Hinter dem Krieger trat ein Sklave aus der Finsternis auf, der ein großes Schwert trug.
Philippos traute seinen Augen kaum. Die Waffe seines Gegners war fast doppelt so lang wie sein Gladius. Der Arzt hatte von solchen Schwertern schon gehört. Angeblich führten die Gallier solche Waffen. Tatsächlich gesehen hatte er aber noch nie ein Schwert von dieser Größe.
»Eine ungewöhnliche Waffe. Gestattest du, daß ich sie mir näher ansehe?«
»Warum nicht?« Der Söldner zog das Schwert aus seiner bronzebeschlagenen Scheide und reichte es Philippos. Die Spitze der Klinge war sehr kurz. Das Schwert war nur auf einer Seite geschliffen. Sein Griff war aus Horn geschnitten und wie Bienenwaben gemustert. Dicht unter dem Heft war der Schwertgriff eingekehlt, so daß der Zeigefinger von den übrigen Fingern der Hand getrennt war, wenn man die Waffe umschloß.
Vorsichtig führte der Grieche zwei Schläge in die Luft. Das Schwert war sehr kopflastig. Eine reine Hiebwaffe, die ihre tödliche Wirkung durch ihr Gewicht und durch Schläge entfaltete, die aus der Schulter heraus geführt wurden.
Philippos gab dem Söldner sein Schwert zurück. Wenn er gegen diese Klinge bestehen wollte, dann müßte er dicht an seinem Gegner bleiben. Jetzt wußte Philippos, warum in diesem Kampf keine Schilde zugelassen waren. So gewappnet, wäre es ein leichtes gewesen, den Söldner auszumanövrieren.
»Eine prächtige Waffe.«
Der Krieger nickte. »Ich habe sie von einem Parther, der sie nicht mehr braucht. Bist du bereit?«
Philippos überlegte fieberhaft, ob es irgendeine Ausrede gab, mit der er den Beginn des Duells noch ein wenig hinauszögern konnte. Er wollte seinen Gegner studieren ... wissen, was für eine Art von Kämpfer er war, kühn, berechnend, impulsiv ... Der Grieche hatte nicht den geringsten Zweifel daran, in dem Mann einen erfahrenen Soldaten vor sich zu haben. Der Söldner hatte genau jene Art von Selbstbewußtsein, die aus Erfahrung im Töten resultierte. Wahrscheinlich hatte sein Gegner gerade in diesem Augenblick ganz ähnliche Gedanken wie er selbst und versuchte, sich ein Bild von ihm zu machen.
»Nun?« Die Stimme seines Gegenüber klang überheblich, fast schon verächtlich. »Was ist mit dir, alter Mann? Ziehst du den schnellen Tod vor?«
Philippos versuchte, halbwegs zuversichtlich zu lächeln. »Wenn du gestattest, möchte ich mich auf meine Art vorbereiten. Es dauert nur einen Augenblick. Dann können wir beginnen.«
Der dunkelhäutige Söldner runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich sehe schon, du möchtest deinen Tod noch ein wenig hinausschieben. Mach deinen Frieden mit deinen Göttern und bereite dich darauf vor, schon in einer Stunde im Hades zu sein.«
Der Arzt verzichtete auf eine Antwort. Statt dessen kniete er nieder und begann, die Riemen seiner Caligae zu lösen. Die mit Eisennägeln beschlagenen Sandalen hatten ihn durch ein halbes Dutzend römischer Provinzen getragen. Jetzt würden sie ihm vielleicht das Leben retten.
»Was machst du da, alter Mann? Glaubst du, Charon wird dich freundlicher empfangen, wenn du mit nackten Füßen vor ihn trittst?«
»Du wirst schon noch sehen, was ich hier mache, junger Mann.« Philippos glaubte, einen Anflug von Unsicherheit aus der Stimme seines Gegners herausgehört zu haben, und jetzt fiel es ihm schon erheblich leichter, den Krieger anzulächeln. »Es gibt keinen Zweifel daran, daß du jünger bist und dein längeres Schwert dir in diesem Kampf einen Vorteil verschaffen wird. Ich bemühe mich, deinen Vorsprung ein wenig zu verkürzen. Alter, mein junger Freund, muß nicht nur von Nachteil sein.«
Philippos hatte jetzt beide Caligae ausgezogen und begann damit, sie mit der nagelbeschlagenen Sohle nach außen, auf seinen linken Unterarm zu binden. Er würde sie wie eine Armschiene benutzen. Wenn er flink genug war, konnte er mit ihrer Hilfe das Schwert seines Gegners zur Seite schlagen. Er mußte nur verhindern, daß die Waffe seines Gegners im rechten Winkel auf seinen Arm auftraf. Das zähe Leder und die Nägel würden zwar vermutlich verhindern, daß die Klinge ihm eine blutige Wunde schlug, doch die Wucht des Schlages allein würde schon ausreichen, um die beiden Knochen seines Unterarmes zu zerschmettern. Philippos erhob sich, doch ließ er das Schwert noch vor sich auf dem Pflaster liegen.
»Was nun, Alter? Willst du versuchen, mich mit bloßen Fäusten und deinem lächerlichen Armschutz zu besiegen? Wenn ich so gegen dich antrete, könnte man mich mit Recht einen Mörder nennen. Nimm dein Schwert!«
»Keine Sorge, ich werde deinem guten Ruf nicht schaden. Wie heißt du eigentlich? Ich kenne gerne die Namen derjenigen, die ich im Zweikampf töte.« Voller Genugtuung hörte Philippos das Raunen auf den Dächern. Sein Auftritt hatte allem Anschein nach Eindruck gemacht.
»Man nennt mich Hophra den Ägypter!«
»Mach dich bereit, vor deine tierköpfigen Götter zu treten.«
Der Grieche streifte seine Tunica über den Kopf. Von oben erklangen erstaunte Rufe. Offenbar hielt man ihn jetzt für vollkommen verrückt. Er wickelte sich den Stoff um seinen Arm.
Es war nur dünnes Leinen, doch hoffte er, daß es die Wucht der Treffer, die er zu erwarten hatte, wenigstens ein bißchen abmildern würde.
Der Ägypter lachte, doch es klang falsch und schrill. »Du bist kein schöner Anblick mehr! Hoffst du, mich auf diese Weise zu erschrecken, so daß ich versteinere, ganz so, als hätte ich das Haupt der Gorgo erblickt?«
Philippos hob seine Arme in großer Geste und legte den Kopf in den Nacken, um zu den Gaffern emporzublicken. »Wenn in meiner Heimat zwei Faustkämpfer gegeneinander antreten, dann ist es üblich, daß sie nackt kämpfen. Schwertkämpfe auf Leben und Tod kennt man in Griechenland nicht. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen einzuwenden, wenn ich für mich die Traditionen des zivilisierten Zweikampfs für dieses blutrünstige Spektakel übernehme.«
»Fang endlich an, Hasenherz! Wir wollen nicht wissen, ob du ein Rhetor bist. Zeig uns, wie du kämpfst!«
»Wenn du ein so großer Jäger bist, dann weißt du sicherlich, wie überaus schwierig es sein kann, einen Hasen zu erlegen. Vor allem, wenn einem dazu nichts als ein Schwert zur Verfügung steht.« Philippos bückte sich und hob seine Waffe auf.
Er hatte gehofft, den Ägypter genügend provoziert zu haben, um ihn zu einem sofortigen, unüberlegten Angriff zu reizen.
Doch Hophra bewahrte die Ruhe. Lauernd umkreisten sie einander, die Schwerter leicht gehoben, jederzeit bereit, eine Attacke des Gegners zu parieren.
Das leise Knirschen der Ledersohlen des Ägypters und das Knistern der Fackeln waren die einzigen Geräusche, die die angespannte Stille störten. Langsam begann Philippos, unruhig zu werden. Er fragte sich, wie lange Hophra dieses Spiel noch treiben wollte. Der Söldner hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Er war jung und mit Sicherheit schneller, und er hatte die längere Waffe. Es war an ihm, anzugreifen!
So als habe der Krieger seine Gedanken gelesen, sprang er vor und führte mit der Rückhand einen Schlag, der auf den Kopf des Griechen zielte. Philippos duckte sich zur Seite und riß dann im letzten Augenblick sein Schwert hinab, um einen Stich zu parieren, den der Söldner aus dem Schwung des fehlgegangenen Hiebes gegen seinen Unterleib führte.
Mit zwei schnellen Schritten nach hinten brachte sich Philippos außer Reichweite des Schwertes. Hophra grinste. Offenbar war ihm der Angriff nicht ernst gewesen. Der Söldner hatte wohl nur ausprobieren wollen, wie schnell er auf ihn reagierte, dachte Philippos verärgert. Vielleicht war es ja die falsche Strategie, dem Ägypter die Initiative zu überlassen. Er sollte ihn angreifen! Wenn der Kerl nur nicht so ein verdammt langes Schwert hätte!