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«Majestät, bist du nicht auch der Ansicht, daß man zunächst den Felsen durch eine Erdaufschüttung mit der Stadt Davids verbinden sollte? Das würde die Arbeit der Maurer erleichtern.»

Salomo erkannte Meister Hirams Stimme.

«Bist du mir gefolgt?»

«Ich wußte, daß du hierher gehen würdest.»

«Kannst du auch meine Gedanken lesen?»

«Ich bin nur ein Baumeister, kein Hellseher.»

«Warum diese sonderbare Haltung, Meister Hiram?»

«Befrage doch den Zauberstein, den du an deiner linken Hand trägst. Verleiht der dir nicht Macht über die Elemente?»

«Es reicht, werde nicht unverschämt», entgegnete Salomo gereizt. «Dein Erfolg in Ezjon-Geber ist lediglich der eines Werkzeugmachers, nicht der eines Oberbaumeisters. Ich fordere eine Erklärung.»

Hiram betrachtete den Mond. In ihm, so lauteten die alten, ägyptischen Texte, verbarg sich Osiris’ Hase, der die Geheimnisse der Auferstehung bewahrte. Durch sein Zunehmen und Abnehmen lehrte die Nachtsonne den Beobachter die Kunst der Verwandlung. Der große Felsen von Jerusalem lag in bläuliches Licht getaucht, das seine Kargheit milderte. Bargen seine Strahlen die Verheißung eines Heiligtums?

«Kennst du dich mit den Überlieferungen Sabas aus, Majestät?»

Salomo befürchtete schon eine Erpressung, jetzt würde Hiram endlich die Maske abwerfen.

«Die Sabäer beten die Sonne an», fuhr der Oberbaumeister fort. «Denn aus ihrem Licht schöpfen sie Weisheit und Glück. Und zum Lohn läßt das himmlische Gestirn im Herzen der Berge unaufhörlich Gold wachsen.»

«Ungläubige. Sie lehnen den Einen Gott ab.»

«Heißt der in deinen heiligen Büchern nicht Elohim? Elohim ist nichts als eine Mehrzahl und bedeutet ‹Götter›.»

«Seit wann bist du Fachmann in geistlichen Dingen, Meister Hiram? Du weißt wohl nicht, daß unser Gott auch ‹Jahwe› heißt, nämlich ‹Ich-bin-da›, und daß sich sein unauslöschlicher Name nur Israels König offenbart?»

«Majestät, ich weiß nur, daß der Kult dieser Gottheit wenig Opfer verlangt und keinen Tempel erfordert. Du hast beschlossen, diese Situation zu ändern. Du willst mit dem bescheidenen Gottesdienst ein Ende machen und ihm den Glanz geben, der eines großen Reiches würdig ist.»

Salomo leugnete nicht. Was die Ägypter geschafft hatten, würde er auch schaffen. Jahwe durfte nicht länger in armseligen Behausungen wohnen. Er, der größer war, er, der Eine Gott, mußte sich größerer Pracht erfreuen als Amun in Karnak.

«Sage endlich, was du haben willst, Meister Hiram!»

Der Baumeister kauerte sich hin und berührte den Fuß des Felsens.

«Dieser Stein ist gut», sagte er. «Er faßt sich warm und brüderlich an. Der gibt ein gutes Fundament für prächtige Gebäude ab. Aber man muß ihm noch den magischen Schutz der Sabäer geben, damit er unwandelbar wird. Sie besitzen einen Becher und ein Zepter aus Gold, die mir von dem Meister geschenkt worden sind, bei dem ich zeichnen gelernt habe. Wenn sie im Herzen des Felsens ruhen, kann dem Bauwerk nichts zustoßen.»

Salomo dachte nach. Würden solche Gegenstände Jahwe nicht mißfallen? Verriet er damit den Glauben Israels?

«Ist das nicht auch Erpressung, Meister Hiram?»

«Ein solches Unterfangen hängt nicht nur von Menschen ab. Wenn man den Himmel nicht günstig stimmt, ist das Scheitern gewiß.»

«Tragen dieser Becher und dieses Zepter auch keine Inschrift?»

«Sie sind aus lauterem Gold», erwiderte Hiram. «Aus Gold, das im geheimen Feuer der sabäischen Berge entstanden ist. Der Baumeister, der es für sein Fundament nutzt, bringt ein Licht in den Fels, das niemals erlischt.»

«Falls ich deinen Vorschlag annehme, wann beginnst du dann?»

Der Oberbaumeister wirkte verstimmt.

«Man hat mir gedroht. Man hat mich aufgefordert, Israel zu verlassen.»

«Wer hat das gewagt?»

«Majestät, ich bin kein Denunziant.»

Salomo wahrte Fassung. Er glaubte Hiram nicht. Der Tyrer erfand ein Märchen, weil er ihm wieder einmal die Stirn bieten wollte.

«Wie du willst», meinte der König. «Von meiner Seite hast du jedenfalls keine weiteren Zugeständnisse zu erwarten. Du bist frei und kannst Israel verlassen. Binnen drei Tagen will ich deine endgültige Entscheidung. Danach kannst du dein Wort nicht mehr zurücknehmen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.»

Hiram blieb bis zum Morgengrauen am Fuße des Felsens. Falls er sich gegenüber seinesgleichen auf eine Weigerung Salomos berief, um seine Rückkehr nach Ägypten zu rechtfertigen, niemand würde sein Wort anzweifeln. Doch durfte ein Oberbaumeister lügen, ohne sich damit vor seinen eigenen Augen zu zerstören?

Als Hiram den Felsen mit den Fingerspitzen geprüft hatte, da hatte er gespürt, daß hier einer jener außergewöhnlichen Orte war, wo das Göttliche in der Materie Gestalt annahm. Salomo hatte gut gewählt. Hier und nirgendwo anders mußte sich ein großer Tempel erheben. Der König besaß den Willen, das Unglück zu besiegen und die Vision des Menschen im Ewigen festzumachen. Daß das zukünftige Heiligtum Salomos Bestimmung war, daran zweifelte Hiram nicht länger. Doch rechtfertigte das sein eigenes Elend, eine Verbannung, die genauso schlimm war wie ein Todesurteil?

Mit schwerem Herzen richtete er den Schritt zu seiner Wohnung, schlug verlassene Gassen ein, in denen die letzten Schatten mit dem anbrechenden Tag kämpften. Anup lief an seiner Seite.

Hiram trat ein. Im Haus roch es stark nach Weihrauch und Olivenöl. Mehrere Lampen brannten in den Zimmern. Ein Dutzend Priester lag auf den Knien und betete. Als einer Hiram erblickte, stand er auf.

«Ich bin Zadok, der Hohepriester Jahwes», erklärte er mit Nachdruck. «Bist du Meister Hiram?»

Der Baumeister trat näher. Das Innere des Hauses war verwüstet, der Fußboden aufgerissen, der Schreibtisch geplündert. Die Wände waren weiß gestrichen, die Truhen geleert, die Betten zertrümmert.

«Dieser Ort mußte gereinigt werden», meinte Zadok. «Hier hausten böse Geister. Von nun an darf hier nur noch ein wahrer Gläubiger wohnen.»

Der Hohepriester warf sich innerlich jubilierend in die Brust. Sein schwarzer, nicht gestutzter Bart machte sein Gesicht streng wie das eines Richters im Jenseits. Doch die allzu funkelnden Augen verrieten das Fieber eines Neiders, eines Rachedurstigen.

«Komm niemals hierher zurück, Meister Hiram. Und rechne nicht damit, in Jerusalem eine andere Wohnung zu finden. Du hast schwarze Magie betrieben. Dafür haben wir Beweise.»

Mit einer Handbewegung rief er einen seiner Helfer herbei. Dieser brachte eine Figurine aus gebranntem Lehm, eine Frau mit nackten Brüsten und gewaltigen Hüften.

«Dieses Götzenbild war in deinem Schreibbinsen versteckt. Wenn Salomo dich nicht schützen würde, hätte ich deine Steinigung gefordert.»

«Was ist mit meinem Diener Kaleb?»

«In dieser Dämonenhöhle war kein Mensch.»

Mit einem einzigen Blick sah Hiram, daß seine wenigen Habseligkeiten zertrümmert waren. Er ging zur Tür, während Zadok spöttisch hinter ihm hersah. Doch ehe er das verwüstete Haus für immer verließ, drehte er sich noch einmal um.

«Sei beruhigt, Hoherpriester, ich werde nie mehr in dieser verhaßten Stadt wohnen. Aber unterstehe dich, mich erneut der Zauberei zu beschuldigen, denn diese Lüge wird sich gegen dich verkehren.»

Zadok machte sich nichts aus dieser Warnung. Sein Sieg war vollkommen. Hiram ging, der Tempel würde niemals gebaut werden. Jedermann wußte, daß Jahwe fremdländische Oberbaumeister ausstieß und daß er keine Veränderung der Stadt Davids wünschte.

Besorgt befragte Salomo die geheimen Bücher, deren einziger Verwahrer er als König von Israel war. Sie lehrten, wie der Mensch den himmlischen Thron erlangen könne, falls er den Weg des Lebens und nicht den des Todes einschlüge. Sie sprachen von der Seele, von Gott und den Elementen. Doch sie antworteten nicht auf die bange Frage, die ihn schon tagelang umtrieb: War es Meister Hiram wirklich zuzutrauen, daß er den Tempel baute? Dieser Mann zog ihn unwiderstehlich an, aber verstellte ihm das nicht den Blick auf die Wirklichkeit? War der Fremdling nicht doch ein Herumtreiber, ein Aufrührer, der sich mit einer in Wahrheit unbekannten Wissenschaft brüstete?