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Samu schauderte bei der Vorstellung an diese barbarische Sitte. Einen Körper den Flammen zu übergeben, hieß, ihn für alle Freuden, die das Jenseits bereithalten mochte, unempfänglich zu machen. Er wäre dort wenig mehr als ein Geist.

Doch die Totenverbrennung war Brauch bei den Griechen.

Vielleicht reisten ihre Toten ja an einen anderen Ort. Auch viele der ptolemaischen Pharaonen hatten an dieser alten Sitte festgehalten und ihre Körper den Flammen übergeben lassen. Hätte Buphagos noch die Zeit gehabt, einen Wunsch zu seiner Totenfeier zu äußern, so hätte auch er wahrscheinlich nach alter Sitte verbrannt werden wollen. Im Grunde kam diese Art der Bestattung ihnen sogar entgegen.

»Gib mir jetzt das Licht und hole den Toten dort vorne aus dem Haus. Ich werde hier auf dich warten.«

Batis warf Samu einen zweifelnden Blick zu. »Bist du sicher, daß wir das Richtige tun, Herrin?«

Natürlich war sie nicht sicher, dachte Samu ärgerlich. Sie taten das Notwendige, aber ob es richtig war, wußte sie nicht.

»Geh jetzt dort hinein!« herrschte sie den Krieger an. »Oder hast du etwa Angst? Vertraue dem Udjat. Es wird dich beschützen!«

Batis zögerte einen Moment. Dann gab er ihr die Lampe und legte das Leinenbündel mit dem Kopf des Mundschenks auf den Boden. Vorsichtig schlich er zur Tür. Sie war nicht verschlossen. Kurz spähte der Nubier ins Innere des Hauses, dann verschwand er durch den Türspalt.

Ob die Priesterinnen Wachen aufgestellt hatten? Samu fluchte leise. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Es war üblich, einen Toten bei Nacht nicht alleine zu lassen. Zögernd blickte sie zur Tür hinüber, hinter der der Nubier verschwunden war. Sollte sie ihm folgen? Es wäre ohnehin zu spät, um ihn noch zu warnen. Vielleicht wäre es das klügste, sich davonzustehlen?

Ein merkwürdiger Schrei erklang hoch über ihr in der Luft.

War es ein Vogel? Die Priesterin mußte an die Erinnyen denken, die blutdurstigen Rachegöttinnen der Griechen. Sie brachten Wahnsinn und Tod über ihre Opfer. Ob sie wohl irgendwo hier draußen in der Finsternis lauerten?

Samu wünschte, sie hätte selbst ein Schutzamulett angelegt. Mit zitternder Stimme flüsterte sie einen Bannspruch gegen böse Geister.

Endlich öffnete sich wieder die Tür. Undeutlich konnte die Priesterin den Nubier erkennen. Er trug ein großes Bündel über der Schulter, doch hatte er auch irgend etwas unter den Arm geklemmt. Er schleppte eine riesige Amphore mit sich herum! Wahrscheinlich war sie voller Öl. Wenn das Holz feucht war, würde sie es brauchen, um den Scheiterhaufen überhaupt entzünden zu können.

Schnaufend erreichte der hünenhafte Krieger Samu.

»Waren keine Wachen bei dem Toten?«

»Oh, doch.« Batis nickte. »Eine hübsche junge Priesterin.«

Samu blickte zu dem Dolch am Gürtel des Kriegers. »Du ... du hast sie doch nicht etwa .«

Der Nubier grinste. »Das war nicht notwendig. Sie war eingeschlafen. Sie hat mich nicht bemerkt.«

Die Isispriesterin hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß Batis die junge Frau, ohne großes Aufheben zu machen, ermordet hätte, wäre sie wach gewesen. War es das Richtige, was sie taten? Quälende Zweifel plagten Samu. Hätte sie den Krieger fortschicken sollen, als er zu ihr gekommen war und sie um Hilfe bat? Machte sie nicht alles nur noch schlimmer? Mißmutig blickte sie zu dem blutigen Bündel am Boden. Batis konnte unmöglich noch mehr tragen. Es war nun an ihr, den Kopf des Mundschenks mitzunehmen. Wenigstens vertrieb der Sturmwind den Leichengeruch! Mit spitzen Fingern hob sie das Bündel auf und hielt es so weit wie nur möglich von sich gestreckt. Dann gab sie Batis ein Zeichen, ihr zu folgen.

Ein gewundener Weg führte sie bis zur Mitte des Hügels hinter dem Tempel. Dort war an einer windgeschützten Stelle, auf einem schmalen Plateau, das sich dicht an den Fels schmiegte, ein Scheiterhaufen errichtet worden.

Samu legte den Kopf des Mundschenks auf den Holzstoß und untersuchte den Scheiterhaufen im zitternden Licht der Öllampe. Er war sorgfältig aus langen Bohlen geschichtet, zwischen die man Lagen aus Reisig und Stroh gebettet hatte. Der Scheiterhaufen würde lange brennen, und wenn die Priesterinnen der Artemis später die spärlichen Reste des Toten aus der kalten Asche heraussuchten, würde niemand mehr erkennen können, daß Kopf und Körper zuletzt wieder vereint waren.

»Leg ihn ab!« kommandierte Samu barsch. Sie wäre froh, wenn alles vorbei wäre. Der Nubier gehorchte ihr stumm.

Gemeinsam drapierten sie das Gewand des Verstorbenen. Auf seiner letzten Reise sollte er so ordentlich aussehen, wie er es stets zu Lebzeiten gewesen war. Ein unauffälliger Höfling in gestärkten und gebleichten Leinengewändern. Sorgfältig geschminkt und stets eine tadellos sitzende Perücke auf dem Kopf.

Der Kopf! Es kostete Samu einige Überwindung, ihn aus den besudelten Leinentüchern zu wickeln. Die Perücke des Toten war halb von seinem glattrasierten Schädel gerutscht. Vorsichtig richtete Samu sie und strich dem Toten das strähnige Haar aus dem Gesicht. Was bei den Göttern mochte er nur getan haben, daß die Unsterblichen ihm ein so unwürdiges Ende beschert hatten?

Batis hatte inzwischen das Öl aus der Amphore, die er mitgebracht hatte, über den Scheiterhaufen geschüttet. Ein Funken würde jetzt ausreichen, das Holz wie eine pechgetränkte Fackel auflodern zu lassen.

»Glaubst du, er wird nicht mehr zurückkehren?« flüsterte Batis.

Samu zuckte mit den Schultern. »Wer weiß?« Unschlüssig blickte sie auf die kleine Flamme der Öllampe. Was würde geschehen, wenn Buphagos der Weg in den Hades verstellt bliebe, weil Batis Thanatos verärgert hatte? Würde womöglich der Geist des Toten zurückkehren und dann auch sie quälen? Immerhin hatte der Nubier sie tief in diese Angelegenheit hineingezogen. Hätte man den Mundschenk nach den alten, überlieferten Ritualen einbalsamiert und in einem prächtigen Sarg beigesetzt, so wie es früher am Hof der Pharaonen üblich war, dann könnte sie sicher sein, daß er nicht wiederkehren würde. Aber so? Es war besser, einen der mächtigen Zauber des Totenbuches über Buphagos zu sprechen. Sie streckte ihre Hand aus und legte die gespreizten Finger auf das kalte Gesicht.

»Schwalben wecken dich auf, der du schläfst, sie heben dein Haupt empor zum Horizont.

Richte dich auf, damit du über das triumphierst, was dir angetan wurde!

Ptath hat deine Feinde zu Fall gebracht, und es soll gegen den vorgegangen werden, der gegen dich vorging.

Du bist Horus, Sohn der Hathor, der Feurigen, die zum Feuer gehört, dem sein Kopf zurückgegeben wurde, nachdem er abgeschnitten war.

Fortan kann dir dein Kopf nicht mehr genommen werden, dein Kopf bleibt bei dir bis in Ewigkeit!«

Samu blickte ein letztes Mal in das Gesicht des Toten, dann trat sie ein Stück vom Scheiterhaufen zurück und hielt mit ausgestrecktem Arm die Flamme der Lampe an einen der ölgetränkten Balken. Langsam züngelte die kleine gelbe Flamme das Holz hinauf und tanzte unsicher auf dem grobbehauenen Balken, so als wolle sie zum Docht der Öllampe zurückspringen. Erst als sie Reisig und Stroh erreichte, begann sie sich schneller auszubreiten und auch nach den Kleidern des Toten zu greifen.

Samu blickte zu Batis hinüber. Der Nubier war leise murmelnd in ein Gebet versunken. Er hatte den Kopf geneigt und wirkte plötzlich kleiner, als er ihr früher erschienen war. Vom selbstbewußten, überheblichen Krieger schien nichts mehr übriggeblieben zu sein. Jedenfalls für den Moment nicht. Sie streckte die Hand nach ihm aus und berührte ihn sanft am Oberarm. Erschrocken zuckte er hoch und blickte sie dann verstört mit seinen großen Augen an.

»Komm, laß uns gehen! Buphagos weilt jetzt nicht mehr in dieser Welt, und wir sollten besser nicht neben dem Scheiterhaufen gesehen werden.«