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Als Philippos durch das Tempelportal trat, wurde er bereits vom bärtigen Taucher erwartet. Der große Mann lachte ihn an und schloß ihn übermütig in die Arme. »Du hast meinem Schwager das Leben gerettet. Ich weiß, daß er sich umgebracht hätte, wenn sie ihm den Arm abgeschnitten hätten. Man sagt, daß die Priester es nur deinetwegen nicht getan haben, Grieche.«

»Gerede.« Philippos befreite sich aus der Umklammerung des Hünen und winkte müde ab. »Wäre der Priester Chelbes nicht im Grunde derselben Meinung gewesen wie ich, dann hätte ich einen ganzen Tag reden können, ohne daß es etwas genutzt hätte.«

»Du hast sogar den Hohepriester des Eshmun überzeugen können?« Der Taucher pfiff durch die Zähne und schlug dem Griechen auf die Schulter. »Bei Melkart, du tauchst zwar so schlecht wie eine alte Katze, aber die Götter scheinen dir eine goldene Zunge geschenkt zu haben, wenn du sogar Chelbes überzeugen konntest.«

»Ich habe mit keinem Hohepriester gesprochen«, ent-gegnete der Arzt ärgerlich. »Chelbes hat nicht anders ausgesehen als die anderen Priester auch.«

»Du kannst mir erzählen, was du willst, Grieche! Sei doch nicht so bescheiden! Es gibt nur einen Priester im Tempel des Eshmun, der Chelbes heißt, und das ist der Hohepriester.« Philippos schluckte. Das durfte nicht wahr sein! Warum zum Zeus hatte er ausgerechnet an den Hohepriester des Tempels geraten müssen? Als Vorsteher des Tempels mußte Chelbes zu den einflußreichsten Männern in der Stadt zählen. Vielleicht gehörte er am Ende gar zu den Verschwörern, die Ptolemaios das Gift geschickt hatten. Als Hohepriester des Gottes der Heilkunst kannte er sich vermutlich besser als jeder andere Tyrener in Giften aus. Wer immer sich mit der Heilkunde befaßte, der lernte auch von den verderblichen Kräften der Pflanzen und Mineralien. Wenn Chelbes seinem Gott wirklich so treu ergeben war, wie es den Anschein hatte, würde er sich dann dazu hinreißen lassen, auf so heimtük-kische Weise ein Leben zu zerstören? Philippos wußte nichts über den Kult des Eshmun, doch konnte er sich nicht vorstellen, daß ein Gott der Heilkunde einen Giftmord billigen würde.

»Was ziehst du nur für ein Gesicht, Grieche! Du hast meinen Schwager gerettet. Heute ist ein Festtag! Komm mit mir, es wird Wein geben, und wir werden ein Lamm schlachten. Wir werden feiern wie die persischen Satrapen!«

Der Arzt nickte müde. Vielleicht war es das beste, Dionysos zu huldigen und alle Sorgen im Weinrausch zu ertränken. Für die Purpurtaucher war er heute ein Held. Er sollte das genießen! Zeus allein wußte, wie viele Feste er noch feiern konnte, wenn Chelbes tatsächlich zu den Verschwörern gehörte und ihn verdächtigte, ein Spitzel zu sein.

Das Haus des Elagabal lag inmitten eines kleinen Gartens, den jahrelange Sklavenarbeit dem felsigen Boden der Insel abgetrotzt haben mußte. Der Kaufmann hatte Samu am Abend eine Sänfte geschickt und sie zu einem Festmahl eingeladen.

Einige Augenblicke lang hatte die Priesterin gezögert, die Einladung anzunehmen. Die Nachstellungen des jungen Mannes machten sie verlegen. Zugleich fand sie seine aufdringliche Art abstoßend. Doch war das Festmahl bei Elagabal nicht ein Geschenk der Göttin? Auf diese Weise wurde sie unter den Handelsherren der Stadt eingeführt und hätte vielleicht sogar Gelegenheit, den einen oder anderen unter ihnen auszuhorchen, überlegte Samu.

Obwohl die Träger auf sie warteten, nahm sich die Priesterin eine ganze Stunde Zeit, um sich zu schminken, ihr Haar kunstvoll zu flechten und ihr bestes Kleid anzulegen. Auch trug sie die wenigen Schmuckstücke, die sie besaß. Die prächtige, breite Halskette aus roten Karneol und himmelblauen Lapislazuli und den goldenen Schlangenarmreif, den ihr einst ihr Liebster geschenkt hatte, bevor er zur unsicheren Nabatäergrenze im Osten abkommandiert worden war. Was aus Hophra wohl geworden sein mochte? Gedanken, von dunklen Schwingen getragen, zogen ihr durch den Sinn. Ob Hophra tot war? Und konnte sie Elagabal trauen? War es ein Zufall, daß sie sich getroffen hatten, oder hatte der reiche Kaufmann nach ihr gesucht? Vielleicht hatte er durch Abdoubast, den Kapitän des Lastenseglers, mit dem sie nach Tyros gekommen war, erfahren, daß eine Gesandte des Ptolemaios in der Stadt weilte. Falls Elagabal in den Anschlag auf den Pharao verwickelt war, würde es ihm kaum schwerfallen, zu erraten, weshalb sie gekommen war.

Samu bekämpfte die aufsteigende Angst. Wenn sie herausfinden wollte, wer das Gift geschickt hatte, mußte sie zwangsläufig mit den Kaufleuten verkehren. Einem von ihnen hatte das Schiff gehört, mit dem die falschen Geschenke nach Ephesos gekommen waren. Es nutzte also nichts, davonzulaufen!

Schließlich war sie in die Sänfte gestiegen und hatte sich zum Haus des Handelsherren bringen lassen. Im Garten erwartete sie ein prächtig gewandeter Diener, der sie durch das Haus auf einen Innenhof führte, dessen Wände mit bunt glasierten Ziegeln geschmückt waren. Die Ziegelreliefs zeigten stilisierte Palmen und Blumen, so daß man, obwohl in diesem Hof nichts wuchs, die Illusion haben mochte, erneut in einem Garten zu stehen.

»Ah, meine schöne Priesterin! Mein Herz geht über vor Freude, Euch in meinem bescheidenen Haus zu sehen.« Elagabal war durch eine der gegenüberliegenden Türen auf den Hof getreten. »Darf ich Euch zu meinen anderen Gästen geleiten?«

Mit beschwingtem Schritt führte der Kaufmann sie durch sein großes Haus, zeigte ihr Wandreliefs, die er aus verfallenen syrischen Palästen mitgebracht hatte, kostbare, rotfigurige Amphoren aus Athen und Korinth sowie Elfenbeinschnitzereien aus dem fernen Indien. Endlich betraten sie das Triclinium, wo sich die anderen Gäste des Kaufmanns aufhielten. Es war ein Saal, dessen nördliche Seite von Säulen getragen wurde und sich zum Garten hin öffnete. Mehr als zwanzig Gäste, die es sich auf Klinen an niedrigen Tischen bequem gemacht hatten, waren zu dem Fest gekommen. Es waren allesamt Männer. Die meisten von ihnen starrten die Priesterin mehr oder weniger unverhohlen an, als sie mit Elagabal eintrat.

»Ihr werdet den Ehrenplatz an meiner Seite erhalten«, erklärte der Kaufmann lächelnd, führte sie zu einem Tisch, der ein wenig abseits stand, und ließ sich auf der breiten Kline nieder.

So blieb Samu nichts anderes übrig, als sich zu dem feisten jungen Mann zu legen. Auf den linken Arm aufgestützt, streckte sie sich auf die mit purpurnem Stoff bezogene Liege. Elagabal lag leicht versetzt hinter ihr, so daß er mit seiner Rechten ihren linken Arm streifte, als er zum ersten Mal nach den Datteln auf dem Tisch vor der Kline griff. Er war ihr so nah, daß Samu trotz des schweren Parfüms, das der Phönizier benutzte, den sauren Schweiß unter seinen Achseln riechen konnte.

»Meine Liebe, darf ich Euch unsere Tischgefährten vorstellen?« Elagabal wedelte wieder auf die ihm eigene, affektierte Art mit seiner Rechten und wies dann auf den Mann, der ihnen gegenüber lag. »Dies ist der ehrwürdige Archelaos, der Hohepriester der Theokratie von Comana und ein besonderer Freund des Gnaeus Pompeius.« Archelaos runzelte verärgert die Stirn, doch Elagabal fuhr ungerührt fort. »Eigentlich ist er der Gast meines Rivalen Iubal, aber für diesen Abend hat er sich dazu durchringen können, mir die Ehre zu erweisen. Zu seiner Rechten liegt Iubal, der mich eigentlich nicht leiden mag. Doch offenbar mochte er seinen erlauchten Gast nicht allein an meiner Tafel speisen lassen. Man sagt, er sei der reichste Kaufmann in Tyros, doch ich habe meine Zweifel.«