«Sie soll sehr schön sein», sagte ihre Gefährtin. «Und unser König ist so verführerisch…»
«Laßt sie doch von den Freuden der Liebe kosten, Hauptsache, Salomo achtet seine Ehe!»
«Ist eine Vermählung mit der Herrscherin von Saba nicht gut für den Frieden?» fragte Balkis.
«Ein Hirngespinst!» meinte die ungestümste der Bäuerinnen. «Dank der Pharaonentochter leben Israel und Ägypten in gutem Einvernehmen. Saba bringt uns nur Unglück. Salomo sollte sich lieber um den Baumeister aus Tyros kümmern.»
«Und warum?»
«Dieser Hiram mit seinen Heerscharen von Arbeitern ist der wahre Herr des Landes. Er kann alles schaffen, alles bauen. Er gibt sich wie ein Fürst. Und die Dämonen lassen ihm freie Hand.»
«Was sollte Salomo tun?»
«Ihn loswerden! Wenn nicht, wird er seinetwegen den Thron verlieren. In unserem Land ist kein Platz für zwei Könige.»
Mit gefülltem Krug wanderte Balkis in den nahe gelegenen Obsthain und setzte sich unter einen Feigenbaum. Eine süße Frucht im Mund, kühler Schatten, laue Luft… Israel glich einem Paradies. Ein Paradies, dessen Königin sie nicht sein würde.
Kapitel 50
Von Osten bliesen stürmische Winde und drückten den übelkeitserregenden Rauch des Brandopfers nach Jerusalem hinein. Weihrauch und verbranntes Fleisch vermischten sich zu einem abscheulichen Geruch. In Israel war es plötzlich so kalt geworden, daß zahllose Priester erkrankten, da sie barfuß auf den Steinen des Vorhofes gehen mußten. Erkältungen und Durchfall hielten sie von den Gottesdiensten fern, so daß deren Ausgestaltung zu wünschen übrigließ.
Salomo hatte sich in seinem Palast eingeschlossen. Seit einer Woche gewährte er keine Audienzen mehr. Nachdem ihm die Königin von Saba mitgeteilt hatte, daß sie ihn auf keinen Fall heiraten würde, hüllte er sich in Schweigen und weigerte sich sogar, Zadok und Elihap zu empfangen.
Die letzten Priesterwohnungen waren fertiggestellt. Hiram hatte befohlen, die Gerüste zu entfernen und die Fassaden zu verputzen. Jerusalems heiliger Bezirk auf dem vom Baumeister gezähmten Felsen erstrahlte in beinahe vollendeter Pracht.
Wie hätte sich Salomo darüber gefreut, er, der zum ersten Mal im Leben gescheitert war, und das noch dazu so ungemein schmerzlich.
Von Ezjon-Geber am Ufer des Jordan wanderte Hiram von Baustelle zu Baustelle. Da die großen Arbeiten in Jerusalem beendet waren, gab er der Handwerkerschaft neue Aufgaben, denn die hing von seinen Befehlen ab. Statt Anarchie herrschte Ordnung in seiner Bruderschaft. An die Spitze jedes Handwerks hatte er einen Verantwortlichen gestellt, der dem Meisterrat Rechenschaft schuldete. In einigen Jahren würde Israel ein neues Ägypten sein. Schreiner und Steinmetze erneuerten die Dörfer, schufen neue Tempel und verschönerten die Städte.
Anup begleitete den Oberbaumeister überall, während sich Kaleb sorgfältig um die Höhle kümmerte, in der Hiram noch immer beharrlich lebte, denn andere Wohnungen lehnte er ab. Nur dort gestand er sich zwischen zwei Reisen einige Ruhestunden zu. Der Hinkefuß hatte einen Weg bis zu einer unweit gelegenen Quelle freigeschlagen, die in einem Dickicht aus Gestrüpp, Jasmin und kleinen Palmen verborgen lag. Salomo höchstpersönlich hatte diese Wasserader zu Beginn seiner Herrschaft mit der Wünschelrute aufgespürt, die ihm sein Vater vererbt hatte.
Dorthin ging der Baumeister jeden Morgen und wusch sich.
Er hatte nicht erwartet, die Königin von Saba dort nackt anzutreffen, die sich anmutig mit sonnenglitzerndem Wasser bespritzte.
«Nicht weglaufen, Meister Hiram. Erschreckt dich die Vision einer Frau? Wer macht in Ägypten bei Festmählern Musik, wenn nicht nackte Frauen?»
Der Baumeister drehte sich um und lehnte sich an einen Palmenstamm.
«Dein Platz ist nicht hier.»
«Warum sollte sich eine Königin nicht mit dem mächtigsten Mann im Land unterhalten?»
«Wer wagt es…»
«Das Volk, Meister Hiram, und seine Stimme lehrt uns etwas.»
«Ich kenne nur die meiner Arbeiter. Mein Beruf ist nicht Herrschen.»
«Bist du in dieser Hinsicht neidisch auf Salomo?»
«Heirate ihn nicht, Majestät.»
Die Königin kam aus dem Wasser, trocknete sich mit weißem Leinen ab und zog ohne Eile eine leichte Tunika an.
Hiram hatte den Blick nicht von ihr abwenden können. Sie hatte überhaupt nicht versucht, sich zu verstecken.
«Ich werde Salomo nicht heiraten», teilte sie ihm mit. «Aber das hindert mich nicht daran, ihn zu lieben.»
«Du liebst ihn nicht. Er reizt dich. Er fasziniert dich wie der Berglöwe. Er wird dich ersticken.»
«Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ich habe von Israels König nichts zu befürchten.»
«Ich muß gehen, Majestät.»
«Warum fliehst du? Warum flüchtest du dich in eine Arbeit, die deinen hohen Zielen nicht mehr angemessen ist?»
Balkis schöpfte mit der rechten Hand Wasser.
«Hörst du, wie es zwischen meinen Fingern verrinnt? Denke an dein Schicksal, das sich in diesem Land erschöpft, während es in Saba neue Kraft gewinnen könnte, ist es nicht so?»
«Das sind zu viele Fragen, Majestät.»
Er ging, und Balkis blickte ihm nach. Er war ihr ein zweites Mal entkommen.
Als der Himmel dunkelblau wurde und sich mit Sternen schmückte, begab sich Nagsara zum Fuß des Felsens. Sie hatte den Kopf mit einem Schleier bedeckt, bloße Füße und glich so den Dienerinnen, die Wasser für den Frondienst schleppten.
Angst schnürte ihr die Kehle zu. Würde Meister Hiram auf ihre Aufforderung reagieren? Hatte der Hinkefuß ihre Botschaft überbracht? Der heilige Bezirk über ihr erdrückte sie schier mit seiner beeindruckenden Masse. Wie sich die Hauptstadt Israels doch verändert hatte! Die Stadt Davids war Salomos Königreich geworden. Niemand dachte mehr daran, den Ruf des Königs in Frage zu stellen. Gott hatte seinem Volk einen außergewöhnlichen Führer geschenkt, dessen Andenken so glorreich sein würde wie das von Moses.
Nagsara hätte glücklich sein können, falls er ihr ein wenig Liebe geschenkt hätte. Als Salomo sie vergaß, hatte er sie ausgelöscht. Diese verfluchte Balkis hatte Zauberkünste spielen lassen, denen die Pharaonentochter nichts entgegenzusetzen hatte.
Sie sah Hiram einen steilen Pfad hochsteigen. Auch er hatte das Gesicht verhüllt, doch es gelang ihm schlecht, seinen eindrucksvollen Wuchs und seine Herrscherhaltung zu verbergen. Neben Salomo war er der einzige Mann, der Nagsara so beeindruckte, daß sie innerlich zitterte. Er besaß nicht die strahlende Schönheit des Königs, doch sein Ernst und seine Kraft machten ihn ebenso anziehend.
«Ich bin da, Königin von Israel.»
«Ich brauche dich, Meister Hiram.»
Der Baumeister spürte, wie verstört die Königin war. Ihre Stimme zitterte. Als der Mondschein ihre Züge erhellte, merkte er, daß sie sehr abgemagert war.
«Hilf mir, Salomo zu retten. Er muß aus dem Bann dieser Sabäerin befreit werden. Du bist Ägypter, da bin ich mir sicher. Wir gehören derselben Rasse an. Der Nil ist uns Vater und Mutter. In diesem fremden Land, in dem das Schicksal mich zu leben verurteilt, bist du meine einzige Stütze. Darum ist dein Name auch in meine Kehle eingebrannt.»
Wie von Sinnen warf sich Nagsara dem Oberbaumeister an die Brust.
«Halte mich fest… mir ist kalt, und ich bin müde, so müde… Ich wollte doch nur geliebt werden. Warum begreift Salomo das nicht?»
«Der König wird Balkis nicht heiraten», teilte Hiram ihr mit.
Der jungen Ägypterin wurde wieder warm. Wie wohl sie sich fühlte, wie aufgehoben! Ach, wenn doch dieser Oberkörper, dieser Arm, dieses Gesicht dem Mann gehört hätten, den sie anbetete.
«Man muß die Frau aus dem Land jagen», beharrte sie. «Sie bringt Unglück. Das Flammenorakel hat mich gewarnt. Sei du das Instrument meiner Rache.»