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Einen Moment lang überlegte Samu, ob sie ihn ansprechen sollte. Doch dann verwarf sie es. Sie wollte sehen, wie er sich von ihr verabschiedete. Es kam ihr jetzt etwas heller in der Kammer vor. Die Flamme der Lampe war größer. Hophra mußte den Docht hinaufgeschoben haben. Sie lächelte. Wahrscheinlich hatte er im Dunklen die Riemen der Sandalen nicht binden können.

Vorsichtig erhob sich der Krieger jetzt und drehte sich dabei zu ihr um. Samu blinzelte durch ihre Wimpern, so daß es für ihn so aussehen mußte, als schliefe sie noch. Hophra blieb lange stehen und betrachtete ihr Antlitz. Dann beugte er sich vor und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. »Möge Isis dich schützen und dir Weisheit schenken, meine zarte Blume«, murmelte er leise.

Samu lächelte zufrieden. Hophra hatte sich verändert, seit sie einander zuletzt begegnet waren. Früher war er einfach gegangen, wenn er glaubte, daß sie schlief. Sein Abschied hatte sie davon überzeugt, daß seine Worte wahr waren und er nicht Leidenschaft mit Liebe verwechselte.

Der Krieger stand jetzt neben dem Fenster. Ein letztes Mal blickte er zu ihr hinüber, dann schwang er sich auf das schmale Sims und ließ sich in die Dunkelheit hinabgleiten. Samu erhob sich von ihrem Lager und trat an das Fenster. Nirgendwo anders in der Gasse brannte noch Licht. Der Nebel hatte sich zwar fast aufgelöst, doch war es jetzt, wo das silberne Horusauge hinter den Horizont gesunken war, zu finster, um noch etwas erkennen zu können. Allein das Geräusch von Schritten, das leise in der Ferne verklang, zeugte davon, daß ihr Liebster irgendwo dort draußen war.

Fröstelnd drehte sie sich um. Noch immer spürte sie seine Küsse auf ihrer Haut. Er war ein viel besserer Liebhaber geworden. Zärtlicher und mehr darauf bedacht, auch ihre Wünsche zu erfüllen. Samu hatte fast die Bettstatt erreicht, als ihr Blick auf die Kleider fiel, die sie mit ihrem Gepäck zusammen zu einem Bündel geschnürt hatte, das sie ordentlich in die Zimmerecke neben dem Tisch gelehnt hatte. Jetzt war es umgefallen, und es schien, als hätten sich sogar die Schnüre gelöst.

Sollte Hophra etwa . Die Priesterin kniete neben dem Bündel nieder. Die Lederschnüre hatten sich tatsächlich geöffnet! Sie rollte die Kleider auseinander und überprüfte, ob von den wenigen Habseligkeiten, die sie in dem Bündel aufbewahrte, etwas fehlte. Doch alles war noch an seinem Platz.

Jetzt schämte sie sich fast. Konnte es nicht auch sein, daß sie das Bündel zu nachlässig geschnürt hatte und daß es von allein umgefallen war, als die Bänder sich lösten? Und das Licht? Hatte er den Docht nur deshalb hochgezogen, um besser sehen zu können, wie er seine Sandalen verschnürte, oder hatte er es getan, um ihre Sachen zu durchsuchen? Und wenn Letzteres stimmte, was hatte er dort zu finden gehofft? Sie dachte daran, wie er sie zum Abschied angesehen hatte. Wollte Hophra nur sichergehen, daß sie noch schlief? Die Priesterin fluchte leise. Warum bei Isis konnte sie dem Krieger nicht einfach trauen? 

14. KAPITEL

»Zuerst mußt du hier, kurz hinter dem Kopf, das Haus der Schnecke einschlagen. Dann kannst du sie ohne Schwierigkeiten aus dem Gehäuse herauslösen. Aber schlag’ nicht zu kräftig zu! Wenn du das Tier zermalmst, können wir keinen Farbstoff mehr aus ihm herausholen. Du mußt wissen, daß die Purpurgewinnung eine äußerst heikle Angelegenheit ist und sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert.« Der alte Färber bedachte Philippos mit einem zahnlosen Grinsen, reichte dem Griechen dann den kleinen Bronzehammer und wies auf den Eimer zu ihren Füßen, in dem sich ein halbes Dutzend frisch gefangener Purpurschnecken tummelten. »Nimm dir eine und versuch es!« 

Philippos griff nach einem der dornenbewehrten Schneckenhäuser, legte es vor sich auf den Steinboden und führte dann einen kurzen Hammerschlag gegen das Kalkgehäuse, das knirschend zersplitterte.

»Ein wenig zu feste vielleicht, aber sonst schon ganz gut«, kommentierte der Alte. »Jetzt nimm das Messer und schäl die kleine Bestie ganz aus ihrem Gehäuse.«

Wortlos folgte Philippos den Anweisungen des Färbers. Er war völlig benommen von dem Gestank, der über dem Hof mit seinen flachen Wasserbecken hing. Er hatte schon viel gerochen in seinem Leben, Lazarette, die nach Blut, Schweiß und Tod stanken, die Gerbereien in Rom, die einen so penetranten Geruch verbreiteten, daß man sich ihnen nur mit einem Tuch vor Mund und Nase nähern konnte, aber das hier übertraf alles. Es war, als würde einem die Luft abgeschnitten. Zu jedem Atemzug mußte man sich überwinden. Philippos hatte sich ein mit Duftöl getränktes Tuch vor das Gesicht gewickelt, um es überhaupt aushalten zu können, doch selbst das mochte den allgegenwärtigen Gestank nach fauligem Fisch kaum zu mildern.

»So, hier hast du die nächste Schnecke. Versuch es gleich noch einmal!«

Philippos blickte wütend zu dem Alten. Die herablassende Art des Färbers ließ ihn innerlich vor Wut schäumen. Der Kerl trug nicht einmal ein Schutztuch. Es schien, als würde er die Ausdünstungen gar nicht mehr wahrnehmen. Geduldig wiederholte der Arzt die Prozedur, zerschlug das Gehäuse und schälte den gelblichen Leib der Schnecke aus den Kalksplittern, um ihn dann in ein flaches Bassin mit Meerwasser zu werfen. Das Tier lebte noch und wand sich, seines Schutzgehäuses beraubt, in den erstaunlichsten Zuckungen.

»Sie müssen zwei Tage im Meerwasser liegen, bevor man mit ihnen weiterarbeiten kann«, brummelte der Alte vor sich hin. »Die Purpurfärberei ist ein Geschäft, für das man sich eine Menge Zeit nehmen muß und für das man einiges Fingerspitzengefühl braucht. Außerdem gibt es da noch ein paar Geheimnisse, die unseren Purpur aus Tyros besser machen als jeden anderen, den du bekommen hast. Melkart selbst hat uns Färbern vor langer Zeit die Geheimnisse verraten. Weißt du, wir können hier alles färben. Leinen, Wolle, Seide und Leder. Selbst dem kostbaren Epheser Marmor haben wir schon die Farbe des Purpurs geschenkt. Doch genug davon. Du wirst jetzt die anderen Schnecken aus ihren Häusern herausholen und in das Becken werfen. Ich gehe so lange zum Essen. Wenn du fertig bist, komm rüber ins Haus. Ich bin sicher, für dich wird auch noch was zu beißen übrigbleiben.«

Philippos nickte, doch glaubte er nicht, daß er in dem Gestank hier in der Färberei auch nur einen Happen herunterkriegen würde. Er war schon froh, wenn er sein Frühstück bei sich behielt.

Abimilkus, der verletzte Purpurtaucher, hatte dafür gesorgt, daß Philippos in der Färberei Arbeit bekam. Es ging dem Kapitän schon wieder so gut, daß er zurück auf sein Boot wollte. In der Wunde hatten sich keine üblen Säfte gebildet, und ihre Ränder waren nur leicht gerötet.

Am vorangegangenen Abend hatte sich im Haus Abimilkus eine Gruppe Taucher versammelt und heftig über die Zukunft der Stadt gestritten. Philippos hatte nicht genau mitbekommen, worum es ging, weil ihn die Frau des Kapitäns gebeten hatte, nach dem Neugeborenen einer Nachbarin zu sehen, das sich als kerngesund herausstellte. Nach den wenigen Gesprächsfetzen zu urteilen, waren die Taucher mit dem Verhalten eines der großen Handelsherren der Stadt unzufrieden.

Es schien, als sei er für ihren Geschmack zu römerfreundlich.

Philippos hatte sich darüber geärgert, daß die Taucher ihm trotz allem, was er für ihren Kapitän getan hatte, immer noch nicht trauten. Auch kam er sich hier in der Färberei des Kaufmanns Iubal fehl am Platz vor. Er war Arzt! Die Arbeit, die er hier zu machen hatte, konnte jeder Trottel erledigen. Und dann noch dieser überhebliche Greis, den man ihm zur Seite gestellt hatte, damit er ihn in das Ausnehmen der Schalentiere einwies. Mißmutig warf Philippos die letzte Purpurschnecke in das Wasserbassin und starrte zu dem niedrigen Haus herüber, in dem der Alte verschwunden war. Die Sonne stand jetzt fast im Zenit, und auf dem hinteren Hof der Färberei gab es keinen Schatten mehr. Er konnte hier unmöglich die Mittagsstunden verbringen. Allerdings hatte Philippos auch kein Interesse daran, dem Alten wieder über den Weg zu laufen und sich dessen Geschwätz anzuhören.