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Ptolemaios war ins Atrium getreten, und auch Samu verbeugte sich jetzt vor dem Pharao. Hinter dem Herrscher war die zarte Gestalt der Hohepriesterin zu sehen. Sie war ungewöhnlich klein und wirkte zerbrechlich wie eine schlanke Statue. Sie mochte vielleicht fünfunddreißig Sommer gesehen haben und erschien Samu sehr jung für das wichtige Amt, das ihr die Göttin übertragen hatte.

Wortlos durchquerte der Pharao den Hof. Der Eunuch und die Priesterin folgten ihm. Erst als sie das Haus der Hohepriesterin verlassen hatten, machte der Herrscher schnaubend seiner Wut Luft. »Sie hat uns gewarnt! Uns, einen König und Gott! Wir sollen das Gelände des Artemisions nicht verlassen, weil sie sonst nicht für unsere Sicherheit garantieren kann. Das gleiche gilt auch für euch und alle anderen Mitglieder des Hofstaates. Bei Serapis, was hält das Schicksal noch für Schläge für uns bereit? Wir, der rechtmäßige Herrscher beider Ägypten, sind eingesperrt und der Gnade eines Weibes ausgeliefert! Dabei haben meine Ahnen einst sogar über diese stolze Stadt geherrscht.«

»Sollen wir Ephesos verlassen und an einem anderen Ort Asyl suchen, Göttlicher?«

Der Herrscher blieb stehen und hob seine Hände zum Himmel.

»An einen anderen Ort gehen? Wohin denn? Wo sind wir denn vor den Meuchlern unserer treulosen Tochter sicher? Selbst die Götter haben sich doch gegen uns verschworen. So wie die Dinge stehen, wäre es sogar gefährlich, vom Artemision bis zum Hafen zu gehen. Die Hohepriesterin behauptet, das Volk der Stadt sei außer sich wegen des Frevels, den Buphagos begangen hat, als er die Prozession störte. Diese Priesterin hat die Orakel befragt und glaubt nicht, daß die Göttin es war, die den Mundschenk gerichtet hat. Zu guter Letzt glaubte uns dieses respektlose Weib sogar die Warnung mit auf den Weg geben zu müssen, dafür zu sorgen, daß die Machtkämpfe des Hofes nicht an diesem heiligen Ort ausgetragen werden sollen. Angeblich würden wir das Asylrecht der Göttin durch unser schändliches Treiben verhöhnen. Was denkst du dazu, Potheinos? Gibt es jemanden, der das Asylrecht verletzt und weitere Morde plant?« Die Stimme des Pharao hatte bei den letzten beiden Sätzen einen drohenden Ton angenommen.

»Nein, Göttlicher! Es war Artemis, die den Frevler gerichtet hat. Daran kann nicht der mindeste Zweifel bestehen.«

»Und Thanatos?« Samu blickte von einem zum anderen. Die beiden Männer schwiegen. Schließlich machte der Pharao eine wegwerfende Geste. »Was wissen wir schon von den Göttern dieses Landes. Du bist Priesterin, Samu. Es ist deine Aufgabe, dich um uns zu kümmern. Wenn du glaubst, wir sind durch Thanatos in Gefahr, dann rufe Isis zu unserem Schutz an!«

»Die Zauberreiche beschützt nur jene, die ihr Respekt erweisen. Einen Gott zu verhöhnen, ist eine gefährliche Sache. Ich hoffe, Ihr wißt dies, Göttlicher.«

Ptolemaios schnaubte verächtlich. »Wir sind selbst ein Gott, Sterbliche. Vergiß das nicht! Für uns gelten deine Gesetze nicht!«

Dunkle Wolken verfinsterten den Himmel. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es zu regnen anfing. Die drei beschleunigten ihre Schritte, während von der See her Donnergrollen ertönte.

3. KAPITEL

Mit klammen Fingern hielt Philippos den warmen Wollumhang, den er um die Schultern geschlungen hatte.

Er atmete tief die kühle Meeresluft ein. Es war leicht gewesen, die Tempelwachen zu täuschen. Das war bisher sein einziger Erfolg an diesem lausigen Tag. Sie hatten ihn für einen Römer oder Griechen gehalten. Jedenfalls wurde er nicht mit den Höflingen des Ptolemaios in Verbindung gebracht und hatte ungehindert den Asylbezirk des Artemisions verlassen können.

Den ganzen Tag über hatte eine gedrückte Stimmung auf der Villa gelastet. Die Sache mit der Enthauptung des Mundschenks machte den meisten Höflingen angst. Man hörte kein Lachen mehr im Palast. Die Sklaven schlichen mit gesenktem Haupt durch die langen Flure. Selbst das lautstarke Lärmen der Prinzessin und ihrer Brüder war verstummt. Philippos hätte nicht gedacht, daß er es eines Tages einmal vermissen würde. Die Nachforschungen über Buphagos hatten keinen Hinweis auf eine Verschwörung ergeben. Der eitle Kerl war nur deshalb in den Palast zurückgekehrt, um seine verwischte Schminke zu erneuern. Eine Sklavin hatte ihm dabei geholfen. Danach war er sofort wieder zu den Stufen des Artemisions zurückgeeilt.

Philippos trat gegen einen Stein, der ein Stück weit über die schlammige Straße hüpfte und dann leise platschend in einer Pfütze verschwand. Was hatte er auch von einem Langeweiler wie Buphagos anderes erwarten sollen? Es gab zwar Gerüchte, er habe eine Affäre mit Thais gehabt, doch ähnliche Geschichten erzählte man sich über jeden zweiten Mann bei Hof. Dem nachzugehen wäre reine Zeitverschwendung.

Überhaupt war der Arzt froh, wenn er dieser arroganten, kleinen Hetaire in nächster Zeit nicht mehr begegnen mußte.

Er hatte ihre Worte noch nicht vergessen, und sie brannten in seinem Herzen wie Salz in einer offenen Wunde. Heute nacht würde er sich beweisen, daß es noch mehr als genug Frauen gab, die mit Freuden sein Lager teilten.

Mit langen Schritten eilte er die Straße entlang, bis sich vor ihm der gewaltige Schatten des Koressischen Tores erhob. Auf dem Wehrgang neben der Toranlage flackerte das Licht einer einsamen Fackel. Die schweren, bronzebeschlagenen Flügel des Stadttores waren verschlossen. Philippos trat mit seinen genagelten Caligae gegen die dicken Holzbohlen. Dumpf hallte der Klang seiner Tritte im Torgewölbe wider.

Eine Böe traf den Arzt von hinten, zerrte an seinen Kleidern und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Gehetzt blickte Philippos über seine Schulter. In Nächten wie diesen waren die Erinnyen auf der Jagd. Das Wetter war viel zu schlecht für diese Jahreszeit. Die Götter zürnten!

Eine kleine Pforte öffnete sich im Tor, und undeutlich erkannte Philippos ein ovales, blasses Gesicht. »Was willst du hier nach Sonnenuntergang, Fremder?«

»Den Sold eines Torwächters aufbessern und ein paar Stunden dieser gräßlichen Nacht an die zarte, warme Haut einer jungen Hetaire geschmiegt verbringen.« Der Arzt zog eine Kupfermünze aus dem Geldbeutel an seinem Gürtel und reichte sie dem Soldaten. Das Gesicht verschwand. Hinter den dicken Torbohlen erklang ein knirschendes Geräusch. Dann öffnete sich eine kleine Mannpforte, und der Wächter winkte Philippos herein.

»Wenn du gehst, mußt du noch einmal zahlen.«

»Du willst wohl als reicher Mann sterben!«

Der blasse Soldat spuckte gegen die dunkle Wand des Torgewölbes. »Unsinn! Ich habe die Hälfte meiner Einnahmen an den Hauptmann der Wache abzuführen. Ein Kupferstück kann man schlecht teilen. Wenn du wiederkommst, wirst du noch einmal zahlen.«

»Und wenn ich bis zum Morgengrauen warte?«

Der Soldat lachte heiser. »Du kommst doch vom Tempel. Ich kenne deinesgleichen. Ihr wollt immer vor Morgengrauen wieder im Heiligtum sein, um so zu tun, als hättet ihr die ganze Nacht euer Lager nicht verlassen. Mach mir also nichts vor, Mann.« Das Gelächter des Wächters im Rücken machte Philippos sich davon. Dieser Bastard kannte seine Kunden!

Ärgerlich vor sich hinbrummend durchquerte er das Torgewölbe, folgte dem langen Bau des Stadions und bog dann nach links ab. Hier hatten die mächtigen Handelsherren der Stadt ihre Villen errichtet. Prächtige Häuser mit reich gegliederten, marmornen Fassaden, in denen jetzt Tausende unheilverkündender Schatten zu nisten schienen. Philippos mußte an die Geschichte des Thanatos denken, die man sich überall erzählte, wie er als Marmorbild zum Leichnam des Mundschenks geflogen war. Auch hier gab es überall marmornes Schmuckwerk. Flache Reliefs an Giebeln, die Götter und Heroen zeigten. Nervös blickte Philippos über seine Schultern.