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Nie im Leben hatte sich der König mit so schlimmen Ängsten plagen müssen.

Als Nagsara sich in die Bibliothek wagte, wo er über Papyrusrollen brütete, die mit Schriftzeichen beschrieben waren, die kein Uneingeweihter lesen konnte, da war seine erste Reaktion, sie heftig zurückzustoßen. Doch die mit einem durchsichtigen Schleierstoff fast nackte Königin hatte sich verlockend zurechtgemacht.

«Weißt du, liebe Gemahlin, denn nicht, daß an diesem Ort der Zutritt verboten ist?»

Um Nagsaras rote Lippen huschte ein fiebriges Lächeln. Sie musterte Salomo mit kaum verhehlter Leidenschaft. Und das rührte ihn. Die Ägypterin trug eine duftende Perücke, wie sie in Tanis beliebt war, und öffnete die Schließen, mit denen ihr Gewand auf den Schultern befestigt war.

«Dieser Ort ist für Bücher gedacht, nicht für die Liebe…»

Salomos Widerstand verlor sich in einem Kuß, der zugleich zärtlich und ungestüm war. Der König widerstand dem nackten Leib nicht länger, der sich an ihn drängte. Für einige Minuten leidenschaftlichen Vergnügens vergaß er Hiram.

«Du verfügst über recht große Zauberkräfte, liebe Gemahlin.»

«Mein König, sie stehen zu deiner Verfügung. Bitte darum, und sie sind dein.»

Eine Pharaonentochter… War sie nicht von Priestern erzogen worden, die Zauberbücher besaßen, um die alle Völker sie beneideten?

«Weißt du, wie man Orakel befragt?»

«Ich habe meinem Vater in den geheimen Sälen des Tempels von Tanis zugesehen. Er hat mich gelehrt, den Mund auszuwaschen und ihn mit Natron zu reinigen, ehe man zu den Göttern betet. Ich bin Meisterin in der Kunst, wie man Kopfschmerzen behebt, indem man eine Flamme auf den Kopf einer Bronzeschlange stellt.»

«Würdest du das Unsichtbare für mich anrufen?»

Nagsara strahlte vor Freude. Endlich könnte sie Salomo beweisen, daß er sie nicht zum Lustobjekt herabwürdigen durfte.

«Wie lautet deine Frage?»

«Ich will einen Namen haben. Den des besten Baumeisters für den Tempel.»

Immer noch nackt, ergriff Nagsara eine Lampe und stellte sie in die nördliche Ecke des Zimmers. Sie löschte die anderen Lampen und beugte sich über das schwache Licht, bis es ihr fast das Gesicht verbrannte. Die Worte, die sie sprach, schützten sie.

«Flamme, die das Gestern, das Heute und das Morgen kennt, bitte antworte mir! Wenn du schweigst, verschwinden Himmel und Erde! Wenn du schweigst, geht die Sonne nicht mehr auf, die Flüsse trocknen aus, und die Frauen werden unfruchtbar!

Ich, eine Tochter des Feuers, ich habe das Recht, dich zu befragen.»

Nagsara legte den rechten Zeigefinger auf die Stirn und faßte mit der linken Hand in die Flamme. Doch ihr Fleisch verbrannte nicht. Mit dem Fingernagel zeichnete sie Hieroglyphen auf den Henkel der Lampe. Dann schloß die Königin die Augen.

«Komm näher, Salomo.»

Der König gehorchte.

«Strecke dich rücklings aus.»

Er sah, wie sich die Decke der Bibliothek wellte und die Wände entfesselt tanzten.

«Befrage die Lampe, Salomo.»

Der König erkannte seine eigene Stimme nicht, so ernst klang sie.

«Wer soll Baumeister des Tempels sein?»

Die Flamme schlug hoch, verschlang den Raum, machte sich über die Papyrusrollen her und tauchte Salomo und Nagsara in rote Glut. Doch der König verspürte keinen Schmerz. Er trieb auf einem blutroten Fluß dahin, der selbst die hohen Berge durchdrang.

Dann jählings Stille.

Neben ihm ausgestreckt schlief Nagsara.

Salomo zündete die anderen Lampen mit der Lampenflamme an. Er war schrecklich enttäuscht. Das Unsichtbare hatte sich geweigert zu sprechen.

Die Ägypterin war nicht wach zu bekommen, obwohl sie regelmäßig atmete. Der König nahm die Königin in die Arme.

Auf der Kehle der jungen Frau erblickte er eine Inschrift in hebräischen Buchstaben.

Sie ließ sich leicht lesen.

Im Fleisch von Israels Königin stand ein Name eingebrannt: Hiram.

Kapitel 24

Eine Schafherde stob auseinander, als sich Hiram näherte. Er erkannte die armselige Behausung des Hinkefusses, der auf der Schwelle saß und auf kleinem Feuer eine Kräutersuppe köcheln ließ.

«Mein Fürst! Du bist ihnen entwischt?»

Hinter dem Haus lag ein beeindruckender Haufen Wolle, beste Frühlingswolle, aus der Winterumhänge gefertigt wurden.

«Ich bin geflohen, als ich gesehen habe, wie man diese Bande fanatischer Priester losgelassen hat. Die kennen keine Hemmungen, die steinigen störende Leute einfach», sagte der Hinkefuß.

«Ohne daß sie von Salomo gerichtet worden sind?»

«Der König kann seine Augen nicht überall haben…»

«Warum hast du nicht versucht, mich zu warnen?»

«Keine Zeit, mein Fürst.»

Kaleb überlegte, ob der Baumeister nicht doch ein gefährlicherer Gegner wurde als die Jahwe-Anbeter.

«Ich habe dich ein wenig verraten», gestand er, «aber ich hatte keine andere Wahl. Es gab nur eine Lösung, nämlich heimzukehren und sich hier zu verkriechen. Jerusalem ist nicht mehr sicher, wenn sich die Priester zuviel zeigen.»

Anup, der Hiram in einiger Entfernung folgte und ihm den Rücken deckte, kam zu seinem Herrn gelaufen. Als er Kaleb erblickte, knurrte er.

«Schon wieder dieses vermaledeite Hundevieh… Wohin willst du jetzt, mein Fürst?»

Hiram ging an der Schäferei vorbei, stieg einen grasbewachsenen Hang hinunter, der in ein verlassenes Feld überging, auf dem dichtbelaubte Feigenbäume standen. Sie boten eine Fülle von Herbstfeigen mit süßem Fleisch. Die Bäume hier waren nicht zu Sonnenschirmform gestutzt worden, sondern hatten sich nach Lust und Laune in Freiheit entwickeln können.

Der Oberbaumeister setzte sich in den Schatten eines alten, alleinstehenden Feigenbaums. Anup legte sich zu seinen Füßen. Und hier, im Schutz des Baums mit den breitesten Ästen auf Israels Boden, kam Hiram zu einem Entschluß. Unweit des Tempels von Karnak hatte er unter dem Laub einer Sykomore oder einer Tamarinde am Rand der Wüste Stunden in innerer Versenkung verbracht. In der Stille ertranken die Gedanken, und die Träume verloren sich im Licht. Als Kind war Hiram bis in den Wipfel geklettert und hatte den Bauern zugesehen, wie sie ihre bepackten Esel antrieben. Sie zogen die rote Erde entlang, ehe sie bebautes Land erreichten, und stimmten ein uraltes Lied an, das noch aus der Zeit des Pyramidenbaus stammte. Als er eine Bruderschaft von Schreibern mit Schreibbinsen und Paletten erblickt hatte, da hatte der kleine Hiram Lust darauf bekommen, alles zu verstehen und alles zu wissen. Und das Wissen hatte ihn weit mehr berauscht als das Bier an Festtagen. Unaufhörlich hatte er seinen Eltern mit Fragen nach den Merkmalen von Tieren, Pflanzen, nach dem Hochwasser des Nils, nach der Stärke des Windes zugesetzt und wie man Hieroglyphen las. An dem Tag, als er merkte, daß sie ihm keine Antworten mehr geben konnten, hatte der Vierzehnjährige sein Dorf mit einem Bündel auf dem Rücken verlassen. Es gelang ihm, auf einem Frachtschiff anzuheuern, und so kam er nach Theben. Sein Zieclass="underline" Der Ort der Weisheit, der Tempel, in den die Schreiber gingen.

Doch er hatte rasch klein beigegeben. Der große Hof war an Festtagen zwar für Edelleute zugänglich, doch die Lehrsäle im Tempelinneren blieben ihm verschlossen.