Im Licht der Öllampe erkannte der Grieche den Spiegel, den er in der Kammer des Buphagos gesehen hatte. Daneben lag umgestürzt das hölzerne Salbgefäß, das wie ein Lastkorb auf dem Rücken eines knienden Sklaven angebracht war. Philippos richtete die kleine Skulptur wieder auf und verschloß den Deckel des Gefäßes. »Die Katze muß das Ochsenfett in der Salbe gerochen haben. Sie wollte wohl davon naschen und hat es dabei umgestoßen.«
»Wie nachlässig von Thais, das Töpfchen nicht zu schließen.«
Samu griff nach dem kostbaren Kleinod und betrachtete es bewundernd. »Was für eine prächtige Arbeit! Es sieht aus, als sei es für einen Pharao gemacht.«
»Und doch gehörte es nur einem Mundschenk . Ich habe es gestern in Buphagos’ Zimmer gesehen. Auch der Spiegel dort vorne mit der tierohrigen Frauengestalt und die beiden Schminktiegel daneben haben einmal dem Mundschenk gehört. Thais hat das alles gestohlen.«
»Vielleicht hat Buphagos sie auch zu seiner Erbin ernannt. Du weißt doch, daß sie auch seine Geliebte war.«
»Eine solche Angelegenheit wäre niemals ohne Pothei-nos abgewickelt worden. Als höchster Beamter bei Hofe wäre er dafür zuständig gewesen.«
Samu lächelte. »Und was hätte er getan? Einen Teil des Erbes für seine Mühen behalten. Vermutlich ein oder zwei der schönsten Stücke. Und es wäre nichts weiter geschehen, als daß man die Habe des Toten unter seiner Aufsicht von einem Zimmer in ein anderes getragen hätte. Ich kann schon verstehen, wenn Thais diese Angelegenheit lieber ohne die Hilfe dieses Geiers erledigt hat.«
»Und was wird jetzt mit den Sachen geschehen?« Philippos blickte auf den kostbaren Spiegel aus Gold und Silber. Wahrscheinlich wußte noch niemand, daß er zum Besitz der Hetaire gehörte. Folglich würde ihn auch niemand vermissen ...
»Du denkst doch nicht etwa daran, etwas mitgehen zu lassen?«
Philippos verzog beleidigt das Gesicht. »Was denkst du von mir, Priesterin? Ich bin ein Mann von Ehre!«
Samu lächelte. »Ich kenne dich lange genug, um darüber keine Diskussion mit dir zu beginnen. Doch solltest du dir abgewöhnen, Hathor, die goldene Himmelsgöttin und Herrin des Fremdlandes, eine tierohrige Frau zu nennen. Sollte Ptolemaios tatsächlich eines Tages wieder in Alexandria herrschen, dann wirst du dir mit solchen Bemerkungen unter den Ägyptern im Palast keine Freunde machen.«
»Ich werde es mir merken«, entgegnete der Arzt verärgert.
Diese Priesterin war kaum zu ertragen! Wen hätte es schon gestört, wenn er den Spiegel an sich genommen hätte. Jetzt würde ihn jemand anderes stehlen! Kurz überlegte Philippos, ob er vielleicht noch einmal zurückkommen sollte, wenn Samu gegangen war. Doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Er würde sich nicht die Blöße geben, daß die Priesterin vielleicht eines Tages Diebesgut unter seinem Besitz fand.
»Wollen wir gehen?« Samu hatte sich vom Schminktisch abgewandt und stand bereits neben der Tür.
Philippos folgte ihr. Noch einmal betrachtete er die schöne Thais. Im gelben Licht der Öllampe wirkte sie nicht einmal blaß. Unter ihren Handgelenken hatte sich das Seidentuch, das über ihre Kline gebreitet war, dunkel verfärbt. Was für eine Verschwendung! Sie hätten sie auf den Stuhl setzen sollen.
Die Blutflecken würde man nie wieder aus der Seide herauswaschen können, und das Tuch war mindestens sein Gewicht in Gold wert! Dicht neben dem Kopf der Toten kauerte die kleine graue Katze. Sie leckte Thais die Wange, so als wollte sie ihre Herrin wecken. Schließlich gab sie auf, rollte sich neben der Toten zusammen und legte ihren Kopf auf die rechte Schulter der Hetaire.
»Was sollen wir mit ihr machen?«
Samu zuckte mit den Schultern. »Lassen wir sie hier. Soll sie die Totenwache halten. Wir können nicht mehr bleiben. Falls irgendwelche neugierigen Sklaven das Zimmer beobachten, machen wir uns verdächtig, wenn wir noch länger verweilen.«
»Die Totenwache!« Philippos biß sich auf die Lippen, um nicht laut zu fluchen. »Wir können Thais doch nicht einfach so liegen lassen! Du bist Priesterin, Samu! Du weißt, was geschehen kann, wenn man die Toten ohne Ehrenwache sich selbst überläßt!«
Die Priesterin zögerte einen Moment, dann nickte sie. »Du hast recht!« Mit flinken Schritten durchquerte Samu das Zimmer, kramte kurz zwischen den Schminktiegeln herum und kam dann mit einem kleinen Töpfchen aus rotem Stein zurück.
»Was hast du vor?«
»Wenn unsere Toten in das Reich des Westens gehen, dann ist es üblich, sie mit Amuletten gegen all die Widrigkeiten zu schützen, die ihnen auf diesem Weg begegnen können. Eines der wichtigsten Amulette ist das Tel, das auch das Isis-Blut genannt wird. Es wird normalerweise aus Jaspis oder Karneol gefertigt, doch ich hoffe, ein wenig rote Schminke wird ausnahmsweise denselben Zweck erfüllen.« Die Priesterin tauchte ihren Zeigefinger in das Schminktöpfchen und malte dann ein seltsames Zeichen zwischen die Brüste der Toten.
»Dein Blut gehört Dir, Isis,
Deine Zaubermacht gehört Dir, Isis,
Deine Zauberkraft gehört Dir, Isis.
Das Amulett ist der Schutz dieser Großen und behütet sie vor dem, der Verbrechen an ihr begeht.«
Einen Moment noch verharrte die Priesterin schweigend, dann endlich gab sie ein Zeichen zu gehen, und Philippos war froh, sich auf sein Zimmer zurückziehen zu können. Es war ihm unheimlich mitanzusehen, wie Samu ihre Magie ausübte, und in Momenten wie diesen fragte er sich, ob er überhaupt nach Ägypten wollte, denn dort in der Heimat dieser seltsamen tierköpfigen Götter würde die Priesterin gewiß noch viel mächtiger sein.
Im Atrium trennten sich die beiden. Es würde nicht mehr lange bis zum Morgengrauen dauern, und als Philippos sich endlich auf seiner Kline ausstreckte, schlief er fast sofort ein.
Das letzte, woran er dachte, war der prächtige Spiegel aus Gold und Silber. Hätte er ihn nur schon im Zimmer von Buphagos an sich genommen! Mochten die Götter wissen, wer sich dies kostbare Kleinod jetzt aneignete.
5. KAPITEL
Heller Rauch wand sich in Spiralen aus dem Feuerbek-ken der Decke entgegen. Breite Bahnen aus goldenem Licht durchschnitten das große Zimmer der Hetaire. Kein Lüftchen regte sich draußen, und dumpfe, brütende Hitze lag über dem Land. Der Himmel war klar und wolkenlos. Selbst die sonst allgegenwärtigen Möwen waren verschwunden und hatten irgendwo Schutz vor der Sonne gesucht.
Der Rauch der Kräuter, die in der kleinen Kohlenpfanne schwelten, war zwar würzig und angenehm, doch hatte er in der Hitze des Nachmittags auch etwas Erstickendes. Samu atmete schwer. Die Lichtbalken, die durch die Fenster schossen, schienen wie goldene Speere um sie herumzutanzen.
Heißer Schweiß tropfte ihr von den Achseln. Die weiße Fläche der Wand ihr gegenüber veränderte sich. Es schien, als würde sie kippen und zu einer Ebene werden. Die Priesterin hatte gehört, daß es irgendwo, weit im Westen, eine Wüste geben sollte, wo der Sand so weiß war, daß es schmerzte, ihn im hellen Sonnenlicht anzusehen. So erschien ihr jetzt auch die weiße Ebene, die sich in der Wand geöffnet hatte. Samu blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen getreten waren. Kleine Punkte bewegten sich in dem Weiß. Sie kamen ihr entgegen.
Einer der Flecken zog sich in die Länge. Die Konturen wurden schärfer ... Schließlich erkannte sie eine Frauengestalt. Sie war hochgewachsen und schön. Sieben kleine Katzen waren um sie herum. Die Tiere wirkten ernst, so als hätten sie eine wichtige Aufgabe. Wachsam blickten sie in alle Richtungen, fast so wie Krieger, die ihren Pharao in der Schlacht beschützen sollten.