Den ganzen Nachmittag über hatte Samu im Schatten einer der Hafenmauern gesessen und auf die heimkehrenden Boote der Purpurfischer gewartet. Auch wenn sie Philippos nicht sonderlich leiden konnte, so hatte sie doch zu Isis gebetet und die Göttin angefleht, den Griechen zu verschonen. Ganz auf sich allein gestellt, würde sie es in dieser fremden Stadt schwer haben. Sie dachte daran, wie der Arzt sie in Italien gepflegt hatte, als ein schweres Fieber sie zu verzehren drohte. Wenn man wußte, wie er zu nehmen war, dann konnte man mit ihm auskommen. Er gierte nach Macht und Gold. Das hieß im Grunde, daß ihre Interessen sich nicht kreuzten. Wenn er das erst einmal begriffen hätte, dann ließe sich sicherlich besser mit ihm zurechtkommen. Hoffentlich war es nicht schon zu spät! Wie hatte Philippos dem Judäer nur trauen können? Welche Beweise gab es schon, daß Simon tatsächlich treu zum göttlichen Pharao stand? Irgendwo in dieser Stadt lauerte ein feiger Giftmörder, und so wie die Dinge lagen, war jeder Bewohner von Tyros verdächtig, der ein Interesse daran haben konnte, sich in die Intrigenspiele der Mächtigen einzumischen.
Während sie ihren düsteren Gedanken nachgehangen hatte, war ein kleines Segelboot in den Hafen eingelaufen. Es steuerte auf die Anlegestellen zu, die von den Purpurfischern genutzt wurden. Ein langer Kai, auf dem sich hölzerne Reusen und Netze türmten. Auch Dutzende von Eimern standen dort, in denen Muscheln und kleinere Fische in Meerwasser gehalten wurden. Das ganze Dock war mit einer Schicht aus zertretenen Schneckenhäusern und Muschelschalen bedeckt, so daß es bei jedem Schritt, den man machte, leise unter den Sohlen der Sandalen knirschte. Vor allem aber stank es nach fauligem Fisch.
Hin und wieder versuchte eine besonders freche Möwe, zwischen den Eimern zu landen, um einen Fisch zu stehlen, doch eine Schar kleiner, mit Lederschleudern bewaffneter Jungen bewachte den Fang und vertrieb die meisten der diebischen Vögel umgehend mit gezielten Steinwürfen.
Die Seeleute an Bord des Bootes warfen dem alten Mann, der die Kinderschar kommandierte, ein Seil zu, und dieser schlang es um einen der großen Holzpfeiler, die in regelmäßigen Abständen den Kai säumten.
Samu stand auf und ging langsam zur Anlegestelle hinab.
Irgend etwas stimmte mit dem Boot nicht! Jetzt hoben sie jemanden in einem Leintuch über die Bordwand. Neugierig vernachlässigten die Kinder ihren Wachdienst und drängten sich um die Taucher.
Die Priesterin schluckte. Sollten ihre Gebete nicht erhört worden sein? Brachten sie den toten Griechen zurück? Sie mußte sich beherrschen, um nicht in Laufschritt zu verfallen und so auf sich aufmerksam zu machen. Die Schiffer kletterten aus dem Boot auf den Kai und scharten sich um den Mann, der auf dem Boden lag. Unter ihnen erkannte die Priesterin Philippos. Der Arzt sprach mit einem älteren Mann. Zwei kräftige Kerle nahmen das Segeltuch wieder auf. Jetzt konnte Samu erkennen, daß der Mann, der getragen wurde, offenbar nur verletzt war. Ein heller Verband war um seinen linken Arm geschlungen. Die Priesterin verlangsamte ihren Schritt und tat so, als würde sie sich für den Fang interessieren, der in den Holzeimern ausgestellt war.
Der kleine Trupp aus Fischern setzte sich in ihre Richtung in Bewegung. Einen kurzen Moment kreuzten sich die Blicke der Priesterin mit denen des Griechen, und er schüttelte fast unmerklich den Kopf. Samu nickte. Sie hatte verstanden.
Irgendwie schien es dem Arzt gelungen zu sein, unter den Tauchern aufgenommen zu werden. Unter diesem Umständen war es besser, wenn sie beide so taten, als würden sie einander nicht kennen.
Nachdenklich blickte sie den Männern hinterher. Wie mochte Philippos das nur geschafft haben? Offenbar hatte er recht gehabt und war nicht in Gefahr gewesen. Hatte ihr Zorn auf den Judäer tatsächlich so sehr ihren Verstand getrübt, daß sie ihn völlig zu Unrecht als Intriganten verdächtigte? Sollte sie zurückkehren und sich bei ihm entschuldigen?
Nein! Simon würde sie auch weiterhin nicht ernst nehmen. Für ihn war sie nur eine Götzenpriesterin. Er würde sich niemals dazu herablassen, ihr zuzuhören und ihrem Wort Gewicht beizumessen. Sie kannte diese Sorte von Männern!
Es war klüger, wenn sie weiterhin ihre eigenen Ziele verfolgen würde! Nur ein paar Tage noch, und Marcus Antonius würde in die Stadt kommen. Mit seiner Hilfe wäre es ein leichtes, den ...
»Seid Ihr im Purpurgeschäft tätig, schöne Fremde?«
Erschrocken fuhr Samu herum. Vor ihr stand ein fülliger, junger Mann, der in kostbare Gewänder gehüllt war. Er trug einen Chiton, der mit bunten Stickereien geschmückt war. Um seine Schultern und seinen Leib war ein Himation aus purpurn gefärbter Seide geschlungen, das von goldenen Fibeln gehalten wurde. Ein Sklave mit einem safranfarbenen Sonnenschirm begleitete ihn, ebenso ein Krieger, der einen weißen Leinenpanzer und einen polierten Bronzehelm mit weißem Federbusch trug.
»Man sagte mir, daß der Reichtum dieser Stadt von seltsamen Schneckentieren herrührt, die aus dem Meer gefischt werden. Ich war neugierig, diese Wundertiere zu sehen, deshalb kam ich in den Hafen und betrachtete den Fang Eurer Fischer.«
»Und ist Eure Neugier befriedigt worden?«
»Nun, ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich nicht begreifen kann, wie Ihr aus diesen wimmelnden Krebsen und Schnecken einen Farbstoff gewinnt, der so unvergleichlich ist, daß man ihn nur in Eurer Stadt zu fertigen vermag.«
Der junge Mann grinste. »Unser Reichtum begründet sich darauf, daß wir dieses Geheimnis zu wahren wissen. Ich muß allerdings sagen, daß selbst der kostbarste Purpur neben Eurer Schönheit verblaßt, und wüßte ich um die Kunstfertigkeit unserer Färber, so wäre ihr Geheimnis bei mir schlecht verwahrt, denn ich würde es jederzeit gegen Eure Gunst eintauschen.«
Samu blickte verlegen zu Boden und wünschte sich, ebenfalls einen Leibwächter an ihrer Seite zu haben, um nicht allein auf die Höflichkeit dieses aufdringlichen Fremden vertrauen zu müssen.
»Eure Worte sind so süß wie Honig. Ihr seid es sicher gewohnt, Frauen Komplimente zu machen. Doch täuscht Euch in mir nicht. Ich bin keine, die sich mit Worten oder Reichtum einfangen läßt. Wie Ihr seht, trage ich das Gewand der Isis, und mein Herz gehört allein der Göttin.«
»Was denkt Ihr von mir?« Der Jüngling wedelte affektiert mit seiner Hand hin und her. »Es ist allein aufrichtiges Interesse, das mich dazu trieb, Euch anzusprechen. Immerhin ist es doch verwunderlich, wenn sich eine Frau wie Ihr stundenlang ohne männliche Begleitung im Hafen aufhält. Habt Ihr denn gar keine Sorge, daß Euch etwas geschehen könnte? Seht Euch doch nur die Männer an, die hier verkehren. Hier findet Ihr alles nur erdenkliche Gesindel. Grobschlächtige Gesellen, die sich im Zweifelsfall einfach nehmen, was sie begehren. Wenn Ihr gestattet, würde ich Euch gerne bis zu Eurem Quartier zurückbegleiten. So hätte ich die Gewißheit, daß Euch nichts geschehen wird. Zugleich würde ich Eurem pflichtvergessenen Gastgeber rügen, daß er Euch so ganz ohne Schutz auf den Straßen der Stadt wandeln läßt.«
»Eure Sorge um mich rührt mich zutiefst.« Samu musterte den Söldner, der wie versteinert hinter seinem Herren stand.