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«Hast du einige bestechen können?» fragte der Hohepriester.

«Fast. Ein paar Gesellen sind sehr unzufrieden mit Hirams Einstellung ihnen gegenüber. Drei davon, ein syrischer Maurer, ein phönizischer Schreiner und ein hebräischer Schmied, wollten gern befördert werden, aber das hat er ihnen abgeschlagen. Laßt uns die drei anstiften, daß sie das Erkennungswort der Meister erlauschen und ihre Geheimnisse aufdecken. Im Gegenzug für unsere Unterstützung teilen sie uns das mit, dadurch wird der Baumeister abgewertet und der König in Schwierigkeiten gebracht.»

«Auf mich könnt ihr dabei zählen», versicherte Zadok. «Schafft mir Hiram vom Hals, und ich verjage Salomo von seinem Thron.»

Elihap wußte nicht mehr, ob er sich an dieser neuen Verschwörung beteiligen sollte. Doch er hatte zuviel Angst vor seinen beiden Helfershelfern, als daß er aufbegehrt hätte.

Was blieb vom Menschen nach seinem Verschwinden von dieser Erde? Eine leuchtende Spur, ein Schatten, ein Gefühl… Trafen sie sich in den finsteren Gegenden, wo Stille herrschte, so weitentfernt von dieser Welt, daß sogar Jahwes Zorn, der dröhnte wie tausend Gewitter, sie nicht mehr erreichen konnte?

Hiram erlebte den Sonnenaufgang auf dem Pflaster des Vorhofs mit besorgtem Gemüt, denn ihn quälten düstere Gedanken. Der Tod umflog ihn wie ein Nachtvogel, der dem anbrechenden Tag widersteht.

Als die Trompeten erschollen, öffneten sich die Tore des Heiligtums, und die ersten Priester stiegen hinauf zu Jahwe. Dann brachte Zadok das morgendliche Brandopfer dar. Das Blut floß, das Fleisch des Mutterschafes zuckte. Die Rauchwolken aus dem Tempel zogen gen Norden und kündigten verregnete Tage an.

Hiram konnte keine Freude mehr empfinden. Die Rolle des Spions behagte ihm ganz und gar nicht. Einen Tempel zu erschaffen, um der überlieferten Weisheit neue Gestalt zu geben, das war des Hauses des Lebens würdig. Einen König zu verraten, für den er Bewunderung und Freundschaft empfand, das stieß ihn ab. Er ertrug es nicht, daß er sich in seinen eigenen Augen erniedrigte. Wenn er träumte, suchten ihn drohende Gestalten heim, kamen Nacht für Nacht wieder… Sollte er nicht auf die Warnungen aus dem Jenseits hören?

«So in Gedanken versunken, Meister Hiram?»

«Majestät, du…»

«Zufällig bin ich allein, genauso allein wie du, und vor Tagesanbruch hierhergekommen, um dein Werk zu betrachten. Gott hat mir einen genialen Baumeister geschickt, vielleicht sogar einen Freund. Denn bist du nicht Abgesandter jener Weisheit, die ich überall im Morgenland suche?»

«Nein, Majestät, ich bin ein schlichter Handwerker.»

«Ein ägyptischer Oberbaumeister», berichtigte Salomo. «Ein Mann, der anders ist als andere.»

«Ein Mann, für den die Stunde der Rückkehr in sein Land geschlagen hat, Majestät. Meine Arbeit ist jetzt wirklich beendet. Das eherne Meer ist aufgestellt. Kein einziger Stein des Tempels wird in Jahrhunderten erzittern. Befreie mich von meinem Auftrag, Majestät. Ich brauche deine Zustimmung.»

«Du bist stolz und scheu, Meister Hiram. Aber du verstehst dich darauf, mit Menschen umzugehen und sie anzuleiten.»

«Nur mit der Absicht, zu bauen. Regieren ist deine Sache, nicht meine.»

«Wann willst du aufbrechen?»

«Nach dem Ende dieser letzten Unterhaltung. Allein und ohne Begleitschutz. In Ägypten werde ich mich lange in der Wüste aufhalten. Vielleicht reinigt sie mich ja.»

«Du verdienst eine große Belohnung. Dazu würde nicht einmal ein wahrhaftiger Schatz reichen.»

«Ich möchte nichts haben, Majestät.»

«Und die Mitglieder deiner Bruderschaft? Was wird nach deinem Aufbruch aus denen? Du hast riesige Baustellen organisiert, großartige Arbeiten in Angriff genommen, Hunderte von Handwerkern und Tausende von Handlangern eingestellt und ausgebildet, eine ganze Bruderschaft aufgebaut. Wem soll die gehorchen, wenn du nicht mehr ihr Leiter bist?»

«Ihrem König, Majestät.»

«Nein, Meister Hiram. Ich brauche dich noch. Jedes Jahr strömen große Reichtümer nach Jerusalem. Die Arbeit der Provinzen, der Handel, Expeditionen in ferne Länder verschaffen mir mehr als dreiundzwanzig Tonnen Edelmetalle. Die reichsten Herrscher schicken mir Geschenke. Dank des Tempels ist Israel ein bedeutender Staat geworden, dem das Glück hold ist. Mit dem Gold aus Saba wirst du mir zweihundert normal große Schilde und dreihundert kleinere machen. Erstere soll meine Leibwache bei großen Festen dem Volk zeigen. Letztere sind der Grundstock einer Schatzkammer, die in ein Gebäude kommen soll, das du baust. Der Rest des Goldes wird unter dem Fußboden des Allerheiligsten versteckt. Den kann man gut gebrauchen, wenn mein Land schlimme Zeiten durchmacht. So will ich es, Meister Hiram.»

Mit Feuereifer stürzte sich der Baumeister in dieses neue Unternehmen. Meister, Gesellen und Lehrlinge waren glücklich, daß sie unter dem Befehl des von ihnen verehrten Hiram mit ihrem Abenteuer weitermachen konnten. Nachdem er dem König ein Modell vorgestellt hatte, umgab Hiram drei Seiten des Tempels mit dreistöckigen Gebäuden, die durch Schwingtüren verbunden waren und deren Stockwerke jeweils etwas zurückgesetzt waren. Hier sollten die Reichtümer des Königreiches gelagert werden.

An der Straße, die zur Stadt führte, erhob sich das beeindruckendste Gebäude, das Haus vom Walde Libanon. Im Inneren dieser gewaltigen Schatzkammer, die hundert Ellen lang und fünfzig Ellen hoch war, hatte Hiram viele Zedernstämme aufgestellt, die das Dach stützten. Oben waren behauene Balken geschickt in die Äste von rund sechzig Bäumen eingepaßt.

Mehr als ein Jahr verging in fieberhafter Gemeinschaftsarbeit, die jedoch schönste Früchte trug, und dann kam ein Herbst, in dem die Trauben- und Olivenernte außergewöhnlich reich ausfiel. Auf den Feldern bewunderten die Landarbeiter, wenn sie die Zugochsen der Karren führten, die elegante Silhouette des Hauses vom Walde Libanon. Dieses Bild tröstete sie über eine Arbeit hinweg, die ihnen durch die Trockenheit des felsigen Bodens erschwert wurde, auf dem überall Disteln wuchsen.

Dem neuen Jahr, das mit dem Versöhnungsfest gefeiert wurde, ging eine Fastenzeit voraus, in der Israel rituell seine Sünden büßte. Beim Herbstgottesdienst, als das ganze Volk Gott anflehte, sich gnädig zu erweisen, war Arbeiten unter Todesstrafe verboten. Und es wurde streng gefastet.

Nur bei diesem großen Ereignis durfte der Hohepriester mit Salomos Genehmigung das Allerheiligste betreten und es vom Makel des vergangenen, im Sterben liegenden Jahres reinigen, indem er das Blut eines Stieres, vermischt mit dem eines Ziegenbocks, opferte. Eingeleitet von Trompetenstößen, hatte sich eine Prozession zum Tempel gebildet. Das Land war unter Gesängen gesegnet worden, Bauern lagen auf den Knien und hörten die Stimmen der Vorfahren, die sie daran gemahnten, daß nur der HERR das Land fruchtbar mache.

Rings um Jerusalem standen Laubhütten und Glückszelte. Tausende von Pilgern kamen und verweilten dort genauso wie Stadtbewohner, die ihre Wohnungen während des Laubhüttenfestes verlassen hatten, das auf das Versöhnungsfest folgte. So gedachte man der ewigen Irrfahrt des Menschen auf dieser Erde. So erinnerte man sich an die Verbannung einer zwischen Nomaden und Seßhaften zerrissenen Rasse.

Auf dem Vorhof lauschte Hiram neben Salomo den Gesängen der Priester und dachte an den Eckstein, den ehemalige Baumeister verworfen hatten, den Jahwe jedoch zum Fundamentstein gemacht hatte. Er, der Baumeister des Tempels, kam sich so ausgeschlossen vor wie die kleine Pyramide, die nur Gott selbst hinzusetzen verstand, damit das Bauwerk gelingen konnte. In welche Richtung des Universums würde ihn sein Leben von nun an führen? Ägypten wollte ihn nicht haben, Israel sperrte ihn ein.

«Der Ziegenbock!» rief ein zelebrierender Priester. «Das hier ist der Sündenbock, der unsere Unreinheiten und Sünden auf sich nimmt!»