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«Aber keineswegs. Uns bleibt immer noch die List. Elihap, ist es wahr, daß sich einige Lehrlinge über den mageren Lohn beklagen?»

«Stimmt genau», antwortete der Schreiber. «Sie möchten gern Gesellen werden, aber Meister Hiram denkt kaum noch an Beförderungen.»

«Dann laßt uns Unruhe in der Bruderschaft säen», schlug Zadok vor.

«Aber diese Männer haben einen Eid geschworen», rief ihnen Elihap ins Gedächtnis. «Die verraten ihren Oberbaumeister nicht.»

«Jeder Mensch hat seinen Preis», sagte Jerobeam. «Wir müssen nur bereit sein, ihn zu zahlen.»

Kapitel 39

Am ersten Festtag der Schafschur und der Segnung der Herden zu Sommeranfang gab Hiram den Handwerkern der Bruderschaft frei. Sie nahmen an Festmählern teil, die von Bauern ausgerichtet wurden, die keine Antwort auf die vielen Fragen zum Fortschritt der Bauarbeiten bekamen.

Der Baumeister nahm an keiner Festlichkeit teil. Er ging in der Gegend, fern der Dörfer, in Begleitung seines Hundes spazieren.

Vor dem Tor zur Baustelle ließ er einen wütenden Kaleb stehen, der zum alleinigen Wächter ernannt worden war. Wie lang ihm die Stunden vorkamen! Wer würde schon wagen einzudringen, wo doch mehr als hundert Soldaten auf Befehl Meister Hirams über den ganzen Platz wachten, bis die Bruderschaft zurückkehrte? Der Hinkefuß fürchtete sich vor der Einsamkeit, vor allem aber bedauerte er, daß er sich bei dieser Gelegenheit nicht mit frischem Wein vollaufen lassen konnte. Niemand begehrte mehr gegen den Bau des Tempels auf. Jeder wartete ungeduldig darauf, ihn in seiner ganzen Pracht betrachten zu können. Kaleb hätte sich beim Einschenken der Becher nützlicher machen können als beim Überwachen der Leere, so wie er da im mageren Schatten der Toreinfahrt zur Baustelle saß.

Doch wie staunte, ja erschrak er, als er einen hochgewachsenen Mann mit Golddiadem und weißem Gewand mit goldener Borte auf sich zukommen sah.

Kaleb erkannte König Salomo und erzitterte.

«Niemand… niemand darf hier ohne das Erkennungswort hinein!» verkündete er mit unsicherer Stimme.

Der Herrscher lächelte.

«Mein Siegel gibt mir Zutritt zur ganzen Welt. Falls du mich hinderst, verwandele ich dich in ein wildes Tier oder einen kopflosen Dämon.»

Kaleb fiel vor Salomo auf die Knie.

«Gebieter… ich habe meine Befehle!»

«Bist du Mitglied der Bruderschaft?»

«Ein wenig… nur ein wenig… Aber ich weiß nichts Wichtiges!»

«Wenn das so ist, dann vergiß, daß ich hiergewesen bin. Halte den Mund und gib den Weg frei.»

Gehörte der Tempel nicht dem König von Israel? Wenn er ihn früher als vorhergesehen sah, was machte das schon? Selbst der Hinkefuß Kaleb gefiel sich in der menschlichen Gestalt, die ihm Gott geschenkt hatte. Da war es doch unvernünftig, wenn er sich dem königlichen Zauber entgegenstellte. Und so gehorchte er beflissen.

Salomo trat über die Schwelle und näherte sich langsamen Schrittes Hirams Reich.

Die noch vom Bauzaun verdeckten Tempelwände bestanden aus Ziegeln, die mit Holz verschalt waren. Der untere Teil setzte sich aus drei Schichten behauener Steine zusammen mit Reihen von Zedernholzbohlen, die als Verankerung dienten und den Zusammenhalt bis zum Dach sicherten. Gebälk aus Zedernholz, das in den Wänden verstrebt war, ergab ein festes Flachdach. Das Ganze vermittelte einen anmutigen und beschaulichen Eindruck. Der Baumeister hatte es verstanden, Salomos geheimste Gedanken und seinen heißen Wunsch nach Frieden, der auf der ganzen Welt erstrahlen sollte, in den Linien des Gebäudes umzusetzen.

Ins Innere gelangte er nicht hinein. Bretter und Kalksteinblöcke verwehrten ihm den Zutritt. Enttäuscht wagte sich der König auf den Teil der Baustelle, wo die Werkzeuge aufgereiht lagen und wo sich Meister Hirams Zeichenwerkstatt befand. Die Stille an dem sonst so belebten Ort machte ihn irgendwie glücklich. Er hatte das Gefühl, er arbeitete zusammen mit den Steinmetzen, er sähe ihre Handbewegungen und setzte sich nach Feierabend zu ihnen. Die Handwerker waren zwar nicht anwesend, aber dennoch verwandelte ihr Geist die Materie, als ginge das Werk von allein und auch ohne die Menschen weiter.

Die Zeichenwerkstatt… Dieser Teil von Hirams Reich war ihm verboten. Hier nahm Jahwes Heiligtum Gestalt an. Salomo konnte nicht widerstehen, er stemmte sich gegen die Tür.

Sie ging auf.

Auf der Schwelle eine winzige Tür aus Granit, im Giebeldreieck eine Inschrift: «Du, der sich für weise hält, suche weiter nach der Weisheit.» Auf der Decke Sterne mit fünf Spitzen und dazwischen geflügelte Sonnen. Auf dem Fußboden eine Schnur mit dreizehn Knoten, die um ein versilbertes Rechteck geschlungen war. Die Krüge und Vasen in den Winkeln enthielten Zeichendreiecke und Maßstöcke aus Papyrus mit geometrischen Zeichen. Auf der hinteren Wand eine zweite Inschrift: «Belaste dich nicht mit weltlichen Gütern; dort, wohin dich deine Schritte tragen, wird es dir an nichts mangeln, falls du zu den Gerechten zählst.»

Salomo versenkte sich lange im Inneren der Werkstatt. Hiram hatte sich über ihn lustig gemacht, wollte ihm eine Lehre erteilen. Als er Kaleb zum Hüter machte, hatte der Oberbaumeister gewußt, daß er der Neugier, die den König zwangsläufig zur verlassenen Baustelle ziehen würde, kein Hindernis in den Weg stellte. Worte und Gegenstände waren absichtlich für den aufdringlichen Besucher angebracht worden.

Der König fühlte sich in seiner Eitelkeit getroffen, der Eitelkeit eines Tyrannen. Doch Salomo hatte das Gefühl erfahren, daß er von jetzt an zu einer Bruderschaft gehörte, die, anstatt ihn zu demütigen, seine Liebe zur Weisheit bestärkte.

Gern hätte auch er die Werkzeuge gehandhabt, hätte die Wärme einer Bruderschaft genossen und sich an der Vollkommenheit einer fertigen Arbeit gefreut.

Doch er war der König, und kein anderer als er selbst konnte den Weg gehen, den Gott vorgezeichnet hatte.

War ein Sohn nicht die Krone der Greise, ein Ölbaumzweig, der unter einem strahlenden Himmel heranwachsen sollte, der Pfeil in den Händen eines Helden, der Lohn der Weisen? Ja, ein Sohn würde ein Segen sein.

Die Königin von Israel wollte Salomo einen Sohn gebären, und dabei halfen ihr mehrere weise Frauen, die sie auf den Gebärstuhl setzten. Der König malte sich bereits den köstlichen Augenblick aus, wenn er den kleinen, gewaschenen, mit Salz abgeriebenen und in Windeln gewickelten Körper in den Armen hielt, ehe er ihn zahlreichen, jubelnden Helferinnen zeigte. Der Herrscher durchlebte die Beschneidungszeremonie. Säuberlich würde der Priester die Vorhaut entfernen und ein Pflaster aus Öl, Kümmel und Wein auf die Wunde legen. Dazu würde der Vater den Sohn auf die Knie nehmen, seinen Schmerz mittels seines Zaubers stillen und ihm von seiner Zukunft als Thronerbe erzählen. Er würde ihn lehren, daß jemand, der nicht den Stock gebrauchte, sein Kind hassen müsse. Irrsinn und Verderben warteten auf den, den der Vater nicht auf den Himmel ausrichtete.

Nagsaras Wehgeschrei machte Salomo besorgt. Die junge Frau litt aufgrund der himmlischen Strafe, mit der die Geburt des Menschen bis zum Ende der Zeit belegt war.

Dann wurde sie entbunden.

Eine weise Frau reichte Salomo das Neugeborene.

Der König wies es zurück.

Nagsara hatte ihm keinen Sohn, sondern eine Tochter geschenkt.

Da die Mutter als unrein galt, mußte sie achtzig Tage lang abgeschieden leben. Es war ihr verboten, ihr Zimmer zu verlassen.

Nagsara weinte unaufhörlich. Wie konnte sie Vergebung erlangen? Wenn sie Salomo einen Sohn geschenkt hätte, das Herz ihres Gemahls wäre ihr sicher gewesen. Dieses kleine Mädchen, das sie noch nicht einmal sehen wollte, war eine Beleidigung für Israels glorreichen König.

Als sich Salomo zu einem Besuch herabließ, flehte Nagsara um Nachsicht.

«Laß uns dieses Mißgeschick vergessen, mein Gebieter! Ich schwöre dir, daß ich einen Sohn empfange!»