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Eine geraume Weile verharrte er so, unbeweglich und einem vor der Sonne erstarrten Späher gleich.

Salomo war gereizt, denn er glaubte, Hiram wäre von Sinnen. Wie wollte es der Baumeister schaffen, die in der Stadt und auf dem Land verstreuten Arbeiter herbeizurufen? Am liebsten hätte der König dieses lächerliche Schauspiel unterbrochen, doch Balkis blickte Hiram eindringlich an.

Auf einmal hörte man Gemurmel am Eingang zum Hof. Die Höflinge schubsten sich; aneinandergedrängelt machten sie den Meistern und Gesellen Platz, die mit streitlustigen Mienen den Hof umzingelten. Aus den Gassen kamen ganze Scharen von Lehrlingen heraufgestiegen, gefolgt von den Handlangern. Steinmetze, Steinhauer, Maurer, Tischler, Schreiner, Gießer, Schmiede – alle zogen in Richtung Tempel und folgten dem Ruf Meister Hirams.

Sie bildeten ein stummes und friedliches Heer, dessen Macht jedoch augenscheinlich war. Binnen einer knappen Stunde hatte Hiram Tausende von Männern versammelt, die sich auf ein Zeichen hin mit dem gleichen Feuereifer und der gleichen Disziplin wie erfahrene Soldaten seinem Befehl unterstellten.

Die Höflinge hatten Angst, Salomo saß unbeweglich da. Dank der Königin von Saba kannte er jetzt die Grenzen seiner Macht: Er regierte in Israel nicht allein.

Der Baumeister verschränkte die Arme.

«Dein Wunsch ist erfüllt», sagte er zu der Königin von Saba.

«Hüte dich, Meister Hiram», murmelte Balkis.

Kapitel 47

Ein lauer Herbstwind wehte, der kleine, weiße Wolken über Jerusalem hinwegblies, die das Ende der großen Hitze ankündigten. Jetzt kam für fröhliche Scharen junger Leute die Zeit, in den Weinbergen unter Feigenbäumen und Ölbäumen zu schlafen, die zwischen den Rebstöcken gepflanzt worden waren, die nicht zurückgeschnitten wurden. Die Erfahrensten zeigten den Neulingen, wie man das Rebmesser handhabte, mit dem man die riesigen, roten Trauben sonnengereiften Weins abschnitt. In der Regel hatte man es damit nicht eilig, doch dieses Mal beeilten sich die Kräftigsten, die Weidenkörbe zu leeren und den Inhalt in einen Keller zu schütten, wo junge Leute mit Begeisterung Trauben traten.

Der Oberhofmeister hatte reichlich Wein angefordert, der beim Festmahl Salomos für die Königin von Saba bestimmt war. Dazu hatte er zahlreiche Tische aufstellen lassen, denn der gesamte Hof wollte an dem Empfang teilnehmen. Er gebot über eine ganze Schar von Köchen und Mundschenken, rannte jedoch von einer Stelle zur anderen, aus Angst, in Verzug zu geraten.

Die sonderbare Haltung des Schreibers fiel ihm auf, der sich an der Mauer entlangdrückte, als er seinem Arbeitszimmer zustrebte.

«Was ist los, Elihap?»

«Nichts… muß Papyrus einordnen.»

Der Schreiber konnte nicht gut lügen.

«Bei all diesen Festlichkeiten habe ich es eilig», meinte der schmerbäuchige Würdenträger. «Du bist besorgt? Warum?»

Elihap drückte einen zerknitterten Papyrus an die Brust.

«Zeig her.»

«Nein…»

«Es gibt Geheimnisse, die sind für einen allein zu schwer zu tragen.»

Elihap hatte so offensichtlich Angst, daß er sich nicht wehrte, als sich der Oberhofmeister des Papyrus’ bemächtigte.

Er las, wurde aber nicht schlau daraus.

«Elihap, benachrichtige auf der Stelle den König.»

Salomo war mit seinen Vorbereitungen gerade fertig, als sein Schreiber um Audienz bat. Gereizt willigte er ein.

«Fasse dich kurz.»

«Majestät… es handelt sich um einen Bericht…»

«Ist er wichtig?»

«Ich fürchte ja.»

«Dann sprich!»

«Die Nachforschungen sind zu einem amtlichen Ergebnis gekommen. Jerobeams treue Leute haben die Einrüstung des ehernen Meeres beschädigt. Sie sind schuld am Tod von Dutzenden von Arbeitern.»

«Jerobeam… Dieser Bericht muß geheim bleiben. Falls etwas durchsickert, mache ich dich dafür verantwortlich.»

Elihap verbeugte sich.

Salomo und die Königin von Saba nahmen bei einem üppigen Festmahl, auf dem Nagsara und Meister Hiram fehlten, den Ehrenplatz ein. Nagsara hatte sich mit hohem Fieber in ihre Gemächer zurückziehen müssen, und Meister Hiram wollte mit seinen besten Arbeitern die Gerichtshalle fertigstellen.

«Diese Mahlzeit ist ein heiliger Akt», sagte Salomo, ehe das Essen aufgetragen wurde. «Es sei Gott dargeboten, so wie Gott es unserem Vorvater Abraham im Kastanienhain von Mamre dargeboten hat.»

Karren hatten Gerste, Weizen, Oliven, Melonen, Feigen, Weintrauben, Granatäpfel, Mandeln, Pistazien, Brombeeren und Schoten vom Johannisbrotbaum herangebracht. Zu Bienenhonig, Weintrauben und Datteln gab es Brot und gebratenes Fleisch. Der Wein, dessen Herstellung Gott Noah verraten hatte, floß in Strömen. Feuriger Rotwein aus Krügen oder Schläuchen rann in Tonbecher.

Der König schenkte Balkis seltene Myrrhe aus Dornengewächsen der finsteren Gegend um Ghor, in deren Einöden die kostbarsten Duftstoffe gewonnen wurden.

Dichter trugen herrliche Gedichte vor, in denen sie die Schönheit Israels und die Tugenden seiner Söhne priesen. Salomo befürchtete, daß die Königin von Saba diesen Augenblick für ihr Rätsel gewählt hatte. Doch Balkis begnügte sich mit dem Verspeisen der Gerichte und beantwortete die bewundernden Blicke der Festteilnehmer mit einem Lächeln.

Jerobeam zog die Kapuze herunter, die seinen Kopf bedeckte. Er hatte sich den Bart abrasiert, die Haare schwarz gefärbt und die Narbe auf der Stirn mit Farbe übermalt.

«Majestät, ich habe mich mit meinem Kommen in große Gefahr begeben.»

«Du hast gar keine andere Wahl gehabt», sagte Nagsara scharf. «Ein Untertan hinterfragt die Befehle seiner Königin nicht.»

Der Riese grinste.

«Ich habe keinen König und keine Königin mehr… Dieser Palast wird mich nie wieder als Speichellecker zu sehen bekommen.»

«Warum dieser Groll?»

«Warum diese heimliche Unterhaltung?»

Nagsara hatte über Elihap als Mittler den Mann zu sich gerufen, den der königliche Schreiber bereits für einen Abtrünnigen und Aufwiegler hielt.

In dem Flügel des Palastes, den die Königin bewohnte, gab es nur noch einen alten Blinden, der sich die Zeit mit Schlafen vertrieb. Das restliche Gesinde bediente beim Festmahl.

Die Ägypterin hatte selbst auch Angst. Jerobeam strahlte die Gewalttätigkeit eines enttäuschten, halsstarrigen Mannes aus, der in seinem Haß zu allem fähig war. Doch es gab für sie kein Zurück. Die Flamme hatte endlich gesprochen. Sie konnte ihr Glück nur durch eine fürchterliche Tat erringen.

«Ich brauche dich, Jerobeam.»

Der ehemalige Fronvogt reckte das kantige Kinn. Israels Königin demütigte sich vor ihm.

«Ich höre, Majestät.»

«Würdest du gern reich sein?»

«Morgen wird mich Salomo verhaften. Geld rettet mich auch nicht mehr.»

«Was willst du dann?»

«Einen von dir eigenhändig geschriebenen Brief, damit mich dein Vater, der Pharao, empfängt. Ich kann mein Leben nur retten, wenn ich nach Ägypten fliehe.»

Nagsara griff zu einer Schreibbinse und verfaßte ein paar Zeilen Hieroglyphen auf sehr teurem Papyrus.

«Dank dieser Botschaft wird dein Wunsch in Erfüllung gehen.»

«Und welchen Dienst soll ich dir erweisen?»

Im Blick der Königin flackerte es beunruhigend.

«Du sollst die Königin von Saba umbringen.»

Die sieben Silbertrompeten, die den Beginn des täglichen Gottesdienstes verkündeten, erschollen. Die Königin von Saba zeigte sich auf der Stelle des Vorhofes, der Heiden vorbehalten war. Zadok und die Priester waren sich sicher, daß sie nicht weitergehen würde. Nur ein wahrer Gläubiger hatte das Recht, diese Grenze zu überschreiten.