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»Meine Befehle sind von gestern abend.« Philippos spürte kalten Angstschweiß seinen Nacken hinunterrinnen.

Es war wirklich nicht klug gewesen, sich auf Ptolemaios zu berufen.

Dieses kleine Flittchen hatte zu viel Einfluß auf den Herrscher, und es wäre ihr ein leichtes, seine Lügen aufzudecken.

Die Hetaire lächelte böse. »Gestern abend? Wir werden sehen, ob der Neue Osiris sich erinnert. Er ist ein Gott, und Götter vergessen nichts!«

Der Arzt zuckte mit den Schultern und versuchte, möglichst gelassen zu wirken. »Frage ihn ruhig nach mir. Übrigens schätze ich, daß ihn deine Anwesenheit hier nicht minder interessieren wird als die meine. Was macht eine Frau mit deinem Ruf im Zimmer eines Toten? An einem Ort also, an den sich kaum jemand freiwillig begeben wird. Könnte es sein, daß schon bald noch jemand durch diese Türe treten wird? Einen ungestörteren Ort dürfte es innerhalb der Mauern dieser Villa kaum geben.«

»Du interessierst dich eindeutig zu sehr für Dinge, die nicht die Sache eines Arztes sind, Philippos! Wenn du darauf bestehst, können wir gerne hier warten, und du wirst sehen, wie wenig Wahrheit in deinen ehrlosen Unterstellungen liegt. Übrigens, stimmt es, was man sich von dir erzählt? Teilen Frauen wirklich nur noch dann mit dir das Lager, wenn du ihnen Geld dafür bietest?«

Philippos errötete. Dieses Weib hatte eine Zunge wie ein Gladius! Er durfte sich jetzt keine Blöße geben! Mit Mühe zwang er sich zu einem Lächeln. »Ich denke, diese Geschichten sind genauso wahr wie das, was man sich über dich erzählt. Oder stimmt es etwa, daß du dich vor ein paar Tagen, auf Wunsch unseres göttlichen Königs, so wie Europa den Liebesbezeugungen eines Stieres hingegeben hast?« Natürlich war die Geschichte erfunden, doch war der Grieche sicher, daß man sie, in Anbetracht all der anderen Gerüchte, die um die Hetaire kursierten, bei Hof begierig aufnehmen würde.

»Hüte deine Zunge, du Bock! Wen mein Zorn trifft, den ereilt schon bald die Strafe des Gottes. Außerdem, wer sollte schon deinen verrückten Geschichten Glauben schenken?«

»Mag sein, daß man mir nicht glaubt. Vor allem der König wird wissen, was die Wahrheit ist und nicht. Doch womöglich bringe ich ihn mit meiner Geschichte auf eine Idee. Du weißt doch, wie aufgeschlossen er allem Neuen gegenüber ist? Vielleicht würde es ihm ja wirklich gefallen, dich in der Rolle der Europa zu sehen. Auch wenn man dir nachsagt, du seiest in deinen Künsten sehr bewandert, so bist du doch nur eine Hetaire, und Frauen wie dich findet ein König und Gott jederzeit aufs neue. Ich meine nur, falls du einen Unfall mit dem Stier erleiden solltest . Übrigens kannst du dich natürlich darauf verlassen, daß ich unseren Streit längst vergessen haben werde, wenn du nach deinem Abenteuer als Europa einen Arzt brauchen solltest.«

Thais erbleichte. Einen Augenblick lang herrschte beklommenes Schweigen zwischen ihnen. Dann warf sie ihm aus ihren großen, dunklen Augen einen Blick zu, als sei sie so rein und unschuldig wie die Artemispriesterin-nen. »Ich denke, du bist der am meisten unterschätzte Mann am Hof des Pharaos. Es wäre töricht, wenn wir beide uns im Streit trennen würden. Vielleicht sollten wir erwägen, uns bei etwas gemeinsamer Zerstreuung besser kennenzulernen?«

Der Grieche räusperte sich. Dieser Blick! Ihm wurde ganz anders. »Was mich angeht, so lege ich wesentlich mehr Wert darauf, mit dir in Freundschaft und mehr verbunden zu sein, als mit dir eine Fehde auszufechten, bei der wir nur beide verlieren können.«

»Du sprichst mit der Weisheit eines Philosophen. Gerne würde ich noch weiter mit dir plaudern, doch meine Pflicht ruft mich zurück in die Gemächer des Pharaos.« Mit einer knappen Verneigung verschwand Thais durch die Tür. Ob sie ihn wirklich in Frieden lassen würde? Sie hatte ihm nicht einmal gesagt, weshalb sie hierher gekommen war! Resignierend blickte sich Philippos noch einmal im Zimmer des Toten um. Es gab einfach nichts, was ihm weiterhelfen konnte. Das einzige, was nicht recht in das Bild des biederen Hofbeamten paßte, war die Tatsache, daß die Hetaire des Königs offenbar Interesse an den privaten Dingen des Mundschenks hatte. Oder war sie wirklich nur gekommen, um zu stehlen?

Noch einmal durchsuchte der Grieche gründlich das Zimmer, aber er entdeckte nichts Neues. Jetzt blieben nur noch die Haussklaven, die vielleicht gesehen haben mochten, was Buphagos getan hatte, als er am Vortag kurz vor dem Eintreffen der Prozession noch einmal in die Villa zurückgeeilt war. Außerdem sollte er Thais noch einmal befragen. Es waren gewiß nicht allein melancholische Gedanken an einen aufrechten Toten, die sie in das Zimmer des Mundschenks geführt hatten.

Samu sah den Vögeln zu, die im Atrium des Hauses der Hohepriesterin durch das flache Wasser des Impluviums hüpften.

Fast wie spielende Kinder tollten sie herum und tauchten die Flügel ins Wasser, so daß es schien, als wollten sie sich gegenseitig naßspritzen.

»Ein Bild des Friedens, nicht wahr?«

Die Isispriesterin blickte ungläubig in das verhärmte Gesicht des Eunuchen Potheinos. Es war kein halbes Jahr her, daß er ihren Tod gewünscht hatte, und jetzt sprach er zu ihr von Bildern des Friedens. Potheinos hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und schaute unverwandt zu dem Becken.

»Ich weiß, daß du mir nicht glauben wirst, Samu, doch ich habe mit dem Tod des Mundschenks nichts zu tun. Ich weiß so wenig wie du, und mein einziges Interesse ist es, Unheil vom Neuen Osiris und den Seinen abzuwenden.«

Die Priesterin wußte nicht, was sie sagen sollte. Schweigend blickten sie zu den Vögeln, die ihr nasses Gefieder der Sonne entgegen reckten. Wie es wohl wäre, ein Vogel zu sein und frei durch die endlosen Weiten des Himmels zu reisen. Samu legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den breiten, dunklen Wolkenbänken, die sich vor die sengende Mittagssonne geschoben hatten. Frei! Als Vogel wäre ihre einzige Sorge der Falke, der vom Himmel herabstieß. Doch hier ... Sie wußte nicht, wer in dieser fremden Stadt ihr Freund und wer ihr Feind war.

Nicht einmal am Hofstaat vermochte sie, zwischen beidem zu unterscheiden. Wie konnte dieser Mann von Frieden sprechen? Sie wußte, daß er in die Intrigen der Verräterin Berenike eingeweiht war. Die Prinzessin war nicht davor zurückgeschreckt, ihren eigenen Vater vom Thron zu vertreiben und schon nach wenigen Monaten gemeinsamer Herrschaft ihre Schwester Kleopatra Tryphaina ermorden zu lassen. Und Potheinos? In Italien hatte er den Tod vieler Menschen in Kauf genommen, um es Ptolemaios unmöglich zu machen, mit Hilfe römischer Waffen wieder an die Macht zu kommen.

Nervös trommelten die Finger des Eunuchen auf die glatte Marmorbank. »Was sie wohl so lange besprechen? Sie müssen doch schon über eine Stunde dort drinnen sein. Meinst du, die Epheser wollen uns wegen dieser dummen Sache vertreiben?«

»Sprichst du von der dummen Sache mit dem Kopf des Mundschenks?«

»Wie meinst du das, Priesterin? Was weiß ich schon von den Bräuchen fremder Götter! Sie haben den Toten bestraft, so wie es auch die Große Schlingerin getan hätte.« Potheinos sah zu Samu herüber. Sein Blick war wie die glühenden Kohlen eines Feuerbeckens. Brennender Haß lag in seinen Augen. Ob er wohl glaubte, daß das, was ihm an Männlichkeit fehlte, durch Macht ersetzt werden könnte?

»Falls jemand anderer als Thanatos seine Hand an den Mundschenk gelegt hat, so könnte dies für uns alle schreckliche Folgen haben. Man muß kein Ränkeschmied bei Hof sein, um zu erkennen, wie gelegen das ungewöhnliche Eingreifen des Gottes dem Neuen Osiris gekommen ist.«

»Willst du damit andeuten . « Von einem Augenblick zum anderen war das Gesicht des Eunuchen zu einer leblosen Maske erstarrt. Er verneigte sich und murmelte unterwürfig: »Ich grüße Euch, Göttlicher.«