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Plötzlich begannen die Katzen zu maunzen. Ein riesiger, schwarzer Schatten war auf die Ebene gefallen. Er sah ein wenig aus wie ein großer Hundekopf. Die Katzen stürzten tot zu Boden. Drohend erhob die Frauengestalt ihre Faust zum Himmel, dorthin, wo irgendwo das Ungeheuer sein mußte, das seinen Schatten auf die Ebene warf. Die Bilder verschwommen Samu vor den Augen. Die Frau löste sich ... Der Schatten verlor seine Form. Sie sah nur noch schwarz und weiß, schwarz und weiß . Hell und dunkel schienen wie in Spiralen miteinander verwoben.

Wieder hörte sie eine Katze maunzen. Die Vision war verflogen. Die kleine, graue Katze, die Thais gehört hatte, kauerte neben dem Leichnam ihrer toten Herrin und blickte Samu mit großen, grünen Augen an. Wieder miaute das Tier, als wolle es der Priesterin etwas sagen.

»Was ist denn, meine Kleine?« Samu wollte sich vorbeugen, doch richtete sie sich sofort wieder auf. Ihr war übel, und mit jeder Bewegung wurde es schlimmer. Was mochte die Vision bedeutet haben? Die Priesterin war sicher, daß die Frauengestalt Isis gewesen war. Doch die Katzen . Es gab eine Geschichte, in der die Göttin von sieben Skorpionen begleitet in die Wüste floh und sich vor Seth versteckte, der ihren Gefährten Osiris getötet hatte.

Doch Katzen hatten mit dieser Geschichte nichts zu tun! Es gab keine Erzählung von sieben Katzen. Der Schatten des Hundekopfes, das mochte vielleicht Seth gewesen sein oder auch der schakalköpfige Anubis, doch Katzen .

Traurig blickte die Priesterin auf die nackte Tote hinab. Sie würden sie verbrennen! Samu hatte um Thais gekämpft und hatte verloren. Wieder einmal war es Potheinos gewesen, der sich durchgesetzt hatte. Die Vernunft war auf seiner Seite.

Manchmal hatte die Priesterin das Gefühl, daß diese Vernunft etwas zutiefst Griechisches war. Der Eunuch war für all ihre Einwände taub gewesen. Samu war sicher, daß Thais gewünscht hätte, nach dem alten Ritus einbalsamiert und in ein Felsgrab gelegt zu werden. Es wäre auch möglich gewesen, ein Felsgrab zu bekommen. Berge gab es genug um Ephesos, und wenn Ptolemaios Thais tatsächlich so geliebt hatte, wie er behauptete, dann wären die Kosten für ein solches Grab mit Sicherheit kein Hinderungsgrund gewesen. Er hatte so viele Schulden bei den Römern und selbst bei dem Megabyzos, dem Verwalter der Schätze des Artemisions, gemacht, daß das Gold für ein Grab nicht ins Gewicht gefallen wäre.

Potheinos war taktvoll oder verschlagen genug gewesen, in seiner Argumentation nicht von Gold zu sprechen. Er sagte, die Priesterinnen der Artemis würden die Kunst des Einbalsamierens nicht gutheißen. Also konnte man von ihnen auch nicht erwarten, daß sie diesbezüglich Schritte unternahmen.

Da es aber dem gesamten Hofstaat des Pharaos verboten war, das Gelände des Tempels zu verlassen, gab es auch niemanden, den man in die Stadt schicken konnte, um einen Einbalsamierer zu suchen. Nicht einmal einen Sklaven konnte man als Boten senden, denn die Tempelsklaven, die Ptolemaios zu Diensten standen, ließen sich nicht dazu überreden, eine solche Aufgabe zu übernehmen.

Samu hatte vorgeschlagen, einen der Besucher des Heiligtums mit einer Botschaft in die Stadt zu schicken, doch war Potheinos zu stolz, diesen Weg zu gehen. Nach seinen Worten durfte ein Gott nicht zu einem Bittsteller vor einem dahergelaufenen Bauern werden.

Für Samu war all dies nur leeres Gerede. In ihren Augen unterwarf sich der Neue Osiris der Jägerin Artemis. Indem der Pharao duldete, daß Thais verbrannt wurde, brachte er der Göttin ein Opfer und hoffte vielleicht, auch sie vergessen zu machen, zu welchem Anlaß die Liebesdiene-rin das Gewand einer jungfräulichen Priesterin angelegt hatte. Er verdammte Thais auf diese Weise dazu, im jenseitigen Leben ohne Körper zu sein. Ja, er zerstörte das, was er an ihr am meisten geliebt hatte! Ob er sich wohl schuldig am Tod der Tänzerin fühlte? Wollte er, daß sie auf immer vernichtet wurde, damit er ihr auch im Reich des Westens nicht mehr begegnen mußte? Man würde sie auch bei Hof schneller vergessen, wenn Thais morgen verbrannt würde. Die Einbalsamierung hätte neunzig Tage gedauert, und erst nach dieser Frist wäre die Tote feierlich in ihr Grab gebettet worden.

Natürlich hatte Potheinos auch für die schnelle Verbrennung einen ganz pragmatischen Grund nennen können. Es war die Hitze. Seiner Meinung nach war es nicht schicklich, einen Toten bei diesen Temperaturen länger als zwei Tage unbestattet zu lassen. Samu schnaubte verächtlich. Sie wußte, daß der erste Eunuch schon vor einigen Jahren ein prächtiges Grabmal für sich errichtet hatte. Es lag in der Nekropole östlich von Alexandria. Er wollte nicht, daß man seinen Leib verbrannte!

Samu stellte den Tiegel auf den Boden, den sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, und musterte den nackten Leichnam der Tänzerin. Sie hatte all die Amulette auf den Körper aufgemalt, die man unter anderen Bedingungen beim Einbalsamieren zwischen den Leinenbinden angebracht hätte.

Samu war entschlossen, jene Zauber, die der Totenritus vorschrieb, zu wirken, jedenfalls soweit sie diese kannte. Vielleicht hatten die Götter Ägyptens ja auch hier genügend Macht, um ein Wunder geschehen zu lassen. Womöglich würden sie den Leib der Toten vor den Flammen schützen oder ihn entrücken.

Jeder Teil des menschlichen Körpers hatte seinen eigenen Schutzgott, und Samu würde sie alle beim Namen nennen und um Hilfe bitten. Sie schloß die Augen und versuchte, sich an den Wortlaut des langen und komplizierten Zauberspruches zu erinnern.

Neben der Kline stand das niedrige Feuerbecken, in dem Samu Weihrauch und anderes Räucherwerk verbrannt hatte.

Die Wohlgerüche sollten ihr helfen, ihren Geist für die Kraft der Magie zu öffnen.

»Dein rechtes Auge ist die Nachtbarke, dein linkes Auge ist die Tagesbarke, und deine Augenbrauen sind die Götterneunheit.

Dein Scheitel ist Anubis, dein Hinterkopf ist Horus, deine Finger sind Thot, deine Haarlocke ist ...«

Die Tür zur Kammer der Toten wurde aufgestoßen. Wütend drehte Samu sich um. Es war Potheinos, der die Zeremonie störte. Schon lag der Priesterin ein Fluch auf der Zunge, als hinter dem Eunuchen noch ein zweiter Mann eintrat: Orestes, der Eirenarkes von Ephesos.

Potheinos schien zu ahnen, was sie dachte. Jedenfalls sah sie ihn rasch ein Schutzzeichen schlagen. »Verzeih, wenn wir dich stören, Dienerin der Zauberreichen«, murmelte der Eunuch verlegen. »Der Eirenarkes wünscht die Tote zu betrachten.«

»Auch wenn Thais dir keinen Dienst erweisen konnte, Verschnittener, solltest du ihr doch die Ehre erweisen, sie bei ihrem Namen zu nennen.«

Potheinos funkelte Samu böse an. Dann trat er zur Seite, um Orestes an die Kline zu lassen. »Auf welche Weise, glaubst du, ist . Thais gestorben?«

Zu gerne hätte Samu dem Eirenarkes die Wahrheit gesagt, doch galt es jetzt, an Kleopatra und die Zukunft der Prinzessin zu denken. Würde sie die Wahrheit sagen, mochten allein die Götter wissen, was aus der Kleinen werden würde. »Wie unschwer zu sehen ist, hat sie sich dicht über der Handwurzel die Arme aufgeschnitten. Sie ist verblutet. Eine Sklavin hat sie so heute morgen gefunden.«

Orestes beugte sich vor, um die Verletzungen in Augenschein zu nehmen. In dieser seltsamen Stellung erinnerte er die Priesterin an einen Jagdhund, der Witterung aufnahm.

»Hat man Thais auf dieser Kline gefunden?«

»So ist es«, antwortete Potheinos eifrig. »Wie die Priesterin sagte, hat eine Sklavin Thais heute morgen entdeckt.«

»Merkwürdig. Ich sehe hier gar kein Blut. Man sollte doch denken, daß man eine Frau, die sich auf diese Weise das Leben nimmt, inmitten einer Blutlache finden würde.«