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Vertrauen würde die Priesterin ihnen allerdings nicht mehr.

Den ganzen Tag über erhob sie sich kaum von ihrer Kline, scheuchte die Sklavinnen hin und her und versuchte, ein wenig des verlorenen Nachtschlafs nachzuholen.

Am späten Nachmittag schließlich schickte sie die Frauen in die Küche, um dort bei der Vorbereitung des Abendmahls zu helfen. So hatte Samu Zeit, sich für ihre Flucht bereit zu machen. Das dünne Priesterinnengewand und ihren Schmuck würde sie zurücklassen müssen. Es galt, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Wenn die Kleider und der Schmuck noch auf ihrem Zimmer waren, dann mochte sie vielleicht ein oder zwei Stunden gewinnen, in denen Elagabal darüber im Zweifel war, ob sie lediglich einen Spaziergang in die Stadt machte oder aber versuchte, ihm zu entkommen.

Samu legte einen schlicht verarbeiteten, beigefarbenen Chitonion an und drapierte darüber ein dunkelbraunes Himation. Ihre Haare ließ sie glatt über die Schultern fallen, und auch auf Schminke verzichtete die Priesterin ganz. So würde sie unter den Syrerinnen auf dem Markt und in der Stadt nicht sonderlich auffallen. Unter ihren Gewändern, direkt auf dem Leib, trug sie einen dünnen Ledergürtel, in den sie fünf Goldstücke eingenäht hatte. Außerhalb der Stadt wollte Samu sich zu den Truppen des Marcus Antonius oder aber zu Aulus Gabinius durchschlagen. Die Römer mußten wissen, was hier in Tyros geschah! Doch als Frau mochte diese Reise gefährlich werden. Allein, ohne männlichen Schutz, würde sie vermutlich einige Aufmerksamkeit erregen. Wahrscheinlich würde man sie für eine Hetaire halten und sie auch so behandeln, doch es konnte auch noch Schlimmeres geschehen. Unter dem Himation verborgen trug sie einen kleinen Dolch, doch machte sie sich keine Illusionen. Die zierliche Waffe würde in den meisten Fällen nicht ausreichen, um sich gegen Zudringlichkeiten zu erwehren.

So verließ Samu das Haus des Elagabal. Dem Torsklaven erklärte sie, sie wolle noch auf den Markt, um für das Nachtmahl einzukaufen. Doch statt in Richtung des Hafens zu gehen, schlug sie einen Weg ein, der sie zu dem Stadttor brachte, das sich am Damm befand. Dort streifte sie ziellos durch die Gassen, betrachtete die Auslagen der kleinen Läden und aß in einer kleinen Taberna einen gegrillten Fisch. Erst als das Horusauge im Westen im Meer versunken war und die Stadt in graues Zwielicht getaucht wurde, wagte sie es, sich auf den Weg zum Hafen zu machen. Samu hatte sich geschworen, Tyros nicht ohne einen Beweis für die Verbrechen Elagabals zu verlassen. Sie erinnerte sich noch genau an das Abendessen an jenem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, und daran, wie der Kaufmann damals erzählte, sein Kapitän Oiagros sei erst vor wenigen Tagen aus Ephesos zurückgekehrt. Seitdem hatte sie von keinem anderen tyrenischen Schiff gehört, das in der fraglichen Zeit nach Ephesos gesegelt war. Auch die Andeutungen, die Elagabal über Berenike gemacht hatte, sprachen dafür, daß er eher die tyrannische Prinzessin unterstützte als den rechtmäßigen Pharao. Er hatte ein Interesse daran, daß Ptolemaios nicht mehr nach Ägypten zurückkehrte. Alles, was sie jetzt noch brauchte, war ein schriftlicher Beweis. Damit könnte sie Elagabal den Römern ausliefern. Samu war sicher, daß sie diesen Beweis im Hafenkontor des Kaufmanns finden würde. Dort wurde ein Tontafelarchiv geführt, in dem alle Schiffs- und Warenbewegungen registriert wurden. Jetzt, nach Einbruch der Dämmerung, würde dort mit Sicherheit niemand mehr anzutreffen sein, und sie konnte ungestört die Aufzeichnungen durchgehen.

Mit klopfendem Herzen durchquerte Samu das Hafenviertel mit seinen verrufenen Schenken. Unter dem Himation verborgen hielt sie den Dolch in der Hand, bereit, sich nicht nur mit Worten zur Wehr zu setzen. Doch abgesehen von einer Begegnung mit einer Gruppe von betrunkenen Seeleuten, die sie wohl mit einer Hetaire verwechselten und mit allerlei unflätigen Kosenamen bedachten, kam es zu keinem nennenswerten Zwischenfall.

Als sie schließlich bei den Lagerhäusern Elagabals im Hafen anlangte, fand sie die großen hölzernen Pforten, die auf die Anlegestellen hinauswiesen, allesamt verriegelt. Keines der Tore hätte sich ohne weiteres öffnen lassen. Enttäuscht umrundete Samu die Lagerhallen, doch auch alle anderen Tore und Türen waren sorgfältig verschlossen. Sie wußte genau, daß auf der Rückseite des größten der Lagerhäuser in einem Anbau das Archiv lag, doch so, wie die Dinge standen, mußte sie die Hoffnung wohl begraben, an eine der verräterischen Tontafeln zu gelangen.

Resignierend lief sie noch einmal um die größte Lagerhalle herum. Es war jenes Gebäude, vor dem sich am vorangegangenen Tag der Unfall ereignet hatte. Die Dachluke im Giebel, durch welche die große Amphore herabstürzte, war auch jetzt unverschlossen. Dunkel klaffte sie dort oben im hellen Sandstein, so wie der Eingang zu einer Schatzhöhle. Samu fluchte leise. Jetzt könnte sie Philippos gebrauchen. Der Grieche würde sich vielleicht darauf verstehen, mit Hilfe eines Seils nach dort oben zu gelangen. Sie jedoch wußte nicht, was sie machen sollte.

Der schwere Marschtritt einer römischen Streife ließ Samu Zuflucht in einer finsteren Gasse zwischen zwei der mächtigen Lagerhäuser suchen. Einige Herzschläge lang überlegte sie, ob sie den Decurion, der die Patrouille befehligte, ansprechen solle. Wenn der Mann ihr glaubte und sie mit zum Stadtkommandanten nahm, dann würde sie die Intrige Elagabals vielleicht noch rechtzeitig aufdecken können. Doch wie gut standen schon die Aussichten, daß man ihr glaubte? Sie hatte keine Beweise, und, was noch schlimmer war, sie war nur eine Frau. Vermutlich würde nicht einmal der Decurion auf sie hören, und bis zum Stadtkommandanten würde man sie erst gar nicht vorlassen. Nein, sie mußte zu Marcus Antonius oder Aulus Gabinius. Die beiden Männer kannten sie. Sie würden sie nicht nur empfangen, nein, sie würden ihren Rat auch ernst nehmen!

Die Schritte der Soldaten verhallten in der Finsternis. Samu wollte gerade die Gasse verlassen, als sie mit dem Fuß gegen etwas Längliches stieß, das auf dem Boden lag. Vorsichtig tastete sie in die Finsternis und stieß dann, als sie erkannte, was sie gefunden hatte, einen halberstickten Freudenschrei aus. Die Lastenträger hatten hier die Leiter abgelegt, die sie benutzt hatten, um die Amphoren in das oberste Geschoß des Lagers hinauf zu bringen. Isis allein mochte wissen, warum die Leiter nicht im Schuppen verschlossen worden war. War es vielleicht die Göttin selbst gewesen, die das Schicksal so gefügt hatte, daß sie doch noch einen Weg in das Lagerhaus finden würde? überlegte Samu. Mit einem inbrünstigen Gebet dankte sie der Zauberreichen für das Geschenk. Dann schaffte sie die Leiter aus der Gasse und blickte sich im Hafen um. Im Augenblick war niemand zu sehen. Also riskierte sie es, die lange Leiter vor dem Einstieg zum Giebel anzulehnen. Auch Horus schien ihr gnädig gesonnen zu sein. Er hatte sein silbernes Auge hinter Wolken verborgen, so daß man in der Finsternis kaum zehn Schritt weit sehen konnte. Nur das Feuer auf dem Leuchtturm machte ihr Sorgen. Seine Flammen warfen tanzende Schatten auf den Hafen.

Mit klopfendem Herzen erklomm Samu die Sprossen der Leiter. Oben angekommen, blickte sie noch einmal zum Himmel.

Es herrschte ein starker Wind, und die Wolken zogen schnell weiter. Womöglich würden schon in wenigen Augenblicken die Schleier vor dem Horusauge zerreißen, so daß man schon von weitem die Leiter sehen konnte, die an der Vorderfront des Lagerhauses lehnte. Sie mußte verschwinden! Wenn Samu sie einfach umstieß und sich keine Möglichkeit fand, die Tore des Lagers von innen zu öffnen, dann wäre sie gefangen. Sie konnte es sich nicht leisten, auf die Leiter zu verzichten! Es blieb ihr keine andere Wahl, als sie hinaufzuziehen. Wieder fluchte sie leise vor sich hin und wünschte sich Philippos an ihrer Seite. Seit ihrer Begegnung im Hafen hatte sie den Griechen nicht mehr gesehen und hatte es auch nicht gewagt, nach ihm zu fragen, um seine Sicherheit nicht zu gefährden. Wahrscheinlich lag er wieder in den Armen einer Frau! Bevor sie die Stadt verließ, sollte sie bei Simon eine Nachricht für den Arzt hinterlassen. Dem Griechen würde der römische Stadtkommandant eher glauben als ihr.