»Du meinst, du würdest mir ein Haus einrichten und mir eine eigene Zofe schenken.« Neaira seufzte. »Deine Worte klingen besser als selbst meine kühnsten Träume.«
»Was heißt hier ein Haus? Du würdest mit mir in einem Palast leben. Du bist zu bescheiden. Ganze Heerscharen von Sklaven werden wir unser eigen nennen. Und wenn du auf den Markt willst, dann wirst du von acht nubischen Sklaven in einer Sänfte getragen werden.« Der Arzt räkelte sich genüßlich und stellte sich vor, daß all diese Sklaven wie Batis aussahen. Jetzt, wo es ihm gelungen war, Samu zu verdrängen, würde er vielleicht auch den nubischen Leibwächter um die Gunst des Königs bringen. Eine kleine Verleumdung hier, eine Indiskretion da ... So lange Ptolemaios auf ihn hörte, hatte er Macht, überlegte der Arzt. Es wäre leicht, alle alten Feinde vom Hof zu vertreiben. Nach Batis wäre Potheinos an der Reihe. Der Eunuch ging über Leichen. Ein Mann wie er durfte keine Macht mehr haben, wenn Philippos seine Position sichern wollte.
Jemand klopfte energisch mit der Faust gegen die Tür zur Kammer der Hetaire. »Ich empfange in dieser Nacht niemanden mehr! Kommt morgen wieder, mein Freund.« Neairas Stimme war schwer vom Wein. Zufrieden lächelte sie Philippos an. »Vielleicht empfange ich wirklich nie wieder jemand anderen als dich.«
»Im Namen des Eirenarkes von Ephesos, öffne Weib, oder wir werden dir die Tür eintreten!«
»Was wollen die hier?« zischte Philippos leise.
»Keine Ahnung.« Neaira erhob sich von der Kline und griff nach ihrem Kleid, um es sich lose um die Hüfte zu wickeln.
Auch der Arzt war jetzt auf den Beinen. »Sie dürfen mich hier auf gar keinen Fall finden. Wenn sie herausbekommen, daß ich trotz des Verbotes den Tempelbezirk verlassen habe, dann mögen mir die Götter gnädig sein.«
»Aber was willst du denn tun? Es gibt keinen zweiten Ausgang. Du kannst nur durch die Tür!«
»Laß mich. Es ist nicht das erste Mal, daß ich auf der Flucht bin. Die Pallas wird mich schützen.« »Mach auf, Weib! Das ist die letzte Warnung!« Wieder erbebte die Tür unter schweren Schlägen.
»Moment noch! Ich kann euch doch nicht nackt wie die Schaumgeborene entgegentreten!«
Von draußen ertönte Gelächter. »Wir hätten nichts dagegen!«
Neaira trat an die Tür und zog den hölzernen Sperriegel zurück. Philippos hatte seine Tunica, den Mantel und seine Sandalen zusammengerafft. Die Kleider in den Händen, preßte er sich dicht an die Wand, so daß ihm die Tür Deckung geben würde, sobald sie sich öffnete.
»Was wollt ihr beiden von mir?«
»Wir sind nicht gekommen, um mit dir ein Spielchen zu treiben, meine entzückende Nereide. Wo steckt der Grieche, der dich besucht hat?«
Philippos schluckte. Woher wußten die beiden von ihm? Er mußte etwas unternehmen! Wahrscheinlich würde Neaira ihn verraten. Sie mußte hier in Ephesos ihr Auskommen finden.
Sie konnte es sich nicht leisten, die Soldaten des Eirenar-kes zu belügen. Wenigstens hatte sie ihm verraten, wie viele gekommen waren, um ihn zu holen. Mit zweien mochte er wohl fertig werden, wenn es ihm gelang, sie zu überraschen.
»Der Grieche? Der ist schon wieder gegangen. Es tut mir leid, aber ihr seht doch, daß meine Kammer leer ist. Ihr habt ihn nur knapp verpaßt.«
Philippos traute seinen Ohren kaum. Sie ging tatsächlich das Risiko ein, für ihn zu lügen! Sie meinte es wirklich ernst mit ihm!
»Erzähl keine Geschichten, Weib! Wir haben die ganze Zeit unten auf der Straße gestanden. Er kann uns nicht entwischt sein.«
»Wenn ich es mir recht überlege, so ist schon ein wenig Zeit vergangen, seit mein Liebhaber mich verlassen hat. Ihr müßt wissen, wir haben viel Wein getrunken. Die Stunden vergehen einem dann wie ihm Fluge und .«
»Die Decken sind noch warm«, ertönte eine zweite Männerstimme.
»Ich habe auf der Kline gelegen, als ihr gekommen seid und .«
Das Klatschen einer Ohrfeige war zu hören. »Mach uns nichts vor, Weib! Ich habe genug von deinen Geschichten. Wir haben die ganze Zeit unten auf der Straße gestanden. Dein Grieche ist hier hereingekommen und hat das Zimmer nicht mehr verlassen. Also sag mir jetzt, wo er steckt, oder ich werde mit meinem Dolch die Wahrheit aus dir herauskitzeln, hörst .«
Philippos gab der Tür einen Tritt. Es gab ein dumpfes Krachen und einen kurzen Aufschrei, als sie in den Raum hineinschwang und einem der beiden Soldaten in den Rücken schlug.
Mit einem Satz war der Arzt aus seinem Versteck. Der zweite Krieger hatte die Hand schon auf dem Griff seines Gladius liegen, als Philippos ihn mit einem Faustschlag niederstreckte.
Sein Kumpan, der Neaira geschlagen hatte, lag noch halb benommen am Boden und versuchte, sich wieder aufzurappeln.
»Komm, wir müssen hier fort!« Der Arzt streckte der Hetaire die Hand entgegen. »Die beiden werden gleich wieder auf den Beinen sein.«
»Ich kann nicht.« Neaira standen die Tränen in den Augen. »Wo sollte ich hingehen? Man wird mich am Hof deines Königs nur verspotten.«
»Das ist nicht wahr. Niemand würde es wagen, über mein Weib schlecht zu reden und .«
»Rette dich, mein Freund. Es war schön mit dir zusammen zu träumen. Mit dir leben könnte ich nicht. Jetzt beeile dich. Ich werde versuchen, die zwei noch ein wenig hinzuhalten.«
»Ich kann dich doch jetzt nicht alleine lassen!«
»Und wie willst du mir helfen? Indem du dich von den Stadtwachen ergreifen läßt? Du kannst nichts mehr für mich tun. Ich habe für dich gelogen. Sie werden mich bestrafen. Aber das werde ich schon durchstehen. Ich kenne einen Tetrarchen der Wache. Er wird mich schützen, aber dir wird er keinen Gefallen tun. Also nimm deine Sachen und lauf ...«
Ein Geräusch ließ Philippos herumfahren. Der bärtige Wortführer der beiden Wachen hatte sich halb aufgerichtet und einen Dolch gezogen. Der Arzt warf ihm seine Kleider entgegen, und in dem Moment, in dem der Soldat die Arme hochriß, versetzte der Grieche ihm einen Tritt. Die Wucht des Treffers riß den Krieger zurück, so daß er mit dem Kopf gegen die Wand schlug. Philippos setzte nach und trat dem zusammengesunkenen Wächter wieder und wieder in den Leib. Am liebsten hätte er den Mann in Stücke gerissen. Es war, als hätten die Furien seinen Geist verwirrt. Dieser Mistkerl und sein Kumpan hatten sein Glück zerstört! Wieder verpaßte Philippos dem Krieger einen Tritt. Ihretwegen mußte er fliehen, und nur ihretwegen würde Neaira leiden! Was hatte er getan, daß ihm die Götter einen so grausamen Streich spielten!
»Hör auf!« Die Hetaire packte den Arzt beim Arm und zog ihn zurück. Auf der Treppe, die zu den Kammern der Huren führte, waren schwere Tritte zu hören. »Lauf endlich, mein Liebster, und vergiß mich nicht. Das ist das einzige, was ich mir von dir wünsche .« Neaira drückte ihm sein Kleiderbündel in die Hand und schob ihn zur Türe hinaus. Direkt vor dem Griechen löste sich der Schatten eines großgewachsenen Kriegers aus dem Dunkel der Nacht. Der Mann streckte die Arme nach ihm aus. Philippos sprang vor und rammte dem Hünen seinen Kopf in den Leib. Im gleichen Augenblick schlossen sich die Hände des Kriegers wie eiserne Fesseln um die Arme des Arztes. Einen Moment lang taumelte der Soldat . Dann stürzte er nach hinten. Krachend zerbarst das hölzerne Geländer der Galerie, an der die Zimmer der Huren lagen.
Schreiend stürzten die beiden in die Tiefe. Der Aufschlag auf dem Pflaster der Hafenstraße trieb dem Griechen die Luft aus den Lungen. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, keinen Atem mehr schöpfen zu können. Benommen rollte er sich vom Leib des Kriegers. Der Soldat rührte sich nicht mehr.