Mißmutig blickte sich der Arzt um. Das Haus des Judä-ers lag in einer engen Gasse unweit des Hafens. Die Häuser hier waren zwei oder drei Stockwerke hoch. Ihr weißer Putz war von braunen Flecken übersät.
Eine junge Frau öffnete die Tür und blickte Philippos fragend an. Sie trug eine schmucklose blaue Tunica, und ein Mantel aus grober Wolle war um ihre Schultern geschlungen. Ihr Haar bedeckte ein langer, blauer Schleier, der mit einer roten Schmuckborte abgesetzt war.
»Wir kommen aus Ephesos und möchten Simon sprechen. Wir haben dringende Nachrichten für ihn.«
Die Frau nickte kurz und trat dann zur Seite. »Seid willkommen im Haus meines Vaters. Der Herr ist in Geschäften unterwegs, doch wird er bald wieder zurückkehren.«
Philippos trat ein und musterte den Innenhof. Anders als das Atrium bei römischen Häusern war dieser Hof nicht teilweise überdacht, und es gab auch kein Impluvium. Die Wände zum Innenhof waren ordentlich verputzt und strahlten in so hellem Weiß, als seien sie erst vor wenigen Wochen frisch gekalkt worden.
Die junge Frau rief etwas in einer fremden Sprache zum Haus hinüber und blickte dann schüchtern zu Philippos und Samu.
»Erlaubt, daß ich Euren Lastenträger entlohne. Wenn ich um Euren Besuch gewußt hätte, dann wäre selbstverständlich dafür gesorgt gewesen, daß Ihr am Hafen erwartet werdet.«
Die junge Frau tauschte ein paar Worte mit dem Phönizier, der sich im Hafen angeboten hatte, ihr Gepäck zu tragen, und drückte ihm einige Kupfermünzen in die Hand. Inzwischen war eine Dienerin mit einer Wasserschale und einem Krug im Hof erschienen.
Nachdem der Lastenträger gegangen war, wandte sich die Frau erneut Philippos und Samu zu und bat sie, auf einer niedrigen Bank im Hof Platz zu nehmen. »Erlaubt, daß ich Euch die Füße und Hände wasche, verehrte Gäste. Ihr sollt wissen, daß Ihr im Haus und an der Tafel Simons willkommen seid und wir gerne unsere Güter mit Euch teilen. Mein Name ist Isebel.«
»Man nennt uns Samu und Philippos«, erwiderte die Priesterin einsilbig, wobei sie kurz zu dem Griechen hinübernickte.
»Du brauchst mir nicht die Füße zu waschen, Isebel.« Philippos lächelte der jungen Frau freundlich zu. »Das ist die Aufgabe einer Dienerin und kein Dienst, den eine Hausherrin verrichten sollte.«
»Wollt Ihr die Ehre meines Vaters kränken? Warum weist Ihr mich zurück? Habe ich Euch in irgendeiner Weise beleidigt?«
»Nein, ich dachte nur ... Nun, ich bin es nicht gewohnt, auf diese Weise empfangen zu werden und ...«
Isebel war vor Philippos niedergekniet und blickte ihn mit ihren dunklen Augen fast flehend an. »Bitte, weist mich nicht zurück. Es würde große Schande für das Haus meines Vaters bedeuten, wenn Ihr die Euch gebührenden Ehren nicht annehmt.«
»Laß sie machen«, flüsterte Samu in lateinischer Sprache.
»Die Judäer sind ein seltsames Volk, und man hat sie schnell beleidigt. Wir werden Simon noch brauchen, wenn wir unsere Mission erfüllen wollen. Er ist der einzige Mensch in der Stadt, dem wir uns anvertrauen können.«
»Es ist mir eine große Ehre, mit solcher Freundlichkeit empfangen zu werden, und ich werde die Gastfreundschaft, die ich im Hause Simons erfahren habe, stets loben«, erklärte Philippos auf griechisch und nickte Isebel zu.
Die Frau lächelte den Arzt erleichtert an, dann löste sie die Riemen seiner Sandalen und wusch seine Füße mit kaltem Wasser, das sie aus dem Krug in die Schale goß. Anschließend benetzte sie seine Hände und trocknete sie mit einem Tuch aus weißem Leinen, das ihr die Dienerin reichte.
Als sie auch Samu auf diese Weise geehrt hatte, bat Isebel sie beide, ihr in das Haus zu folgen. Sie führte sie durch einen kleinen Flur in einen weitem Empfangsraum, der ein wenig an das Tablinum römischer Häuser erinnerte, jenes Gemach, in dem der Hausherr seine Gäste empfing. Auch hier waren die Wände weiß gekalkt, und der Boden war mit schmucklosen, grauen Steinplatten ausgelegt. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tisch, auf den man eine Schale mit Fladenbrot gestellt hatte. Isebel nahm einen der Fladen, brach zwei Stücke davon ab und reichte sie Philippos und Samu. Dann bot sie ihnen eine flache Schüssel mit Salz an.
»Mögen Frieden und Wohlstand Euch so beständig folgen wie der Schatten, der an Euren Fersen haftet.«
Die Judäerin schob sich ihr Stück Brot in den Mund, und Philippos folgte ihrem Beispiel. Dann nahm er ein wenig von dem Salz und leckte es sich aus der Hand. Anschließend reichte Isebel ihm einen Becher mit frischem Brunnenwasser.
»Seid Ihr es gewohnt, gemeinsam in einem Zimmer zu übernachten?« Die junge Frau lächelte scheu, so als sei ihr die Frage ein wenig peinlich.
»Wir teilen nicht das Lager miteinander«, antwortete Samu schnell.
Lieber würde ich eine Schlange unter meine Decke einladen als dich, dachte Philippos und blickte kurz zur Priesterin hinüber.
Er war noch immer davon überzeugt, daß sie ihm die Wachen auf den Hals gehetzt hatte. Sie ganz allein war Schuld daran, daß man Neaira aus der Stadt gejagt hatte! Der Grieche ballte seine Hände zu Fäusten. Er war froh, mit ihr nicht im selben Zimmer übernachten zu müssen. Lieber wäre ihm sogar noch, wenn sie sich nicht einmal im gleichen Haus aufhalten würden.
»So erlaubt nun, daß ich Euch zu Euren Gemächern begleite. Mein Herr und Vater hält immer drei kleine Kammern für Gäste bereit. Dort mögt Ihr Euch von den Anstrengungen Eurer Reise erholen. Falls Ihr lieber ein warmes Bad nehmen würdet oder es eine andere Art gibt, auf die ich Euch zu Diensten sein kann, so laßt es mich wissen.«
»Ein kleiner Krug mit Wein wäre schön«, brummte Philippos.
Auf dem Schiff hatte er nichts außer Wasser zu trinken bekommen. Vielleicht würden ihm ein paar Becher Wein helfen, seinen Zorn auf Samu zu vergessen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Tyrener hinter dem Giftanschlag auf den Pharao stecken.« Simon kratzte sich nachdenklich an der Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Wirklich nicht. Ich glaube nicht, daß irgend jemand so dumm gewesen wäre, Ptolemaios das Gift mit einem Schiff aus Tyros zu schicken. Damit wäre eine zu offensichtliche Spur gelegt.«
»Wäre es denn nicht möglich, daß es einen Fremden in der Stadt gibt, der den Verdacht auf Tyros lenken will, um die Spur zu sich und seinen Auftraggebern zu verwischen«? fragte Samu.
Simon überging den Einwurf der Priesterin. Er beugte sich ein Stück vor, um noch eine Heuschrecke aus der Schale auf dem Tisch zu nehmen und mit der anderen Hand nach seinem tönernen Weinpokal zu greifen. Dann lehnte er sich auf sein Lager aus Kissen zurück, blickte zum Himmel empor und seufzte. »Tyros ist eine unruhige Stadt. Die Phoenizier haben begriffen, daß die Zeit ihrer Größe vergangen ist und ihre Götzen sie nicht mehr retten können. Dennoch gibt es viele, die sich gegen die neuen Herren auflehnen möchten. Sie glauben, sie würden wieder so bedeutend wie einst. Den Legaten, den Pompei-us geschickt hat, Marcus Aemilius Scaurus, den hat er noch gemocht, der Demoz, der Oberste des Rates, und die Boyie, die Hohen Herren, die an seiner Seite sitzen, doch den neuen Proconsul Aulus Gabinius verachten sie. Er mag es gut meinen, wenn er Tyros ein Aquaeduct schenken will, doch verkennt er den sturen Aberglauben der Götzenanbeter. Sie werden sich gegen die Römer auflehnen, und dann wird sich der Spruch des Propheten Ezechiel erfüllen, dem Jahwe den Untergang der stolzen Stadt kündete.