Der Grieche dachte an Simon und seine hübsche Tochter Isebel. Seit er auf das Boot Abimilkus gestiegen war, hatte er von dem Judäer nichts mehr gehört. Drei Tage waren inzwischen vergangen. Die Nachforschungen über den Giftanschlag kamen nicht weiter. Die Taucher waren ihm gegenüber nicht so gesprächig gewesen, wie er sich erhofft hatte. Er hatte lediglich Belanglosigkeiten erfahren, wie zum Beispiel, daß der Purpurpreis in den letzten Jahren beständig gestiegen war und daß Iubal, der reichste Kaufmann der Stadt, fast das gesamte Purpurgeschäft kontrollierte.
Von einem Schiff voller königlicher Geschenke, das vor drei Wochen nach Ephesos gesegelt war, wußte man unter den Tauchern nichts. Allerdings hatte Philippos feststellen müssen, daß Berenike den meisten Phöniziern wesentlich sympathischer war als der Neue Dionysos. Sie galt als ein Symbol für den Widerstand gegen Rom. Überall erzählte man sich, wie ihr Ehegatte Seleukos, der behauptete, von königlich-seleukidischer Abstammung zu sein, in einer Tuchhändlerkarawane versteckt mitten durch die Provinz Syria gereist war, ohne daß ihn die Häscher des Procon-suls erwischt hatten. Mit derselben Begeisterung erzählten die Phönizier allerdings auch, wie Berenike eben diesen Seleukos, dem das Volk von Alexandria den Spottnamen Cybiosaktes, der Salzfischhändler, gegeben hatte, nur drei Tage nach der Hochzeit durch ihre Leibwache erdrosseln ließ, weil sie des ungehobelten Kerls überdrüssig geworden war. Solange sich die Senatoren in Rom darum stritten, welcher Feldherr Ptolemaios nach Ägypten zurückbringen sollte, solange blieb Berenike Zeit, ihre Macht zu festigen.
Angeblich hatte sie damit begonnen, die Armee zu reformieren und zu vergrößern. Manche behaupteten auch, daß sie ein Bündnis mit den Parthern geschlossen habe, das in nächster Zeit durch eine neue Hochzeit besiegelt werden sollte. Auf jeden Fall würde sie mit Sicherheit noch eine Menge Ärger machen, bevor Ptolemaios wieder auf seinem Thron in Alexandria saß. Philippos wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Die Hitze im Hof wurde immer unerträglicher. Mißmutig schlenderte er zum Haus hinüber. Es war immer noch besser, sich das Gerede des Alten anzuhören, als hier draußen langsam zu verdursten.
Samu hatte Hophras Warnungen in den Wind geschlagen. Am Tag nach dem nächtlichen Besuch des Söldners war Elagabal zu ihr in das Gasthaus gekommen und hatte sie in aller Form darum gebeten, seine Gastfreundschaft anzunehmen und nicht unter so unwürdigen Umständen in einer billigen Schenke zu wohnen. Die Priesterin hatte das Angebot nach reiflicher Überlegung angenommen, denn sie war zu der Überzeugung gekommen, daß sie bei dem Kaufmann sicherer als irgendwo sonst in der Stadt war. Daß es für einen Meuchler keine Schwierigkeit darstellte, ungesehen in den Gasthof zu kommen, hatte Hophra mit seinem nächtlichen Besuch bewiesen. Das Haus Elagabals war mit Sicherheit besser bewacht. Sollte aber der Kaufmann selbst ihr nach dem Leben trachten, dann würde er sie gewiß nicht innerhalb seiner eigenen vier Wände ermorden lassen ... Zumindest hoffte Samu, daß Elagabal so viel Anstand besaß, zumindest zum Schein seine Unschuld bewahren zu wollen, falls er ihren Tod befahl.
Hophra war ihr in den folgenden beiden Tagen aus dem Weg gegangen und hatte sie nur hin und wieder mit finsteren Blicken bedacht. Elagabal hingegen überschlug sich schier vor Höflichkeit. Er hatte ihr drei Sklavinnen gekauft, die sich um ihr Wohlergehen kümmerten, und ihr ein kostbares Purpurgewand geschenkt. Wann immer ihn seine Geschäfte in den Hafen führten, nahm er sie mit, damit sie Gelegenheit hatte, nach dem weißen Schiff Ausschau zu halten, von dem ihre Hohepriesterin geträumt hatte. Nichts deutete darauf hin, daß der Handelsherr die Geschichte vom Traum der Hohepriesterin nicht glaubte.
Nur in einem Punkt erwies sich Elagabal als verschlossen. Er mochte in ihrer Gegenwart nicht mehr über die Römer und den Bau des Aquaeducts sprechen. Sobald sie dieses Thema anschnitt, schützte er allerlei Ausflüchte vor oder zog sich einfach zurück.
An diesem Nachmittag war Samu mit dem Handelsherren im sidonischen Hafen. Ein Schiff aus Kreta, beladen mit Amphoren voller Olivenöl, war eingetroffen, und Elagabal überwachte, wie die Fracht gelöscht wurde. Samu wunderte sich, daß der Handelsherr persönlich gekommen war, um einen so unbedeutenden Vorgang zu überwachen.
Die Priesterin stand im Schatten eines der zweistöckigen Lagerhäuser aus hellem Sandstein, in das die Lastenträger über eine massive Leiter die Fracht brachten. Hophra hatte bei ihrer Ankunft im Hafen die Träger unter den Arbeitern ausgewählt, die an den Kais herumlungerten. Seitdem war der Krieger verschwunden. Samu mochte es sich kaum eingestehen, doch vermißte sie ihn. Seit sie im Haus des Handelsherren weilte, war der Ägypter nicht mehr zu ihr gekommen, ja, es hatte sich nicht einmal mehr eine Gelegenheit zu einem Gespräch ergeben.
Gelangweilt glitt Samus Blick über das Hafenbecken. Triremen aus allen Teilen der Welt lagen hier vor Anker. Hochbordige Handelsfahrer, gefertigt aus den besten Zedern des Libanon, damit sie stark genug waren, die gefährlichen Meere jenseits der Säulen des Herakles zu befahren, um kostbares Zinn aus den Ländern der Barbaren zu holen; schlanke Galeeren aus Korinth, die Luxusgüter transportierten und die zu den schnellsten Schiffen gehörten, die je die Wogen des mittleren Meeres durchpflügt hatten; dickbauchige Lastensegler aus Lesbos und Rhodos, mit denen Wein, Öl und Getreide transportiert wurden und deren Frachtraum so gewaltig war, daß ein einziger Segler genügte, um ein halbes Lagerhaus zu füllen. Mehr als zwanzig große Schiffe ankerten im Hafen und rund ein Dutzend kleinerer Boote, die den Purpurtauchern und Küstenfischern gehörten.
Samus Blick wanderte über die ein wenig heruntergekommenen Hafenanlagen. Vor der Eroberung durch Alexander war Tyros einst die bedeutendste Handelsstadt des Ostens gewesen.
Die Bauten erinnerten noch immer an diese lang vergangenen Tage, doch hatten sie ihren Glanz verloren. Die Kais waren aus dunklem Sandstein gefertigt, in den man massive Holzstämme eingelassen hatte, um an ihnen die Schiffe zu vertäuen. Alle zwanzig Schritte führten Treppen bis zur Wasserlinie hinab.
Den Horizont begrenzte die gewaltige Festungsmauer, die den Hafen gegen die See schützte. Eine zwanzig Schritt breite Öffnung, flankiert von zwei Türmen, erlaubte es immer nur je einem Schiff, in den Hafen einzulaufen. So kam es, daß manchmal, wenn der Wind günstig stand und die Lastensegler von Schleppbooten zur Hafeneinfahrt gebracht wurden, heftiger Streit zwischen den Mannschaften entbrannte, wer den Hafen zuerst verlassen durfte.
Von der Nordseite des Hafens erklang schwerer Marschtritt.
Eine Kolonne römischer Legionäre verließ die Festung dicht bei der Hafenmauer und marschierte die Kais entlang. Samu konnte förmlich spüren, wie von einem Augenblick zum anderen eine Spannung da war, die es vorher nicht gegeben hatte.
Feindselig verharrten die Lastenträger in ihrer Arbeit und starrten zu den Soldaten hinüber.
Ein Schatten huschte über Samus Gesicht. Neben ihr ertönte ein gellender Schrei, und einer der Lastenträger versetzte ihr einen derben Stoß in die Rippen, so daß sie auf das Pflaster geschleudert wurde. Etwas schlug krachend neben ihr auf den Boden. Splitter trafen die Priesterin in die Seite und schrammten über ihr Gesicht. Eine der großen Ölamphoren war aus dem Giebelfenster des Lagerhauses hinabgestürzt.
Ringsherum gellten Schreie. Das blasse Gesicht Elagabals tauchte über ihr auf.
»Samu?« Der Kaufmann packte sie und zog sie ein Stück in den Eingang des Lagerhauses. Ihre Kleider klebten öldurchtränkt an ihrem Körper. Die Priesterin war wie gelähmt.