»Die Taucher werden einen so alten Mann wie mich sicher nicht mehr nehmen wollen«, wandte Philippos ein, der immer noch hoffte, er könne sich aus dieser Misere wieder herausreden.
»Meine Tochter wird morgen deine Haare schwärzen. Ich werde einfach behaupten, daß du gerade mal dreißig Sommer gesehen hast. Du bist doch ein kräftig gebauter Mann. Ich bin zuversichtlich, daß sie dich akzeptieren werden. Doch nun genug. Gestatte, daß ich mich zurückziehe. Es ist spät geworden, und morgen liegt ein ereignisreicher Tag vor uns beiden.« Simon erhob sich und verneigte sich dabei knapp vor Philippos. Samu ignorierte der Judäer.
»Du wirst doch nicht etwa tun, was er sagt?« fragte Samu, nachdem ihr Gastgeber das Dach verlassen hatte.
Philippos zuckte mit den Schultern. »Seine Argumente hören sich vernünftig an. Ich will damit nicht sagen, daß mir der Gedanke daran, ins finstere Meer hinabzutauchen, Freude bereitet. Doch so wie die Dinge stehen, ist das wohl der einzige Weg.«
»Wir haben uns doch noch gar nicht nach anderen Möglichkeiten umgesehen. Wissen wir überhaupt, ob wir Simon trauen können? Vielleicht mißbraucht er das Vertrauen des Pharao? Womöglich steht er sogar heimlich in den Diensten von Berenike?«
»Glaubst du nicht, daß es dein Zorn auf ihn ist, der dir diese Gedanken eingibt, Samu? Welchen Anlaß haben wir, anzunehmen, daß er Ptolemaios verraten wird?«
»Bist du denn taub und blind?« Die Priesterin schnaubte verächtlich. »Du bist doch sonst nicht so leichtgläubig! Siehst du nicht, daß er dich in den Tod schickt? Was glaubst du, wie lange du unter den Tauchern überleben wirst? Du bist ein Mann von vierzig Jahren! Wenn du mit einem Steingewicht in der Hand aus einem Boot springst, um zum Meeresgrund hinabzutauchen, dann wirst du ertrinken! Ob Simon sich bei mir überhaupt die Mühe machen wird, meinen Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen, wage ich zu bezweifeln.«
»Du bist verrückt, Priesterin«, grollte Philippos. »Dir hat dein Ärger ja die Sinne verwirrt. Warum sollte Simon so etwas tun? Er ist vielleicht ein wenig naiv mit seinem Glauben an diesen einen Gott und den Untergang von Tyros, und zugegeben, er scheint dich nicht zu mögen. Aber warum sollte er darum gleich ein Mörder sein?«
»Du vergißt die Briefe! Unterstellen wir Simon einmal, daß er ein treuer Diener des Ptolemaios ist. Ich könnte mir zwar kaum vorstellen, warum er dies sein sollte, aber nehmen wir es ruhig einmal an. Wir beide wissen nicht, was in den versiegelten Papyri stand, die wir Simon überreicht haben. Ist dir aufgefallen, wie ausweichend er geantwortet hat, als du ihn auf den Inhalt der Schreiben angesprochen hast? Womöglich hat Ptolemaios ihn ja sogar beauftragt, uns zu ermorden!«
»Der König?« Philippos lachte laut auf. »Warum sollte er das tun? Du bist verrückt, Samu!«
»Denk doch einmal nach! Nach den beiden Toten und dem Aufsehen, das die Giftmorde erregt haben, konnte Ptolemaios es sich nicht leisten, ein weiteres Mitglied des Hofstaates ermorden zu lassen. Er mußte fürchten, aus dem Schutz des Artemisions verbannt zu werden. Wir aber haben ihm Anlaß zu Ärger bereitet. Du hast die Sicherheit des Hofes gefährdet, indem du dich über die Gebote der Priesterinnen hinweggesetzt hast. Mich aber haßt er, weil ich zu offen von seinen Fehlern gesprochen habe. Das mag ihm als Grund reichen, über unseren Tod nachzusinnen.«
»Aber mich hätte er doch nur Orestes überlassen müssen. Es wäre dem Eirenarkes und seinen Soldaten sicher eine Freude gewesen, für meinen Tod zu sorgen.«
»Das ist nicht der Stil des Pharaos. Du kennst ihn schlecht. Du bist ein Mitglied des Hofstaates. Er mußte dich in Schutz nehmen. Das muß ihn aber nicht davon abgehalten haben, noch in derselben Nacht ein Schreiben für Simon zu verfassen, in dem er den Judäer damit beauftragt, dich zu ermorden. In dieser Stadt gibt es außer Simon niemanden, der uns kennt. Keiner wird uns vermissen.«
»Ich werde deine Ängste nicht mit dir teilen, Samu. Wenn du glaubst, in jedem einen hinterhältigen Intriganten sehen zu müssen, dann ist das deine Sache. Ich jedenfalls habe jetzt genug von diesem fruchtlosen Gerede.« Philippos griff nach einer der Öllampen auf dem Tisch und erhob sich. »Ich wünsche dir eine ruhige Nacht, Priesterin.«
Ohne ein weiteres Wort erhob sich der Grieche und ging zur Treppe hinüber. Innerlich verfluchte er die Ägypterin und hoffte, daß ihre düsteren Prophezeiungen ihn nicht noch bis in den Schlaf verfolgen würden. Ihre Worte waren durchaus klug und durchdacht gewesen. Aber waren sie deshalb wahr? Philippos wünschte sich, er hätte mit dem Judäer zusammen den Tisch verlassen und erst gar nichts von diesen möglichen Intrigen gehört. Im Geiste sah er sich schon von den Tauchern gemeuchelt werden. Er schüttelte den Kopf. Am besten wäre es, sich noch ein wenig Wein von einer Dienerin bringen zu lassen. Er mußte diese düsteren Gedanken verscheuchen, bevor er einschlief!
10. KAPITEL
Samu hatte früh am nächsten Morgen das Haus Simons verlassen und sich mit ihrem Gepäck in einer Herberge in der Nähe des Hafens eingemietet. Mochte Philippos in seinem blinden Vertrauen nur in sein Verderben laufen. Sie hatte ihn gewarnt. Mehr konnte sie nicht für ihn tun. Sie würde es dem Judäer jedenfalls nicht so leicht machen.
Die Priesterin hatte überlegt, ob sie sich einen Leibwächter mieten sollte. Irgendeinen Söldner, der sie in Zukunft begleiten würde. Geld genug hatte sie. Es wäre auch besser, wenn sie nicht allein im Hafenviertel unterwegs war. Sie trug zwar das Gewand einer Priesterin, doch war sie nicht sicher, ob sie das vor betrunkenen Seeleuten und Schlimmeren schützen mochte.
Die ganze Nacht lang hatte sie nicht schlafen können und überlegt, wie sie der tödlichen Falle, in die sie geraten war, entgehen mochte. Es waren ihr Gerüchte zu Ohren gekommen, daß Marcus Antonius auf dem Weg nach Tyros war. Wenn sich der junge Praefectus equitum noch an sie erinnerte, würde er sie sicher unterstützen. Er war ein Gefolgsmann des Aulus Gabinius und gehörte somit in das Lager des Pompeius. Der mächtige römische Feldherr war ein Freund des Pharaos und wollte Ptolemaios wieder auf seinem Thron in Ägypten sehen. Den Römern würde sie trauen können, und bei ihnen konnte sie auch sicher sein, daß sie ein Interesse daran hätten, denjenigen aufzuspüren, der Ptolemaios das vergiftete Kohl geschickt hatte.
Gemächlich schlenderte Samu über den Markt. Sie war zuversichtlich, auch ohne die Hilfe Simons auskommen zu können.
Zunächst würde sie Melkart, dem Gott der Stadt, ein Opfer bringen und ihn um seine Unterstützung bitten. Unentschlossen blickte sie sich um. Ein Lamm oder ein Zicklein wäre ihr zu teuer. Es kam auf die Geste an und nicht darauf, daß sie vor dem Gott mit einem Reichtum prahlte, den sie nicht besaß. Ihr Blick fiel auf einen Stand, an dem sich Dutzende hölzerner Käfige stapelten. Ein Huhn oder eine Taube - das war es, was sie brauchte! Ein altes Weib mit wettergegerbter Haut und schlohweißem Haar hockte zwischen den Käfigen. Sie trug ein schlichtes, braunes Kleid, das mit bunten Flicken besetzt war. Als Samu vor ihr stehenblieb, hob die Alte den Kopf und musterte die Priesterin eindringlich. Eines ihrer Augen war mit einem milchigweißen Film überzogen.
»Du bist Ägypterin, nicht wahr?«
Samu nickte. »Verkaufst du auch weiße Tauben, Alte?«
»Weiße Tauben? Was willst du damit? Wenn du sie auf die Tafel bringst, ist es doch egal, welche Farbe die Taube hatte. Ich habe wunderbare Tauben. Weiß sind sie nicht, aber so zart, daß sie dir auf der Zunge zerfallen. In einer Soße aus Wein und Kräutern geben sie ein Mahl ab, das der Tafel eines Königs würdig wäre!«
»Ich beabsichtige aber nicht, einen König zu beköstigen. Wenn du keine Taube hast, dann gib mir ein weißes Huhn.«