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«Wie schön, wenn meine Tafel jeden Tag mit dieser Speise bestellt wäre! Erweist mein Bruder mir die Ehre, einen Becher Weißwein aus dem Delta anzunehmen?»

«Dessen Ruf ist zu beständig, als daß er trügen könnte. Wer würde eine solche Köstlichkeit ablehnen?»

Die beiden Herrscher nahmen auf gegenüberstehenden Stühlen aus Zedernholz Platz. Der Pharao bediente seinen Gast höchstpersönlich. Wenn er alle Diener fortgeschickt hat, so dachte Salomo, dann nicht nur, um mir eine besondere Ehre zu erweisen, sondern auch, um sich mit mir unter größter Geheimhaltung zu besprechen.

«Israel ist ein aufblühender Staat», begann der Pharao.

«Das ist Gottes Wille», meinte Salomo. «Mein Land ist jung, ihm fehlt die Erfahrung. Welche Aussichten hat es schon ohne Vorbild?»

«Und was ist dieses Vorbild?»

«Gibt es ein besseres als Ägypten?»

«Dennoch», so wandte der Pharao ein, «wissen sich unsere beiden Völker nur wenig zu schätzen.»

«Die Hebräer lieben und verabscheuen Ägypten gleichermaßen leidenschaftlich», erläuterte Salomo. «Ihr König gibt den Ausschlag, zu welcher Seite sich die Waagschale neigt. Ich habe meine Seite gewählt und weiche nicht mehr davon ab.»

Siamun war ein edler Mann mit zarten Zügen und braunen, stets lebhaften Augen. Über große Körperkraft schien er nicht zu verfügen, doch sein Äußeres konnte auch täuschen. Siamun war kein unschlüssiger Pharao, sondern ein echter Staatenlenker. Hinter seinem diplomatischen Auftreten verbarg sich ein starker Wille, den das kleinste Hindernis aufbringen mußte.

«Ich habe die Philister bei Gaza geschlagen», rief ihm der Herr Ägyptens in Erinnerung. «Das ist ein wichtiger Sieg, aber nicht entscheidend. Die Philister sind furchterregende Krieger, die bis zum letzten Mann kämpfen. Viele Ägypter sind gefallen.

Und ich trage für sie Verantwortung. Was sie von mir erwarten, ist ein glückliches Leben, aber nicht, in der Schlacht zu fallen.»

Die beiden Herrscher tranken den Weißwein aus dem Delta. Ein bemerkenswerter Jahrgang, der dem Gaumen schmeichelte. Salomo erkannte allmählich, worauf sein Gesprächspartner hinauswollte.

«Der Brief des israelitischen Königs ist recht eigenartig», fuhr der Pharao fort. «Warum möchte mein Bruder so viele Streitwagen und Pferde erwerben, wenn nicht für einen Krieg gegen Ägypten?»

«Im Gegenteil, ich will ihn abwenden», berichtigte Salomo. «Israel ist in Gefahr. Wenn sein Heer stark ist, denken seine Nachbarn an Frieden, nicht an Krieg.»

«Eine durch und durch ägyptische Vorstellung, lieber Bruder. Meine ruhmreichen Vorfahren haben auch nicht anders gedacht. Mein militärisches Vorgehen gegen die Philister hat keinem anderen Zweck gedient, als ein Exempel zu statuieren. Soll ich meine Truppen gegen meine Gegner führen oder es dabei bewenden lassen?»

«Braucht mein Bruder Hilfe?» fragte Salomo ernst.

Israels König wußte sehr wohl, wie unsinnig seine Frage war. Sie überschritt die Grenzen der Höflichkeit. An der Reaktion des Pharaos würde er seine Ehrlichkeit ermessen können.

Siamun schenkte Wein nach.

«Ja, lieber Bruder. Ich brauche dich. Wenn Ägypten und Israel ein Bündnis schließen, wird es weniger Tod und Not geben. Die Philister sitzen in der Zange und sind gezwungen, die Waffen niederzulegen. Und dann wird wieder Frieden, fern wie der liebliche Nordwind, herrschen.»

Den Vorschlag des Pharaos anzunehmen hieß, Israels Außenpolitik umzukrempeln, die Hebräer dazu zu zwingen, diesen beneideten und verabscheuten Nachbarn wie einen vor allen anderen geliebten Freund anzunehmen. Die Ägypter würden zu Beschützern Israels werden.

Salomo setzte seinen Thron aufs Spiel.

Der ägyptische König schwieg und wartete auf Antwort.

«So einfach ist die Lage nicht», meinte der israelitische König. «Mein Land wäre selbst mit Pferden und Streitwagen nicht so mächtig wie Ägypten. Was mir mein Bruder da vorschlägt, wirft alles über den Haufen und…»

Siamun musterte Salomo aufmerksam.

«Gewiß erwartet Israels König Sicherheiten vom Pharao Ägyptens.»

«So ist es», entgegnete Salomo. «Sonst wäre Israels König ein argloser Tor. Und den würde der Pharao verachten.»

«Ist die Wahrheit nicht die wichtigste Sicherheit? Israel will in Frieden leben, Ägypten auch. Wir fürchten uns vor einem libyschen Angriff. Von einem Tag auf den anderen können die Schakale losgelassen sein. Desgleichen müssen wir unsere Grenzen nach Osten schützen. Und wenn ich gegen Israel ziehe, kann ich wohl kaum die Politik verfolgen, die ich für die beste halte. Reichen diese Erklärungen?»

«Dafür sei dem Pharao Dank, aber…»

«Aber es ist mehr erforderlich, um Salomo zufriedenzustellen!» brauste der Pharao auf. «Kann er denn Forderungen stellen?»

Salomo hielt dem Blick seines Gastgebers stand.

«Das muß mein Bruder beurteilen», meinte er gelassen.

«Ich will Frieden», bekräftigte der ägyptische König. «Ich wünsche mir sehnlichst, daß wir ihn gemeinsam schaffen. Mein Bruder soll die Sicherheiten bekommen, die er haben möchte.»

Kapitel 9

Kurz vor dem Morgengrauen verließ Salomo Davids Palast. An diesem Morgen war ihm das Zeremoniell einerlei, und der Oberhofmeister hatte sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Der König mußte fern von diesem Ort nachdenken.

Salomo hatte eine weiße Tunika angezogen und lenkte seinen Streitwagen selbst. Er fuhr in Richtung Etam, zu einem abgelegenen Ort, wo er sich eine Sommerresidenz hatte bauen lassen. Sie war von einem Garten umgeben, in dessen Mitte eine Heilquelle sprudelte.

Zu dieser Jahreszeit lag das Landgut verlassen. Die Sonne ging auf, als Salomo durchs Tor fuhr. Er ließ den Streitwagen stehen und ging zu Fuß bis an den äußersten Rand eines Felsvorsprungs, der über der Quelle emporragte. Früher hatten die Bauern hier Jahwe Opfer gebracht. Der König besann sich auf uralte Gesten und pflückte einen Strauß Wildkräuter, den er zum Himmel hob. Auf diese Weise konnte der HERR den flüchtigen Duft der Natur empfangen, die er geschaffen hatte.

Das Plätschern des Wassers wurde fast zum Tosen. Silbrige Tropfen tanzten im Sonnenschein. Als Salomo einem mit dem Blick folgte, hörte er Gottes Stimme. «Ich befehle dir», so sagte sie, «auf meinem heiligen Berg einen Tempel zu erbauen. Dein Werk wird durch Weisheit erschaffen werden. Sie wird dir zur Seite stehen, sie, die bei mir war, als ich die Welt erschuf. Sie, und nur sie, zeichnet den rechten Weg derer, die auf Erden wandeln.»

Salomo besann sich auf eine Legende, die ihm sein Lehrer so oft erzählt hatte. Zu Anbeginn der Zeit hatte sich der Himmel geöffnet. Ein Stein fiel herunter und ins Meer. Auf dieser festen Grundlage bildete sich die Erde. Gott hatte ein Seil auf die Leere herabgelassen und das Chaos mit der Richtwaage geordnet. Der Baumeister von Welten hatte Licht und Finsternis voneinander geschieden.

Einen Tempel erbauen… Salomos Berufung nahm Form an. Die Berufung, die er selbst seit so vielen Jahren tief in seinem Innersten spürte, galt dem künftigen Bauwerk, das Jahwe geweiht sein sollte. Wenn er ein großer König werden wollte, mußte er bauen. Salomo dachte an die berühmte Stufenpyramide des Pharao Djoser: Ehe er eine Riesenbaustelle errichten konnte, mußte er sein Land endgültig geeint haben. Ein prachtvolles Heiligtum zum Ruhme des Einen Gottes. Eine heilige Wohnstatt, die seine Herrschaft überstrahlte.

Berauscht vor Freude lief Salomo zu seinem Streitwagen und machte sich auf den Weg nach Jerusalem.

Die Soldaten der königlichen Leibwache waren in Alarmzustand versetzt worden. Niemand wußte, wohin Salomo gefahren war. Der Oberhofmeister hatte recht ungeschickt versucht, sein Verschwinden zu kaschieren, was jedoch einen wahren Skandal auslöste.

Der Platz wimmelte von Geistlichen und Würdenträgern, die Erklärungen forderten. Einige zögerten denn auch nicht, den König als Schwachkopf, als Irrlicht oder Wandervogel zu bezeichnen.