«Was verlangst du von mir?»
«Daß du Salomo überzeugst, sie nach Saba zurückzuschicken.»
«Ist das nicht etwas kindisch?»
«Du bist der heimliche Herr dieses Landes. Wenn deine Arbeiter streiken, ist der König gezwungen, dir zu gehorchen.»
«Meine Arbeiter arbeiten, bis sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeit richtig auszuführen. Streik ist wie Krieg. Er darf nicht zur Erpressung dienen.»
«Dann bringe Balkis um!»
Nagsara löste sich aus Hirams Umarmung. Ihr Aufschrei hatte den Haß aufgezeigt, der sich während vieler schlafloser Nächte aufgestaut hatte.
«Meine Hände sind zum Bauen bestimmt, nicht zum Töten. Was du verlangst, ist Wahnsinn.»
«Dann verachtest du mich auch…»
Nagsara sank gegen den Felsen. Welchen Beistand hätte ihr Hiram auch in der Finsternis bringen können, in der sie unterging?
Auf Befehl Salomos und nach einem diplomatischen Briefwechsel hatte sich Elihap den Winter zunutze gemacht und war nach Ägypten aufgebrochen, um das Problem Jerobeam am Hofe des Pharaos zu lösen. Zwar war das zwischen Ägypten und Israel geschlossene Bündnis durch Nagsaras Anwesenheit in Jerusalem nicht in Frage gestellt, doch es war Brauch, daß Siamun einen Feind Salomos auslieferte und andersherum genauso.
Elihap merkte, daß der vom Sohn Davids begründete Frieden kein Wahnbild war. Er reiste mit kleinem Gefolge und kam durch glückliche Städte und Dörfer, in denen die Handwerker aus Hirams Bruderschaft die alten Häuser ausbesserten und neue bauten. Bis zur Grenze sah Salomos Schreiber ein friedliches und blühendes Land. Ein Trupp ägyptischer Soldaten empfing ihn und geleitete ihn bis zur prachtvollen Stadt Tanis, die von Kanälen durchzogen wurde, an die Gärten und Parks grenzten, in denen sich die Herrenhäuser des Adels versteckten.
Elihap verwunderte sich über die Stille auf den Straßen. Die Ägypter hatten den Ruf, frohe und lachende Menschen zu sein. Auf den Märkten wurde tüchtig gestritten. In der Regel waren die Hauptstraßen der Stadt von zahlreichen Karren befahren. Doch Tanis wirkte so leblos, als hätten es alle Bewohner verlassen.
Die Flure des Palastes waren leer. Kein einziges Grüppchen von Höflingen in eine Unterhaltung vertieft. Ein Hofmeister führte Elihap in das weiträumige Arbeitszimmer des Wesirs, dessen Fenster auf einen Teich mit Seerosen gingen. Der Oberste Berater Ägyptens war ein hochgewachsener und herrischer Mann. Der kleine, schwarze Schnurrbart konnte seine strenge Miene auch nicht mildern.
«Verzeih diesen jämmerlichen Empfang, aber die Zeiten sind düster. Der Pharao ist ernstlich erkrankt.»
«Befürchtest du, daß er stirbt?»
«Die besten Ärzte sind an Siamuns Krankenlager. Sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.»
«Dann kommt dir mein Besuch wohl ungelegen.»
«Keineswegs. Doch du mußt verstehen, daß jetzt viele Angelegenheiten, auch wenn sie noch so dringlich sind, liegenbleiben müssen. Das ist jedoch kein Hinderungsgrund, sie anzusprechen.»
«Der Fall Jerobeam beispielsweise…»
«Der wohnt augenblicklich in einem Landhaus im Delta. Unsere beiden Länder sind Verbündete. Hebräische Staatsbürger, die unsere Gesetze achten, können sich in Ägypten frei bewegen.»
Salomos Schreiber witterte, daß ihm das Glück hold war. Siamuns Nachfolge versprach, schwierig zu werden. Man raunte den Namen eines Libyers, der, einmal auf dem Thron, sofort daran denken würde, den Frieden zu brechen und Gegner Salomos zu begünstigen. Jerobeam, dem Verbannten, winkte vielleicht eine große Zukunft am zukünftigen, ägyptischen Hof. Elihap war es sich schuldig, auf mehreren Ebenen gleichzeitig vorzugehen. Der Erfolg schien ihm gewiß, vorausgesetzt, er stellte einen gefährlichen Gegner kalt, der sich niemals in seine Strategie einbinden ließ.
«Durch meinen Mund wünschen Israels König und sein Volk unserem Bruder, dem Pharao, baldige Genesung. Was Jerobeam angeht, so üben wir uns in Geduld und warten auf die Entscheidung des Pharaos.»
Diese Einstellung freute den Wesir. Siamuns Seele würde demnächst vor den Toren des Jenseits stehen. Kein Arzt konnte ihn retten. Und im Schatten hielt sich schon der Libyer bereit. Seine Parteigänger waren zahlreich und entschlossen. Jerobeam, der seinen Haß auf Salomo nährte, hatte ihn schon kennengelernt. Man zwang den Wesir also nicht, Jerobeam auszuliefern, und das verschaffte ihm die nötige Zeit, die neue Lage besser einzuschätzen, die sich in den nächsten Monaten ergeben würde.
«Salomos Weisheit wird ihrem Lob gerecht», meinte er. «Ägypten ist ihm für seine Nachsicht verbunden.»
«Uns drückt eine größere Sorge», teilte ihm Elihap mit.
«Und die wäre?»
«Der zu große Einfluß des Oberbaumeisters, der den Tempel gebaut hat, Hiram, der Tyrer. Die Mitglieder seiner Bruderschaft sind überall in Israel. Sie gehorchen nur ihm. Salomo ärgert sich darüber, aber wie könnte er gegen den Erbauer von Jahwes Tempel vorgehen? Ich hätte gern gewußt, was deine Regierung bezüglich Hirams denkt.»
Der Wesir, der Augen und Ohren des Pharaos sein durfte, wußte, daß Hiram niemand anders war als der Baumeister Horemheb, den das Haus des Lebens ausgeschickt hatte. Und er fragte sich schon lange, warum er nach Beendigung der Arbeiten auf dem Felsen von Jerusalem nicht nach Hause gekommen war. Dieses Geheimnis kannte allein Siamun.
«Wir dürfen zum Geschick eines fremdländischen Baumeisters keine Stellung nehmen», sagte der Wesir.
«Er jedoch äußert sich heftig gegen Ägypten», entrüstete sich Elihap. «Unaufhörlich spricht er von seinem Haß auf den Pharao, so daß Salomo ihm schon befohlen hat, den Mund zu halten.»
Aha, schloß der Wesir, dann ist der frühere Horemheb wahrhaft zu Hiram geworden. Die Vergünstigungen seiner Stellung haben ihn geködert, er hat seine Abstammung vergessen und seine Herkunft verraten. Und wie alle Abtrünnigen gibt er sich als wilder Gegner des Landes, das ihn gehegt und gepflegt hat.
«Salomo ist ein duldsamer König», bekräftigte Elihap. «Seine hohen Würdenträger müssen ihn davon abhalten, allzu großzügig zu sein, insbesondere hinsichtlich Hirams. Nimmt Ägypten daran Anstoß?»
«Ich wiederhole: Es ist nicht unsere Sache, uns um fremdländische Baumeister zu kümmern.»
Kapitel 51
Das Gefolge der Königin von Saba hatte seine Zelte auf einer Blumenwiese gegenüber von Jerusalem aufgeschlagen. Hirams Handwerker hatten Gartenhäuschen und Pavillons aus leichtem Material aufgestellt und der Herrscherin ein elegantes Schloß aus Holz gebaut.
Balkis schlief unter einem Feigenbaum und träumte von einer Liebe so stark wie der Tod, so feurig wie eine Flamme des HERRN, die viele Wasser nicht auslöschen und Ströme nicht ertränken konnten. Als sie Salomo ihren Entschluß mitteilte, hatte sie geglaubt, sich von einer unerträglichen Last befreit zu haben. Aber die war statt dessen noch drückender geworden. Doch wie sollte sie Hiram aufgeben, diesen Oberbaumeister, der wahrhaft einem König gleichkam? Wie Salomo verlassen, diesen König, der sie zur Sklavin gemacht hatte?
Sie ärgerte sich über sich selbst und stieg in den Garten hinunter, wo zwischen den Granatapfelbäumen ein Weinstock stand. Selbst die schönsten Naturschauspiele einer großzügigen Natur erfreuten sie nicht mehr. Sie schlenderte ziellos dahin, wartete auf ein Zeichen, ein Versprechen. Auf einmal blieb sie stehen. Waren das nicht die Räder eines Streitwagens auf der gepflasterten Straße? Horch! Mein Geliebter! Sieh da, er kommt. Er springt über die Berge, hüpft über die Hügel. Der Gazelle gleicht mein Geliebter, dem jungen Hirsch. Ja, dachte sie, draußen steht er verborgen vom Weinstock und hinter der Mauer. «Bleib!» rief sie. «Fahre nicht fort!» Der Streitwagen hatte angehalten. Machte Salomo einen Fehler, wenn er hierherkam und Balkis gestand, daß er sie nicht aus seinen Träumen vertreiben konnte?