«Lassen wir ab von der Verschwörung», schlug Salomos Schreiber vor. «Die Vorsehung ist gegen uns.»
«Eine letzte Möglichkeit bleibt uns noch», meinte Zadok. «Jerobeams Idee war hervorragend, wir haben sie lediglich schlecht ausgeführt. Die Lehrlinge sind Hiram zu treu ergeben.»
«Willst du die Meister bestechen?» fragte der ehemalige Fronvogt spöttisch. «Die gehen für Hiram durchs Feuer!»
«Ich denke eher an die Gesellen. Vergessen wir Bestechung, denken wir lieber an Ehrgeiz. Unter ihnen gibt es etliche, die darauf brennen, Meister zu werden und das Erkennungswort zu bekommen, das ihnen das Tor zu großen Geheimnissen öffnet. Zunächst einmal schwächen wir Hirams Ruf. Wir sorgen dafür, daß sein Meisterwerk fehlschlägt. Dann überreden wir zwei, drei Gesellen dazu, diesen schlechten Baumeister zu zwingen, daß er ihnen die Geheimnisse der Meisterschaft enthüllt. Dadurch zerstören wir den Kern der Bruderschaft. Zu guter Letzt beweisen wir, daß Salomo ein wankelmütiger König ist, der die Sicherheit Israels aufs Spiel setzt und Jahwes Ziele verrät.»
Elihap bekam vor Angst kaum noch Luft, doch er traute sich nicht, dagegen aufzubegehren. Jerobeam schöpfte wieder Hoffnung und fuhr sich mit der Hand übers Haar. Der Hohepriester war ein bemerkenswert heller Kopf, jedoch gefährlich. Wenn Salomo gestürzt war, mußte Zadok unbedingt beseitigt werden.
Das Land Saba lebte in Frieden und Glück. Große Wälder, in denen Affen sprangen, bedeckten die Gipfel der Hügel, zwischen denen jasmingesäumte Flüsse dahinströmten. Die Ebenen zierten riesige Gardenien, in denen Hunderte von Vögeln mit rotem, grünem und gelbem Gefieder nisteten.
Bei Sonnenaufgang erschien Balkis, die Königin von Saba, auf dem obersten Dach ihres Tempels, auf dem Sphinxe und Stelen standen, die der ägyptischen Göttin Hathor geweiht waren. Sie bewunderte die hängenden Gärten, in denen es hundertjährige Ölbäume gab, die der Gott Thot der Legende zufolge auf einer seiner Reisen nach Saba eigenhändig gepflanzt hatte.
Die Königin streckte die Arme der aufgehenden Sonne entgegen und richtete ein langes Gebet an sie, in dem sie die Wohltaten pries, die das Gestirn ihrem Land und ihrem Volk erwies, denn wie eh und je schenkten die Berge ihm Gold; besonders ausgebildete Arbeiter ernteten Weihrauch, Zimtstangen und Zimtbäume; Fischer fischten nach Perlen. Diese ganze Herrlichkeit wurde zum Palast gebracht, in dem die Königin den Segen der Sonne und des Mondes heraberflehte.
Ein silbriger Wiedehopf hockte sich auf die Steinkante des Flachdaches. Verkündete er nicht die unmittelbar bevorstehende Ankunft eines Boten, der aus Israel kam? Und schon stellte sich der oberste Ratgeber mit einer Botschaft bei Balkis ein.
Sie las erfreut.
«Ich komme», murmelte sie. «In einem Jahr komme ich nach Jerusalem, Salomo.»
Kapitel 43
Hiram hatte sich von den Reinigungsbecken auf den Vorhöfen ägyptischer Tempel inspirieren und sich eine monumentale Bronzeschale einfallen lassen, die er jetzt am Ufer des Jordan gießen wollte. Beim Anblick des Plans hatten die Meister das Hauptwerk des Baumeisters ‹ehernes Meer› getauft und sich vor den beinahe unüberwindbaren Schwierigkeiten gefürchtet, die auf die Gießer zukamen.
Man hatte Ziegelsteinmauern um eine im Sand vergrabene, riesige Gußform errichtet. Die Form sollte den Bronzeabstich aus den gähnenden Schlünden mehrerer Hochöfen aufnehmen.
Hiram machte sich Sorgen. Das Unternehmen ließ sich gefährlich an. Verschiedene Abflußrinnen konnten den glühenden Strom ablenken, falls es zu einem Zwischenfall kam. Doch die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen überzeugten den Oberbaumeister noch nicht. Alle, die auf der Baustelle arbeiteten, mußten beim geringsten Anzeichen von Gefahr mit der Arbeit aufhören. Er war sogar versucht, seine Schöpfung Traum bleiben zu lassen, doch die Begeisterung der Meister war so groß, daß sie ihn überreden konnten.
Hiram überprüfte die Einnistungen rings um das künftige eherne Meer der Reihe nach, untersuchte eingehend den Ofen darunter und ließ die Arbeiter zum zehnten Mal alle Handbewegungen wiederholen. Alles schien in Ordnung zu sein. Die Begeisterung des großen Ereignisses bewegte alle Herzen.
Gemäß der Tradition der Gießer begann man mit der Arbeit, als die ersten Sterne am Himmel standen. In der Nacht war auch die kleinste Abweichung zu erkennen, und das Auge vermochte dem dahinschlängelnden, glühenden Abstich zu folgen.
Diesen Augenblick hatten Jerobeam und zwei Fronarbeiter gewählt, um einzugreifen. Die Überwachung der Baustelle war nicht mehr so streng, und die Dunkelheit war ihren Absichten günstig. Sie durchstießen die Gußform an mehreren Stellen.
Hiram hob die rechte Hand. Von der Höhe der Ziegelsteintürme rann das Metall in die Kanäle, die zum Hochofen führten. Der rötliche Fluß erhellte die Finsternis, beleuchtete die Fluten des Jordan und die angrenzende Gegend. Die überwältigten Arbeiter hatten den Eindruck, als stiege eine strahlende Sonne aus den Tiefen der Erde, ein Licht von jenseits des Grabes, das sich von den Flammen der Hölle nährte. Der glühende Strom schien einer verbotenen Welt zu entspringen, die von unbekannten Gesetzen regiert wurde.
Der feurige Fluß schwoll an und drohte, über die Ufer zu treten. Doch die Gießer schafften es, ihn so zu regulieren, daß er in den Kanälen blieb. Als alle Rinnen mit dem Metallabstich gefüllt waren, bildete ihr Netz eine Landschaft aus Feuer, die von hundert Flüßchen bewässert wurde, die alle einer zentralen Feuerstelle mit unersättlichem Appetit zuströmten. Hingerissen betrachteten die Handwerker den langsamen und feierlichen Strom, der die Höhlungen des ehernen Meeres füllte. Auf hitzegeröteten Gesichtern zeichnete sich ein Lächeln ab. Das Meisterwerk nahm Form an.
Auf einmal sprang die glühendheiße Flüssigkeit aus einer Rinne und drohte, das Holzgerüst in Brand zu setzen.
«Die Feuertöpfe!» brüllte der Oberbaumeister.
Auf den Türmen griffen mehrere Gießer zu langen Stangen, an denen Töpfe befestigt waren, die sie in den Metallstrom tauchten und mit denen sie Masse und Fluß verringerten. Das ging so schnell, daß die Riesenschale keinen Schaden nahm. Die überschüssige Bronze verlief sich auf der Erde, wo sie knisternd verlosch.
Hiram überzeugte sich, daß sich kein Arbeiter verletzt hatte. Er atmete tief durch. Der Abstich lief dorthin, wohin er sollte, und begann, das riesige Rund des ehernen Meeres zu bilden und die massiven Leiber von zwölf Stieren anzunehmen, die es stützen sollten.
Ein Entsetzensschrei traf ihn ins Mark.
«Die Form! Die Form birst!»
Der Gießer, der den Riß bemerkt hatte, wurde von einer wütenden Lava besprüht, die sich aus ihrem Gefängnis befreite. Sie verbrannte ihm Gesicht und Brust, und er starb auf der Stelle.
Überall auf seinem Weg versuchte der Feuerfluß, sein Bett zu verlassen. Noch ein Augenblick, und das eherne Meer war geboren.
Ein Geselle stürzte auf Hiram zu.
«Meister, wir müssen den Fluß aufhalten! Wenn er über die Ufer tritt, zerstört er alles, und Dutzende müssen sterben!»
«Wenn wir zu früh eingreifen, wird alles noch viel schlimmer.»
Die Form riß weiter. Doch der Abstich verfestigte sich bereits. Der Geselle glaubte, der Oberbaumeister hätte den Verstand verloren und sorgte sich mehr um sein Meisterwerk als um die Brüder, und so kletterte er auf einen der Rundtürme aus Holz, der Tausende von Eimern Wasser enthielt. Wahnsinnig vor Angst ließ er die Sintflut los.
Während der Abstich noch in der Form stöhnte, verwandelte sich seine glühendheiße Oberfläche, als sie mit dem Wasser in Berührung kam, in einen kochenden Springbrunnen. Ein heißer Regen ergoß sich auf die Arbeiter, die laut schreiend flohen.