Выбрать главу

»Lebst du noch?«

Samu nickte müde. Sie blickte an sich hinab. Auf ihrem weißen Gewand schimmerte rotes Blut. Sie tastete sich über Arme und Gesicht. Die scharfkantigen Splitter der Amphore hatten sie verletzt, doch schienen die Wunden nicht tief zu sein.

»Bei allen Göttern! Ich bin froh, daß die Amphore dich nicht erschlagen hat. Viel hätte nicht gefehlt! Ich werde nach einer Sänfte schicken lassen! Du mußt in den Tempel des Eshmun gebracht werden, damit man deine Wunden versorgt. Chelbes persönlich, der Hohepriester, soll sich darum kümmern. Bewege dich nicht! Verletzte sollen ruhig liegenbleiben . Hab keine Angst, es wird bald alles wieder gut sein .«

Samu lächelte matt. Elagabal war völlig durcheinander. Wie hatte sie ihn als Meuchler verdächtigen können! Im Tor der Lagerhalle erschien die schlanke Gestalt Hophras. Der Ägypter hatte seinen Helm unter den Arm geklemmt.

»Wie geht es ihr?« Seine Stimme klang kalt und gefühllos, so als hätten sie niemals eine Nacht miteinander verbracht.

Erschrocken musterte die Priesterin ihren Geliebten. Was war er nur für ein Mann? Wie konnte er sich so verstellen? Oder tat er das am Ende gar nicht? War es ihm egal, ob sie lebte? Er war verschwunden gewesen, als die Amphore aus dem Giebelfenster fiel.

»Sie hat ein paar Schnittwunden abbekommen und einen tüchtigen Schrecken. Sonst ist ihr zum Glück nichts geschehen. Hast du den Mann finden können, der für das Unglück verantwortlich ist?«

Hophra schüttelte den Kopf. »Als ich auf dem Speicher ankam, war dort niemand mehr. Wahrscheinlich hat sich der Schurke aus Angst vor deinem Zorn davongeschlichen. Aus den Lastenträgern ist nichts herauszubekommen. Angeblich hat niemand den Mann gesehen.«

»Aber wie kann das sein? Sie müssen doch gesehen haben, wer oben auf der Leiter stand«, fragte der Kaufmann verwirrt.

»Es war niemand mehr auf der Leiter. Das obere Lager war voll. Sie haben die restlichen Amphoren hier unten gestapelt. Deshalb hat auch niemand mehr auf das Giebelfenster geachtet.«

Elagabal strich sich über sein Doppelkinn. »Du meinst, es war kein Unfall ...«

»Ich meine, daß eigentlich niemand mehr etwas dort oben zu suchen hatte und daß die Amphore bestimmt nicht durch ein Versehen aus dem Fenster gestürzt ist.«

Samu schluckte. Hophra hatte sie gewarnt. Diesmal hatten die Götter es noch gut mit ihr gemeint. Doch wie oft würde sie noch auf ihr Glück vertrauen können?

»Herr, die Sänfte ist gekommen«, erklang eine Stimme vor dem Lagerschuppen. Elagabal bückte sich, um Samu auf die Beine zu helfen, doch sie wies seine Hand zurück.

»Danke, so schlimm ist es nicht. Ich kann allein gehen.« Mit weichen Knien schwankte sie durch das Tor. Ein großer, dunkler Fleck auf dem Pflaster und der Geruch von Olivenöl, das war alles, was noch an den Unfall erinnerte. Die Arbeiter hatten die Scherben der mächtigen Amphore schon beiseite geschafft. Die Lastenträger standen in einem weiten Halbkreis um die Sänfte und starrten sie an. Samu meinte, ihre Blicke fast wie Berührungen spüren zu können. Die Gesichter der Männer waren dunkel und verschlossen. Keiner lächelte.

Dankbar ließ sich die Priesterin auf die Kissen der Sänfte sinken. Jemand zog die Vorhänge zu. Stimmengemurmel erklang. Sie hörte, wie Hophra den Lastenträgern zurief, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Dann wurde die Sänfte schwankend in die Höhe gehoben. Ein Windstoß vom Hafen teilte die Vorhänge für einen Augenblick, so daß Samu auf das Schiff aus Kreta blicken konnte. Auf dem Laufsteg standen zwei Männer, die Bündel aus ölgetränktem Tuch geschultert hatten. Was für eine Fracht wurde da gelöscht?

Samu ballte ihre zitternden Hände zu Fäusten. Was ging hier vor sich? Hatte man den Zwischenfall mit der Amphore nur inszeniert, um einen Vorwand zu haben, sie vom Hafen fortschaffen zu lassen? Und die Bündel . Waren sie der Grund, warum Elagabal persönlich in den Hafen gekommen war? 

15. KAPITEL

Philippos war froh, die Färberei hinter sich gelassen zu haben und in das Haus Abimilkus zurückgekehrt zu sein. Er hatte bei Sonnenuntergang ein Bad im Meer genommen, um den gräßlichen Geruch nach fauligem Fisch loszuwerden, doch es hatte nichts genutzt. Es war, als sei der Gestank tief in seine Haut eingedrungen. Seine Finger, seine Haare, alles roch nach Fisch! Ja, er wunderte sich, daß es die Familie Abimilkus mit ihm an einem Tisch aushielt. Es gab eine große Schale mit Fischbrühe, in die alle abwechselnd ihr Brot tunkten. Außerdem standen frische Zwiebeln und eine riesige Melone auf dem Tisch. 

Philippos starrte mit gemischten Gefühlen auf die Suppe. Er würde nichts herunterbekommen, was auch nur im entferntesten an Fisch erinnerte!

Die Stimmung bei Tisch war seltsam gedrückt und das, obwohl es eigentlich gute Nachrichten gab. Vor dem Essen hatte Philippos noch einmal die Wunde des Kapitäns untersucht. Sie war so gut verheilt, daß er vom nächsten Tag an wieder auf dem Boot arbeiten konnte.

Als die Schale mit der Fischsuppe geleert war, zogen sich die Frau des Tauchers und seine Kinder vom Dach des kleinen Hauses zurück und ließen die beiden Männer allein. Abimilku machte ein bekümmertes Gesicht und drehte unschlüssig den kleinen Tonbecher zwischen den Fingern, aus dem er während des Essens verdünnten Wein getrunken hatte.

Schließlich mochte Philippos die Ungewißheit nicht mehr länger ertragen. »Was ist mit dir los, mein Freund? Was bedrückt dich? Hast du nicht allen Anlaß zur Freude?«

Abimilku konnte ihm nicht in die Augen sehen. Verlegen hob er den Kopf und blickte zum hellen Abendhimmel. »Ich weiß, welch großen Dienst du mir erwiesen hast, Philippos, und du kannst gewiß sein, daß ich dir mein ganzes Leben lang dankbar dafür sein werde, daß du mir meinen Arm gerettet hast. Du sollst auch nicht denken, ich sei undankbar ... Weißt du, ich habe immer für dich gesprochen, doch mein Wort hatte nicht genug Gewicht.«

»Wovon redest du? Was willst du mir damit sagen?« Philippos spürte, wie sich seine Gedärme zusammenzogen. Instinktiv spähte er über den Rand des Daches hinweg und überlegte, auf welchem Weg er fliehen könnte, falls die Situation es erfordern sollte. In der Gasse, an die das kleine Haus grenzte, standen einige Männer.

»Du hast in den letzten Tagen sehr viele Fragen gestellt, Philippos. Das ist einigen meiner Freunde aufgefallen. Das wäre auch sicher nicht weiter schlimm, wenn du andere Fragen gestellt hättest. Fremde sind nun einmal neugierig ... Aber warum interessierst du dich so sehr für die großen Geschäftsleute und die Priesterschaft? Warum willst du wissen, wer Handel mit den Ägyptern treibt und wer ein Feind der Römer ist? Verstehe mich nicht falsch, Philippos! Nicht ich bin es, der dir nicht mehr traut . Es sind andere, die sich Sorgen machen.«

Der Grieche warf einen abschätzenden Blick zur Dachkante.

Mit einem Satz konnte er am Rand des niedrigen Daches sein und in den Innenhof hinabspringen. Von dort könnte er in eines der angrenzenden Häuser laufen und zusehen, daß er einen Weg auf eine der anderen Straßen fand, die den kleinen Häuserblock umgaben. Die Männer unten vorm Haus hatten sich nicht von der Stelle bewegt, und der Grieche glaubte nicht mehr daran, daß es Zufall war, daß sie dort standen.

»Worauf willst du hinaus, Abimilku? Welche Schurkerei unterstellt man mir? Rede, denn nur wenn ich weiß, was man mir vorwirft, kann ich meine Unschuld beweisen.«

Der Taucher räusperte sich und nahm dann einen tiefen Schluck aus seinem Becher. »Es sind Gerüchte ... Man sagt, daß du nie ein Söldner gewesen bist . Daß du dies nur erzählst, um dich in unser Vertrauen zu schleichen. Nie hast du davon gesprochen, in welchen Schlachten du gekämpft hast, so wie es eigentlich alle Soldaten zu tun pflegen. Und deine Heilkunst! Die, die dir Übles wollen, behaupten, du seiest ein Arzt und ein Weiser. Daß du meinen Arm gerettet hast, gilt ihnen als Beweis dafür. Sie sagen, Söldner schlagen Wunden, sie zu verbinden, sei nicht ihre Sache. Und dann deine Fragen . Weißt du, für die meisten sieht es so aus, als seiest du ein römischer Spitzel. Ich habe ihnen gesagt, daß du auf Empfehlung des Kaufmanns Simon auf mein Boot gekommen bist und daß die Judäer Krieg mit den Römern führen. Würde Simon also gut über einen Feind seines Volkes sprechen? Aber die anderen haben gelacht. Sie sagten, daß es kein Zufall sei, daß du ausgerechnet in mein Haus gekommen seist und daß ...« Abimilku schüttelte den Kopf. »Du mußt mir verzeihen. Ich habe alles für dich getan, was in meiner Macht stand, doch sie wollten mir nicht glauben.«