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Fassungslos hatte Samu der wirren Geschichte des Nubiers gelauscht. Sie war nicht sicher, ob der Krieger wirklich vom Totengott verfolgt wurde, doch murmelte sie vorsichtshalber leise eine Schutzformel und schlug mit der Linken ein Zeichen, das böse Geister abwehrte. Sie mußte an die Ereignisse in Italien denken. Daran, daß sie sich geschworen hatte, dem Nubier nie mehr zu helfen. Doch konnte sie es riskieren, ihn jetzt einfach hinauszuwerfen? Der Krieger war kurz davor, den Verstand zu verlieren. Was würde geschehen, wenn sie ihn aus ihrem Zimmer vertrieb? Womöglich würde Batis durch irgendeine unbedachte Handlung den ganzen Hofstaat in Gefahr bringen. Nicht daß ihr soviel an Ptolemaios und seinen Speichelleckern gelegen war, doch Kleopatra galt es um jeden Preis zu schützen. Die junge Prinzessin war etwas Besonderes! Sie würde vielleicht einmal eine Herrscherin werden, wie Ägypten seit Jahrhunderten keine mehr gehabt hatte.

»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Batis. Doch du solltest wissen, daß ein langer, beschwerlicher Weg vor dir liegt. Du wirst dich von den Übeln reinigen müssen. Deine Taten haben dich besudelt. Es ist ein Schmutz, der nicht an deinem Körper haftet, von dem du dich reinigen mußt. Er zieht die bösen Geister an, die dich quälen. Du hast das Unsterbliche in dir besudelt. Ich kann dir nicht versprechen, daß ich dich vor dem Zorn eines fremden Gottes retten kann. Doch ich werde versuchen, was in meiner Macht steht. Zunächst einmal brauchen wir jetzt Licht.«

»Danke, Herrin. Ich hatte kaum zu hoffen gewagt .« Er versuchte, ihre Beine zu umklammern und ihr die Füße zu küssen, doch Samu entwand sich seiner Zudringlichkeit.

»Kannst du etwas sehen?«

»Kaum.«

»Neben meiner Kline steht ein kleiner Tisch. Dort findest du Feuerstein und Stahl. Es steht auch eine Öllampe auf dem Tisch. Entzünde sie. Ich werde mich inzwischen ankleiden.«

Samu stand auf und tastete sich mit vorgestreckten Armen durch das Zimmer. Hinter sich konnte sie Batis herumhantieren hören. Um in ihr Priesterinnengewand zu schlüpfen und es vor der Brust zu verknoten, brauchte sie kein Licht. Durch ihre jahrelange Übung fand sie sich blind zurecht.

Als sie sich umdrehte, sah sie einen winzigen Funken in der Dunkelheit, der binnen eines Atemzugs zu einer kleinen Flamme anwuchs, die den Docht der Öllampe hinaufleckte. Jetzt endlich konnte sie den Nubier sehen. Er trug ein Leopardenfell um die Hüften, das von einem Gürtel gehalten wurde, in dem ein langes Messer steckte. Halb im Schatten verborgen erkannte sie den in Leinentücher eingeschlagenen Kopf, der hinter dem Krieger auf der Kline lag.

»Glaubst du, dich damit gegen einen Gott verteidigen zu können?« Sie zeigte auf die gebogene Klinge des Messers, die golden im Lampenlicht glänzte.

»Ich weiß, daß kein Mensch gegen einen Gott bestehen kann. Doch bin ich auch Krieger. Ich würde nie aufgeben, ohne gekämpft zu haben. So wie der Löwe in der Wüste, der sich trotz aller .«

»Schon gut.« Samu kannte die Angewohnheit des Nubiers, sich in seltsame Metaphern zu versteigen. Dazu war jetzt keine Zeit. »Komm mit der Öllampe hier zum Tisch herüber.«

Stumm gehorchte der Krieger. Seine mit Öl eingeriebenen Muskeln glänzten matt im Schein des Lämpchens. Er roch nach Nüssen und säuerlichem Angstschweiß. Ihn so dicht neben sich zu haben, weckte in der Priesterin längst verdrängte Erinnerungen. Sie biß sich auf die Lippen. Es war vorbei! Er hatte sie betrogen und war ein Mörder.

Nervös kramte Samu in einer kleinen Schmuckschatulle. Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte. Sie zog ein kleines Amulett aus Karneol hervor, das an einem Lederband hing. Es zeigte das Udjat, das Auge des Horus. Angeblich war das Amulett sehr alt. Samu hatte es von einem Osiris-Priester geschenkt bekommen. Wenn es überhaupt eine Macht gab, die Batis vor dem Zorn des Thanatos schützen konnte, dann war es der falkenköpfige Horus, der Bezwinger des Seth.

»Beuge dein Haupt, Batis.« Der Nubier gehorchte und blickte zweifelnd auf das Amulett.

»Möge der Blick des Horus auf dir ruhen!

Möge der Herr der Harpunierstätte deine Feinde mit seinem Speer durchbohren.«

Feierlich legte die Priesterin dem Krieger das Udjat um den Hals und gab ihm ein Zeichen, ihr zu folgen.

»Was willst du jetzt tun, Herrin?«

»Wir werden dafür sorgen, daß Buphagos seinen Frieden findet und dich nicht weiter mit seinem zornigen Blick verfolgt, weil du seinen Leichnam geschändet hast. Knie vor dem Haupt des Toten nieder und bitte ihn um Verzeihung für deine Untat. Bete zu ihm und versprich ihm ein Opfer. Wenn du den Mundschenk ehrst und in Zukunft, wenn du den Göttern opferst, auch ihm eine Gabe darbringst, dann wird sein erzürnter Geist vielleicht von dir ablassen. Ich erwarte dich draußen im Säulengang. Bring den Kopf mit, denn wir werden gemeinsam bis an die Grenze des Totenreiches reisen.«

Der Nubier schluckte. »Ist es nicht besser, wenn du an meiner Seite bleibst, bis .«

Samu schüttelte verärgert den Kopf. »Du bist hingegangen und hast den Leichnam geschändet. Es ist ganz allein deine Sache, den Toten dafür um Vergebung zu bitten.« Die Priesterin nahm sich ihren Wollumhang und ging zur Tür.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sich die Tür zum Porticus öffnete und Batis den Säulengang betrat. Unter seinen linken Arm hatte er das Bündel aus Leinentüchern geklemmt. In der Rechten hielt er das Öllämpchen, dessen kleine Flamme er sorgsam gegen den Wind abschirmte.

»Und?« Samu musterte den Nubier gespannt.

»Ich . ich glaube, er wird mir vergeben. Ich habe seine Augen geschlossen. Sein Blick verfolgt mich nicht mehr.«

»Gut, dann werden wir ihm jetzt den Weg zu Osiris weisen. Folge mir!«

Die Priesterin verließ die Villa und führte den Nubier über das Gelände des Tempels nach Osten. Noch immer wütete der Sturm, und obwohl außer ihnen niemand zwischen den niedrigen Häusern des Tempelgeländes zu sehen war, blickte Batis immer wieder ängstlich über seine Schulter. Schaudernd überlegte Samu, ob Thanatos oder die Erinnyen ihnen folgten. Es war nicht weise, sich in die Angelegenheiten fremder Götter einzumischen. Was mit Batis geschehen würde, kümmerte sie nicht, doch war sie fest entschlossen, Buphagos auf den Weg in das Reich des Osiris zu geleiten.

Der Sturmwind hatte die dunklen Wolkenbänder am Himmel zerpflückt, so daß das silberne Licht des Horu-sauges ihnen für eine Zeitlang den Weg wies.

Bald erreichten sie den Fuß des Hügels, der hinter dem Artemision lag. Dort stand ein kleiner Schrein, der der Göttin Kybele geweiht war. Dicht daneben erhob sich ein niedriges Haus, in dem die Weihegaben des Schreins verwahrt wurden.

Samu wußte, daß die Priesterinnen des Artemisions den Leichnam des Mundschenks dorthin gebracht hatten. Er sollte am nächsten Abend auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden. So hatte es die Hohepriesterin angeordnet.