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Hiram hatte die Stadt verlassen und lange im mageren Schatten einer Tamarinde nachgedacht und hatte den Sonnenaufgang, die Farben des Tages und den Sonnenuntergang mit seinen Goldfarben erlebt und dabei seine Lebensregel aufgestellt: Er wollte seine Wünsche bis zum Ende ausleben, nie unter irgendeinem Vorwand aufstecken und sich selbst die Schuld geben, falls er scheiterte, nicht etwa anderen oder den Verhältnissen. Mit dieser Wegzehrung gewappnet, hatte er zwanzig Berufe ausgeübt, war Gemüsehändler, Sandalenschuster, Fischsortierer und Töpfer gewesen, ehe er einem Lehrmeister der berittenen Truppe auffiel. Nachdem er Pferde gestriegelt hatte, hatte er reiten und einen Streitwagen fahren gelernt. Dann mußte er wählen, entweder er wurde Soldat oder Schreiber.

Er staunte selbst über sein Zögern. Was war schöner und aufregender als das Soldatenleben, und bot es nicht Ruhm und Reichtum? Nachdem er wieder einmal unter einer Tamarinde angesichts der Wüste, auf der die ewigen Wohnungen emporragten, nachgedacht hatte, war Hiram in den Tempel eingetreten. In seinen Augen war dieses riesenhafte und geheimnisvolle Wesen aus Stein das Leben schlechthin.

Nun folgte die glücklichste Zeit seines Lebens, in der er von strengen, anspruchsvollen, aber mit jenem Wissen ausgerüsteten Lehrern unterrichtet wurde, nach dem Hiram seit langem dürstete. Lernen war das köstlichste Vergnügen, Arbeiten eine Leidenschaft, Entdecken eine grenzenlose Freude. Der junge Schreiber wandte sich der Baukunst zu. Er konnte mit allen Werkzeugen umgehen, vom Dechsel des Schreiners bis zum Stechbeitel des Steinhauers, er wußte um die Bruderschaft auf der Baustelle, wo Kopf- und Handarbeit eins waren, machte sich mit dem Wesen des Steins vertraut, zähmte Granit, Sandstein, Alabaster und Kalkstein, ehe er mit einer einzigen Berührung der Hand die Blöcke auswählen konnte, die würdig waren, zu einem Gebäude verbaut zu werden.

Dann folgten Reisen in Ägypten und in die Fremde und Begegnungen mit anderen Baumeistern, anderen Techniken, anderen Glaubensbekenntnissen. Hiram schwieg und hörte zu. Während dieser Zeit hatte er sich auch in Saba aufgehalten, wo der ägyptische Einfluß zwar stark war, jedoch nicht zu einer Überfremdung geführt hatte. Fern seiner Heimat und weil er sogar unter dieser vorübergehenden Verbannung litt, schloß sich Hiram einem ägyptischen Oberbaumeister an, den die Königin von Saba angestellt hatte. Der hatte Hiram auf dem Gipfel eines Goldberges in die Kunst des Bauzeichnens eingeführt.

Mit Hilfe eines spitzen Steins grub Hiram die Erde um.

Langsame, genaue, fachkundige Handbewegungen. Der Becher und das Goldzepter tauchten aus der lockeren Erde auf, wo sie Hiram vorsichtshalber vergraben hatte, ehe er sich in Jerusalem niederließ. Wie hätte er Salomo gestehen können, daß die erste Königin von Saba diese Symbole dem Pharao Cheops beim Bau der großen Pyramide geschenkt hatte? Die Herrscherin, die wie der Pharao die Sonne anbetete, hatte es für geraten gehalten, mittels dieses Zaubers an dem Weltwunder teilzuhaben. Zudem hatte sie eine Pilgerreise nach Memphis unternommen und hatte an einem Winterabend, als der Polarstern umgeben von seinem Hof unermüdlicher Sterne am Himmel funkelte, im unteren Raum der großen Pyramide das Zepter von Saba abgelegt und unter der Sphinx einen Becher mit dem Morgentau des ersten Weltmorgens abgestellt.

Diese Gegenstände hatte Pharao Siamun Hiram vor dessen Aufbruch aus Ägypten nach Israel gegeben, denn die sollte der Oberbaumeister in die Fundamente von Salomos Tempel einbauen, damit sich dieser auf uralter Weisheit erhob.

Salomo hatte angenommen.

Falls Hiram diesen Ritus vollzog, falls er damit den Tempel ins Leben rief, konnte er das Werk nicht mehr verlassen. Ein Baumeister, der ein Heiligtum erbaute, weihte ihm sein Leben.

Hiram hatte alles versucht, um Salomos Zorn zu erregen. Israels König war bei seiner Wahl geblieben. Wie der Oberbaumeister folgte er der Stimme seines Herzens und blieb nicht vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen stehen.

Falls Hiram Salomos Oberbaumeister werden wollte, falls er das Amt übernehmen würde, das Pharao Siamun ihm anvertraut hatte, würde er der einsamste aller Menschen sein. Denn wen könnte er um Rat fragen, wem könnte er seine Zweifel und Fragen anvertrauen? Die Baumeister von Karnak waren in weiter Ferne, in der strahlenden Gelassenheit des Tempels in Oberägypten. Und da Hiram gezwungen war, das Geheimnis seiner Herkunft zu wahren, seinen wahren Namen zu verschweigen, die Härte der Verbannung zu ertragen, wie sollte er jahrelang unter solch einer Last leben? Auf diese Tragödie hatte man ihn nicht vorbereitet, denn er war in einer Gemeinschaft von Priestern ausgebildet und in seinen Beruf durch eine zuweilen rauhe Bruderschaft eingeführt worden, die über die alltäglichen Aufgaben im Haus des Lebens wachte. Auch auf diese Freuden mußte er verzichten. Hiram würde eine große Schar hebräischer Arbeiter befehligen, durfte jedoch mit niemandem Freundschaft schließen.

Da saß er nun im Schein einer milden Herbstsonne unter einem Feigenbaum in der Stille der judäischen Landschaft und hätte am liebsten aufgegeben.

Die Kluft zwischen der Zukunft eines ägyptischen Oberbaumeisters, dem ein beschauliches Alter winkte, und der eines Baumeisters für Salomo, der vor einer unmöglichen, offenen Frage stand, war einfach zu groß. Wie konnte er auf die Schönheit der schwarzen und fruchtbaren Erde am Nilufer verzichten, auf die erregende Wüste, auf den geliebten Nordwind?

Hatte er sein Ziel nicht erreicht, war er nicht einer der Baumeister des Pharaos, ein Arbeiter an der Seite seiner Brüder in der Harmonie im Haus des Lebens geworden, hatte er nicht Tag für Tag Steine für die Ewigkeit verschönt, denen die Leiden der Menschen einerlei waren? Kein anderer Ehrgeiz wohnte in seiner Brust. Warum zwangen ihn die Götter, auf Glück zu verzichten, dem König eines fremden Landes zu dienen und ein Heiligtum zu Ehren einer Gottheit zu bauen, die sein Herz nicht anrührte?

Wer aufgab, mußte sich seine Schwäche eingestehen. Wenn er Ägypten wiedersehen, erneut die Brise spüren wollte, die die Segel der Schiffe blähte, dann erforderte das ein Opfer. Hiram spürte, daß er nicht bereit war, diese Schande vor seinen Brüdern einzugestehen.

Vor Salomo wollte er auch nicht so dastehen.

Nachdem er dem König getrotzt, ja, ihn fast verabscheut hatte, teilte Hiram mittlerweile seine Leidenschaft. Wie er war auch Salomo allein. Allein trotzte er einem ganzen Volk, der Priesterkaste, den Höflingen, den Bräuchen. Allein wollte er ein Meisterwerk erschaffen, auch wenn es ihn den Thron kostete.

Salomo war der letzte, dem sich Hiram anvertrauen konnte, doch er verkörperte diesen feurigen Willen, der auch den jungen Ägypter so wißbegierig gemacht hatte. Diese beiden Männer waren Brüder, selbst wenn das menschenunmöglich war.

Hiram war so wütend, daß er am liebsten Zepter und Becher weit fortgeschleudert hätte.

Die spätnachmittägliche Sonne funkelte so hell auf ihnen, daß Kaleb aufmerkte. Der Hinkefuß kam näher, zögerte aber, sie anzufassen. Hirams Blick belehrte ihn eines Besseren.

Der Oberbaumeister betrachtete das Gold von Saba so starr und so eingehend, als könnte es ihm seine Zukunft entschlüsseln. Seine dunkelblauen Augen funkelten unruhig.

Als die letzten Sonnenstrahlen die Blätter des Feigenbaums golden färbten, stand Hiram auf. Niemand sollte sagen können, daß ein ägyptischer Baumeister vor Beendigung der Arbeit geflohen war.

Er würde den Tempel bauen, auch wenn es Salomos war.

Saturn thronte im Zenit; er würde das Bauwerk fest und dauerhaft machen. Salomo kam vom Palast, Hiram vom Land, und beide erreichten den Fuß des Felsens zur gleichen Zeit.

Der Oberbaumeister übergab dem König Zepter und Becher. Im Mondschein sah das rote Gold wie Silber aus.

Mit einem Bohrer, dessen Spitze sich schnell drehte, bohrte Hiram einen Hohlraum in den Felsen, in den er die kostbaren Gegenstände legte. Dann verschloß er ihn fest und benutzte dazu einen Mörtel, der sich gut anpaßte. Mit Ausnahme von Salomo und dem Oberbaumeister wußte niemand, daß Sabas Sonne der Kern von Jahwes Tempel war. Abgesehen von Hiram ahnte niemand, daß Ägypten die Mutter des größten Heiligtums in Israel war und daß der verborgene Gott der Pyramiden in Jahwe auferstand.