Выбрать главу

»Der göttliche Pharao hat Thais verstoßen«, verkündete Potheinos mit fester Stimme. »Sie hat sein Mißfallen erregt und muß bis Sonnenuntergang den Hof verlassen. Der Zorn des göttlichen Herrschers hat sie ihrer Sinne beraubt, denn kein Sterblicher kann den Unwillen eines Gottes ertragen.«

Samu zuckte bei den Worten des Eunuchen zusammen. Kein Sterblicher kann den Unwillen eines Gottes ertragen. Mit ihren Lügen verärgerten der Pharao und er Artemis nur noch mehr. Ob wohl Potheinos der nächste sein würde, den die Pfeile der Jägerin trafen?

Unter den Höflingen erhob sich besorgtes Gemurmel, während sie eine Gasse öffneten, um Philippos und Samu hindurchzulassen.

Mit einem Seufzer legte der Grieche die tote Hetaire auf ihre mit Seide bezogene Kline. Leise fauchend sprang eine kleine Katze zwischen den Laken hervor und verschwand in einem dunklen Winkel des Zimmers. Thais hatte neben ihrem Nachtlager eine Öllampe brennen lassen, ganz so, als habe sie sich wie ein Kind vor der Dunkelheit gefürchtet.

Müde ließ der Arzt seinen Blick durch das Gemach schweifen.

Es war größer als sein eigenes und luxuriöser eingerichtet.

Unverkennbar war Thais dem Pharao sehr wichtig gewesen.

Bis heute abend jedenfalls . Traurig blickte er zu dem toten Mädchen. »Was sollen wir sagen? Wie werden wir bei Hof ihren Tod erklären?«

»Der Zorn des göttlichen Pharao hat sie das Leben gekostet. Potheinos hat uns doch schon einen Weg gewiesen«, erklärte die Priesterin zynisch.

Philippos schüttelte den Kopf. »So leicht können wir es uns nicht machen. Sie muß Wundmale aufweisen, oder es wird wieder zu Gerede über die Pfeile der Artemis kommen.«

»Ich bin Heilerin, Arzt! Wann wirst du begreifen, daß ich keine Leichen verstümmele?«

Der Grieche blickte wütend zur Priesterin. »Du mußt nicht glauben, daß es mir Freude bereitet. Aber wenn wir nichts unternehmen, kann das den ganzen Königshof den Kopf kosten. Ich war diese Nacht in der Stadt, und ich kann dir sagen, daß Ptolemaios und die seinen dort nicht gerade beliebt sind! Gib mir meine Tasche!« Halb riß er Samu die lederne Tasche aus der Hand. Sie machte es sich zu einfach mit ihrem schlichten Bild von Gut und Böse. Verfluchte Priesterin! Er öffnete die Schnallen am Verschluß und zog eines der Messer heraus. Dann ließ er sich neben der Toten auf der Kline nieder und nahm ihren rechten Arm. Seine Hand zitterte leicht, als er die Klinge an Thais Handgelenk ansetzte. Mit einem kurzen Schnitt durchtrennte er ihre Schlagadern. Anschließend nahm er sich den anderen Arm und wiederholte dort die Prozedur.

Mürrisch wischte er die Klinge am Laken sauber und steckte sie in die Ledertasche zurück. Nur wenig Blut tröpfelte aus den Wunden der Hetaire, doch das spielte keine Rolle. Wenn er am Hof erklärte, sie habe sich aus Verzweiflung über die Verbannung das Leben genommen, dann würde man ihm schon glauben. Und sollte es zu einer Untersuchung durch die Priesterinnen der Artemis kommen, so waren die beiden Schnittwunden Beweis genug, um seine Aussage zu untermauern.

Niemand würde sich darum kümmern, daß fast kein Blut ins Bettlaken gelaufen war.

Samu hatte die Öllampe neben der Kline aufgenommen und hielt sie dicht über das Gesicht der Toten. »Wie friedlich sie aussieht.«

Auch Philippos musterte das Antlitz der Hetaire. Man konnte meinen, daß sie schlief. Nur ihre Augenlider waren ein wenig gerötet und geschwollen. Der Arzt mußte an die gräßlichen, schwarzroten Tränen denken, die das Mädchen im Todeskampf vergossen hatte. Mehr als fünfzehn Jahre war er nun schon Arzt, doch so etwas hatte er noch nie gesehen. War das allein nicht schon Zeichen genug, daß hier eine Göttin am Werk war? Schaudernd wandte er sich ab. Vielleicht war es nicht klug, noch länger am Hof des Ptolemaios zu verweilen.

»Hast du Angst vor dem Sterben?« Die Frage der Priesterin kam für Philippos völlig überraschend. Verlegen räusperte er sich. Seitdem er die Legionen verlassen hatte, hatte er sich nicht mehr viele Gedanken über den Tod gemacht. Irgendwie war er immer davon ausgegangen, daß er alt werden würde. Schließlich war er ein Arzt!

»Wie kommst du darauf?«

»Ich hatte den Eindruck, daß du über den Tod nachdenkst. Jedenfalls ging es mir so, als ich Thais gerade ins Gesicht gesehen habe. Ich fürchte den Tod nicht, doch ich hätte Angst, so qualvoll wie sie sterben zu müssen. Glaubst du auch, daß es die Göttin war, die Thais gerichtet hat?«

Philippos zuckte mit den Schultern. »Wer sollte es sonst gewesen sein? Wer tötet, ohne Wunden zu hinterlassen?«

»Und wenn sie vergiftet worden sind? Denk nur an die Krämpfe, die das Mädchen vor seinem Tod hatte. Hast du schon einmal jemanden an Gift sterben sehen?«

Philippos schüttelte den Kopf. Das war nicht die Art, in der man im Krieg tötete. Er hatte alle Arten von Hieb- und Stichwunden behandelt und hatte mitangesehen, wie die Soldaten zu Dutzenden an irgendwelchen Seuchen krepierten, doch mit Giftmorden hatte er sich nicht einmal in der Theorie beschäftigt. So etwas hatte keinen Platz in seinem Leben!

»Ich habe zweimal erlebt, wie jemand vergiftet wurde.« Samus Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Im Palast ist das keine seltene Art, aus dem Leben zu scheiden. Meistens haben die Opfer große Schmerzen, bevor der Tod sie erlöst.«

»Und wer sollte ein Interesse am Tod der Kleinen haben?«

Samu zog eine Grimasse. »Sie war jung, und der Pharao war völlig verrückt nach ihr. Was glaubst du, wie viele Hofdamen eine Träne um sie vergießen werden? Ptolemaios hatte nur noch Augen für sie! Vielleicht war sogar Potheinos eifersüchtig auf sie, weil sie mehr Einfluß auf den Neuen Osiris hatte als er.«

»Unsinn!« Philippos schüttelte den Kopf. »Buphagos ist auf die gleiche Art gestorben wie sie. Wo besteht der Zusammenhang? Welche Hofdame könnte ein Interesse daran haben, daß dieser Langweiler in den Hades geht?«

»Man erzählt sich, daß dieser Langweiler, wie du ihn nennst, eine Affäre mit Thais hatte.«

Philippos lachte laut auf. »Thais und Buphagos? Niemals! Was sollte er gehabt haben, das die Kleine interessieren könnte.«

»Beziehungen! Ich erinnere mich, daß er es war, der Thais an den Hof geholt hat. Das geschah, kurz bevor Ptolemaios aus Alexandria vertrieben wurde. Eigentlich war sie eine Tänzerin und Flötenspielerin. Ohne die Hilfe des Mundschenks wäre sie wohl nie auch nur in die Nähe des Pharao gelangt.«

Der Grieche strich sich nachdenklich über den Bart. Das alles ergab für ihn keinen rechten Sinn. »Nehmen wir einmal an, Thais wäre ihr alter Fürsprecher lästig geworden, weil sie inzwischen höher in der Gunst des Pharaos stand als ihr früherer Schutzherr. Wenn Buphagos ihr lästig geworden wäre, hätte sie vielleicht ein Interesse daran gehabt, ihn zu töten. Doch warum sollte sie sich anschließend auf die gleiche Weise umbringen?«

»Und wenn es einen Dritten gibt?«

»Wer sollte das sein? Ich glaube, du verrennst dich in . « Ein Geräusch ließ Philippos herumfahren. Etwas auf dem Tisch am Fenster war umgestürzt.

Samu hielt die Öllampe hoch. Ein Schatten huschte vom Tisch auf den Boden und verschwand unter der Kline. »Die Katze!«

Philippos nickte. Noch immer starrte er auf den Schminktisch. Zwei Spiegel reflektierten das Licht des Lämpchens. »Kommst du mal herüber?«

Die Priesterin blickte ihn fragend an. »Was ist denn?«

»Der Tisch . ich möchte ihn mir gerne näher ansehen. Ich glaube, Thais war eine Diebin!«