habe um nichts gebeten, ich möchte kaufen. Den Preis mag er festsetzen.»
«Mein Gebieter möchte die Geheimnisse deines Herzens erfahren, König von Israel. Willst du Krieg oder Frieden?»
«Darüber redet ein König nur in Gegenwart eines anderen Königs», sagte Salomo.
Der ägyptische General verneigte sich.
«Dein Mund spricht wahr. Wenn du es wünschst, empfängt dich der Pharao unverzüglich.»
«So sei es.»
Unter den fassungslosen Blicken der Hebräer stieg ihr Herrscher in den Streitwagen des ägyptischen Generals.
Salomo war sich der Gefahr sehr wohl bewußt. Falls ihn der Pharao als Geisel behielt, konnte er Israel ohne einen einzigen Schwertstreich einnehmen. Doch das hatte noch kein ägyptischer König gewagt. War er nicht der Sohn der Maat, der kosmischen Ordnung, die Lüge und Feigheit haßte?
Wüstenwind peitschte Salomos Gesicht. Der General hatte seine Pferde zum Galopp angetrieben und wich geschickt den Steinhaufen aus, an denen sein Fahrzeug umstürzen konnte.
Kurze Zeit später hielt er vor einem weißen Zelt, dessen Eingang von zwei lanzenbewehrten Fußsoldaten bewacht wurde. Auf Aufforderung seines Begleiters betrat Salomo die Unterkunft des Pharaos.
Der kam seinem Gast mit einem Schurz aus Goldfäden bekleidet und einer Kette aus Karneolen um den Hals entgegen.
«Ich bin glücklich, daß ich meinen Bruder empfangen darf», sagte Siamun herzlich auf phönizisch. «Salomos Weisheit ist allerorten berühmt.»
«Ein Ruf trügt zuweilen. Mein Bruder, der Pharao, kommt aus einer viel berühmteren Familie als ich. Ist Weisheit nicht seit Jahrhunderten ihre Nahrung gewesen?»
Siamun lächelte.