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Kurz nach Sonnenaufgang führte man Elihap in Salomos kleines Privatzimmer. Es war ein erschöpfter Mann, der sich da vor seinem Herrscher auf die Knie warf, doch trotz seiner abgerissenen Kleidung strahlte er einen Stolz aus, den auch ein widriges Geschick nicht hatte brechen können. Dieser kahle, hochgewachsene Fünfziger mit den durchdringenden, schwarzen Augen erzitterte nicht vor seinem Herrscher, der gleich sein Urteil sprechen würde.

«Wird Israel von Jerusalem richtig regiert?» wollte der König wissen.

Die Frage verwunderte Elihap. Sie war an den ehemaligen, sachkundigen Schreiber des Palastes gerichtet.

«Nein, Majestät. Im Verhältnis zur Hauptstadt haben die Provinzen zu viele Rechte.»

«Wie werden die Steuern eingezogen?»

«Zum Teil in bar, zum Teil in Form von Fronarbeit auf den Baustellen des Königs.»

«Wie viele gibt es?»

«Sehr wenige. Zwei, drei in der Provinz, eine in Jerusalem, dort wird ein Teil der südlichen Befestigungsmauer ausgebessert.»

«Setze dich an die Palette da, Elihap.»

Mit sichtlicher Freude griff der Ägypter zu seiner Schreibbinse, einem Papyrus und dem Napf mit schwarzer Tusche. Ungezwungen nahm er die Schreiberhaltung ein: Aufrechter Oberkörper, gekreuzte Beine.

«Du wirst mein Schreiber und mein Vertrauter», sagte Salomo. «Und du wirst meine Erlässe schreiben. Fangen wir mit dem an, der deinen Aufgabenbereich im einzelnen beschreibt. Du setzt die Briefschaften des Palastes für das Inland und das Ausland auf, du empfängst und schreibst auf, was an Steuern hereinkommt, du bist der oberste Schreiber.»

Elihap schrieb sicher und schnell.

«Wer ist dein Gott?» fragte Salomo.

Der Ägypter legte die Schreibbinse auf die Palette. Vor ihm gähnte eine Falle, doch er zögerte nicht.

«Ich verehre den Gott Apis. Das bedeutet auch mein Name: ‹Apis ist mein Gebieter.› In ihm verkörpert sich der oberste Gott.»

Mit diesen Worten hatte Elihap sich selbst verurteilt. Im Land des Einen Gottes, der eifersüchtig über seiner Oberhoheit wachte, war es gegen das Gesetz, sich zu einem anderen Glauben zu bekennen, doch der Ägypter wollte nicht mehr wie ein Einsiedler leben und sein Herz verleugnen.

«Und wie ist dieser oberste Gott beschaffen?» wollte der König wissen.

«Er ist das Licht», erwiderte der Schreiber. «Der Apis-Stier ist das weltliche Symbol seiner Macht. Darum trägt der Pharao einen Stierschwanz an seinem Schurz.»

«Der Gott Israels ist auch das Licht. Höre auf das, was dich dein Glaube lehrt, Elihap. Aber hüte deine Zunge. Nimm deine Schreibbinse, wir haben noch viel zu tun.»

Öl- und Feigenbäume schützten das Kidron-Tal vor der ärgsten Sommerhitze. Hier war es lieblich und friedlich. Der Lärm der Hauptstadt brach sich an den Hängen der angrenzenden Hügel.

Dennoch gab es nur wenige, die sich zu diesem abgeschiedenen Fleckchen trauten. Man hatte dort nämlich einen Friedhof angelegt, auf dem Helden wie Absalom ruhten.

König Salomo betete vor Nathans Grab zum HERRN.

Der Lehrer war in einer Vollmondnacht im Schlaf gestorben. Sein Gesicht war die vollkommene Ruhe, die Ruhe eines Dieners, der nie unterwürfig gewesen war. Mit ihm war auch Salomos Jugend gestorben. Von nun an hatte er keinen Vertrauten mehr, keinen Freund, bei dem er sich aussprechen konnte, niemanden, mit dem er seine Zweifel und Ängste teilen konnte. Nathan hatte ihn aufgezogen, hatte ihn zum König erzogen, ohne ihn Eitelkeit zu lehren, nur weil er eines Tages über die Geschicke Israels bestimmen würde. Er hatte sich hinter seiner Aufgabe unsichtbar gemacht, damit er das Gewissen seines Schülers besser bilden konnte. Fern der Gerüchte und Intrigen des Hofes hatte er Salomo sein Leben geweiht.

Der König hatte seinem Lehrer eigenhändig das Grab gegraben und sich Klageweiber verbeten, denn er wollte in der duftenden Stille des Kidron-Tals mit einem Lehrer Zwiesprache halten, dessen Seele ihn sein wahres Wesen hatte erkennen lassen.

Salomo wußte nicht, ob er Nathans Erwartungen erfüllen konnte. Da er allein war und ihn seine engsten Vertrauten verlassen hatten, war er gezwungen, allein zu regieren, und mußte versuchen, sein Volk und sein Land zur Ehre des Höchsten zu gestalten.

Das schwor er Nathan an dessen Grab.

Kapitel 6

Wer hatte verkündet: «Ich erschaffe Jerusalem zu meiner Freude und seine Einwohner zu meiner Kurzweil», wenn nicht David? Wer hatte der Stadt ihren Namen gegeben, indem er seinen Getreuen befahl, dort zu wohnen und ihr Heil zu suchen, wenn nicht David? Wer hatte sich in dieser Stadt niedergelassen, weil er sie zu einer heiligen Stadt, zum Mittelpunkt der Offenbarung machen wollte, wenn nicht David? Hier hatte David residiert, weil sie auf der Grenze zwischen den beiden Königreichen Judäa und Israel lag und so seine Berufung zum Friedensmittler bestätigte. Und wer anders als das himmlische Jerusalem würde die Auserwählten am Ende der Zeit innerhalb seiner goldüberzogenen Mauern und seiner mit Rubinen gepflasterten Straßen empfangen?

Dieser herrlichen Aussicht, der Salomo während seiner Regierungszeit Gestalt geben wollte, drohte ein ernstes Ereignis in die Quere zu kommen. Der Thronsaal wimmelte von Reichen, die im Namen der fünfzehntausend Einwohner der Stadt sprachen.

«Gebieter, die Situation ist verzweifelt», erklärte der Herold, dem man mit Beschwerden zugesetzt hatte. «Die Oberstadt hat kein Wasser mehr. Die einzige Quelle in Gihon ist vergiftet, und man kann sie erst in einem Monat wieder benutzen. In der Unterstadt herrscht Mangel. Die Tumulte sind bedrohlich.»

Auch David hatte mit der schlechten Wasserversorgung der Hauptstadt sein Tun gehabt, hatte jedoch Versuche, die Lage zu verbessern, mit sehr harten Strafen belegt.

«Ich schicke keine Soldaten gegen die Einwohner von Jerusalem», sagte Salomo. «Sie haben nämlich recht, dieser Zustand ist unerträglich.»

Elihap, der ägyptische Schreiber, der offiziell in sein Amt eingeführt worden war, saß zu Füßen des Throns und schrieb die Vorschläge auf, die man bei dieser ungewöhnlichen Audienz austauschte.

«Ich beauftrage Banajas mit einer Friedensmission», verkündete Salomo. «Alle Männer, die auf den Baustellen in der Provinz Frondienst tun, sollen Trägermannschaften bilden und Wasser aus Quellen herantragen, die eine Wegstunde von hier entfernt liegen. Bis Gihon wieder sauber ist, soll ein Bewässerungssystem ausgehoben und das Wasser in Auffangbecken gespeichert werden.»

Der Herold legte im Namen eines alten Würdenträgers Widerspruch ein.

«Gebieter, wenn unsere Pläne gelingen sollen, brauchen wir mehrere Monate.»

«Aufgrund der schlechten Ausrüstung unserer Arbeiter ein knappes Jahr», erwiderte der König.

«Die Zisternen sind leer», mahnte ihn der Oberhofmeister. «Was soll in den kommenden Tagen aus uns werden?»

«Es wird heute regnen. Setzt euer Vertrauen auf Gott und den König.»

Salomo erhob sich. Die Audienz war beendet.

Jerusalem wartete besorgt.

Ein herrlich blauer Himmel spannte sich über der Stadt. Die Älteren kannten sich mit diesen Anzeichen der Natur aus und wußten, daß es lange nicht mehr regnen würde. Salomo hatte falsch gehandelt, als er dem Herrn in der Wolke trotzte. Davids Sohn war nichts als ein Aufschneider, der seinen Ehrgeiz noch bereuen würde.

Um die Mittagszeit stieg Salomo zum höchsten Punkt seines Palastes. Von der Höhe des Wachtturms aus, auf dem ein Bogenschütze stand, den er fortschickte, betete er zum Firmament, das ihm das rettende Wasser schicken mußte.

«Du, der Du im Licht regierst», murmelte der König, «höre an mein Gebet. Wenn sich Deine Himmel verschließen und uns keinen Regen spenden, wie soll Dein Land dann überleben? Vergib mir. Stürze Deine Stadt nicht ins Unglück. Laß es auf die Erde regnen, die Du Deinem Volk gegeben hast.»