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Kapitel 55

Salomo galoppierte über die Ebene von Jerusalem. Das Pferd, das den Boden kaum mit seinen Hufen berührte, schien zu fliegen. Er war vor seinem Palast und dem Becher Wein geflohen, den er nun niemals mehr mit der Königin von Saba trinken würde, und ritt seit Tagen durchs Land in der Hoffnung, dem Schmerz zu entfliehen, der ihn niederdrückte.

Er ertrug Balkis’ Abwesenheit nicht. Mit ihrem Aufbruch hatte sich die Verheißung eines Glücks verflüchtigt, das warm war wie ein sommerlicher See. Diese Frau hätte ihm einen neuen Weg zur Weisheit aufzeigen können. Zusammen wären sie ein Paar gewesen, das auf der ganzen Welt Frieden hätte schaffen können.

Als die Mittagssonne einen schwarzen Heiligenschein bekam, glaubte Salomo, seine Augen trögen ihn. Das Phänomen war jedoch flüchtig. Der König wußte, daß ein ihm teures Wesen gestorben war. Das Gestirn strahlte zwar wieder, aber er gab seinem Pferd die Sporen und ritt rasch in seine Hauptstadt zurück.

Auf der Schwelle des Palastes empfing ihn der Hohepriester.

«Deine Gemahlin ist tot», teilte ihm Zadok mit. «Sie hat unaufhörlich bis zum letzten Atemzug nach dir gerufen.»

Nagsara war auf Jasmin und Lilien aufgebahrt, ihre Hände umklammerten den Hals, wo der Name Hiram eingebrannt gestanden hatte, der jetzt gelöscht war.

Salomo küßte die Pharaonentochter auf die Stirn.

«Holt meinen Oberbaumeister», befahl Salomo. «Wieviel Mal soll ich es noch sagen.»

«Er ist verschwunden», gestand Elihap.

«Bitte General Banajas, daß er dir hilft.»

«Wir haben seinen Hund Anup gefunden. Er hat nicht mehr gefressen und ist in der Höhle verhungert.»

«Beeilt euch, ich will Hiram auf der Stelle sehen.»

Der Schreiber verbeugte sich und verließ eiligen Schritts Salomos Arbeitszimmer. Noch am selben Abend brachte er Bauern in den Palast, die in der Nähe des Kidron-Tals wohnten. Einer von ihnen bestätigte, in der Nacht des Gewitters, das Felder und Häuser zerstört hatte, drei Mitglieder von Hirams Bruderschaft gesehen zu haben, die eine schwere Last schleppten. Als Salomo ihn befragte, widerrief er und verlangte nach einem Becher Wasser. Er und seine Gefährten wuschen sich die Hände und wiederholten den gleichen Satz: «Unsere Hände haben kein Blut vergossen, und unsere Augen haben nichts gesehen.» So reinigten sie sich rituell von einem möglichen Verbrechen.

Am nächsten Tag empfing der König die neun Meister, die die Bruderschaft leiteten. Die erzählten ihm, daß sich drei Gesellen vor ihnen mit ihrer abscheulichen Missetat gebrüstet hätten in der Hoffnung, Hirams Nachfolger würde ihnen dankbar für die Befreiung von einem Gewaltherrscher sein. Hatten sie nicht unter dem Schutz Salomos gehandelt?

«Das ist schändlich!» wehrte sich der Herrscher. «Wo sind diese Männer?»

«Sie waren enttäuscht, daß wir sie nicht zu Meistern gemacht haben», sagte der Wortführer der neun Meister, «und sind geflohen. Hiram ist ermordet worden. Wir wollen seinen Leichnam finden.»

«Ich kann euch helfen.»

«Majestät, du bist nicht Mitglied unserer Bruderschaft.»

«Zwingt einen König nicht zum Betteln. Diese Ehre schulde ich einem Genie, das mein Freund war.»

Die neun Meister folgten Salomo, der beim Ausgang des heiligen Bezirks den steilen Pfad einschlug, der zum Kidron-Tal führte. Das Bild seines Oberbaumeisters im Purpurumhang bei der Einweihung des Tempels verfolgte ihn. Die Vibrationen des Zepters, das der König ausgestreckt hielt, zeigten ihm an, welchem Weg er folgen mußte.

Was für ein Verbrechen habe ich begangen, dachte Salomo, ich, der Zadok das Recht zugestanden hat, Hiram zu bestrafen? Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, aber er hatte den Baumeister verraten, oder? Hatte er nicht den einzigen Menschen zum Tode verurteilt, den er beneidet hatte?

Als sie sich der Anhöhe näherten, wurde das Zepter glühend heiß.

«Hier ist es», meinte einer der Meister. «Seht ihr die aufgewühlte Erde und die Akazie?»

Hirams Brüder gruben und legten den Leichnam frei. Das Gesicht des Oberbaumeisters war friedlich, fast schien er zu lächeln. Sein eigenes Blut diente ihm als Purpurumhang. Die Meister bildeten einen Kreis um den Toten und gedachten schweigend des Leiters ihrer Bruderschaft.

«Meister Hiram soll in den Grundmauern seines Tempels ruhen», entschied Salomo, «unter dem Allerheiligsten.»

Die weißlichen Flecken auf der Haut der Kranken ließen keinen Zweifel zu. In der Unterstadt von Jerusalem breitete sich die Lepra aus und zerfraß unerbittlich die Gesichter.

Die meisten Mitglieder der Bruderschaft waren auf Befehl ihrer neun Meister in ihre Heimatländer geflohen.

In Dörfern und Kleinstädten löste man die von Hiram aufgebaute Organisation auf. Die letzten Lehrlinge wurden verjagt. Unkundige Handwerker übernahmen die Werkstätten und ersetzten sie durch Baubuden. Zu was war eine Bruderschaft von Bauhandwerkern noch in einem Land nutze, in dem die großen Bauten fertiggestellt waren?

Salomo widersetzte sich der Vernichtung der von Hiram geschaffenen Gemeinschaft nicht. Wer hätte sie auch schon leiten können?

Während das Volk betete, benutzte Salomo den Ring der Macht, um die Winde zu besänftigen, die die Pest herbeiwehten. Nachdem er sie beschworen hatte, fiel der kostbare Gegenstand auf die Fliesen des Vorhofes und zerbrach. Dennoch war die Epidemie eingedämmt.

Der Winter, der auf die Ermordung des Oberbaumeisters folgte, war der härteste seit Menschengedenken. Es schneite tagelang, und selbst die Ebenen Samarias und Judäas waren zugeschneit. Die Berghänge waren zu Gletschern geworden. Die Gottesdienste für Jahwe waren nur noch kurz, denn der stürmische Wind, der auf dem Felsen von Jerusalem blies, hinderte die Priester daran, die Opferfeuer zu entzünden. Hagelkörner peitschten die Gesichter, eisiger Regen prasselte auf die Altäre. In der Stadt war kein Vorankommen mehr. Die Einwohner dachten nur noch daran, wie sie sich in ihren Wohnungen um einen Ofen oder ein Kohlebecken zusammendrängen konnten. Der qadim aus dem Osten jagte Schneegestöber durch die Stadt Salomos und tobte in Schneewirbeln über dem See Genezareth.

Zadok versuchte, Jahwe zu ehren, und starb zu Füßen des großen Altars an einem Blutgerinnsel. Er wurde heimlich beerdigt. Der König ernannte keinen neuen Hohenpriester. Als auch General Banajas ins Jenseits abberufen wurde, begnügte sich der Herrscher, der bereits oberster Heeresführer war, mit einem verkleinerten Führungsstab.

Balkis abgereist, Hiram ermordet, Nagsara von Verzweiflung dahingerafft, wem konnte Salomo da noch vertrauen? Die drei Menschen, die er geliebt hatte, waren aus Israel geflohen, als hätte der vom König geschaffene Frieden weder ihr Herz noch ihre Seele berührt, als lastete ein Fluch auf dem Schicksal des Gelobten Landes.

Auch die Weisheit hatte den König verlassen. Er hatte es nicht geschafft, die Pharaonentochter zu lieben. Mit dem Verrat an Hiram hatte er sich um den einzigen Menschen gebracht, der ihn niemals verraten hatte. Es war ihm nicht gelungen, die Königin von Saba zurückzuhalten, und das hatte seine Ohnmacht bewiesen, sich von jemandem lieben zu lassen, der größer war als er.

Salomo berauschte sich an der Welt und ihrer Kurzweil.

Jeden Abend gab er ein Fest, und im ganzen Palast wurde getanzt, gesungen und weinselig gescherzt. Die Gäste stopften sich mit gebratenem Fleisch voll, und der Wein floß in Strömen. Fremdländische Diplomaten sangen Loblieder auf die Gastfreundschaft des Königs und die Pracht seines Hofes.

Der Herrscher bot nur die besten Jahrgänge aus Weinbergen des ganzen Morgenlandes an. Junge, vollendet gebaute Frauen weckten auch im Abgestumpftesten noch Verlangen. Sie setzten sich auf die Knie lasterhafter Männer, entkleideten sich nach und nach auf den Gastmählern, die sich zu Orgien auswuchsen, bei denen Liebkosungen und Küsse die Gerichte würzten. Junge, unberührte Mädchen gesellten sich zu den erfahrensten Höflingen, erregten Begehrlichkeit und trugen noch zum Ruf von Salomos Festen bei.