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Der Arzt erwiderte das Lächeln. »Ich weiß. Ich selbst habe ihr dazu geraten, deine Kräfte zu schonen. Doch wenn du jetzt wieder die Stimme Aphrodites in dir hörst, dann bin ich sicher, bist du auch in der Lage, die Gaben der Göttin zu empfangen.«

Der Taucher lächelte.

Am Fuß der Mauer trennten sich die beiden, und Philippos kehrte zum Haus des Judäers zurück. Auch wenn er sich mit warmherzigen Worten verabschiedet hatte, so quälten ihn doch düstere Gedanken. Immer wieder sah er das brennende Tyros vor sich, und der Arzt betete stumm zur Pallas, daß sie den Tyrenern die Weisheit schenken möge, zu erkennen, welchen Weg sie beschritten hatten. 

18. KAPITEL

»Was soll das heißen, sie ist verschwunden?« 

Simon zuckte mit den Schultern. »Sie ist fort. Gestern abend hat sie das Haus Elagabals verlassen, danach ist sie nicht mehr gesehen worden. So sagt man jedenfalls.«

»Wer sagt das?« Philippos knallte wütend den Tonbecher auf den Tisch. Wie konnte ihm der Judäer in aller Gelassenheit erklären, daß Samu verschwunden war? Offenbar war ihm das Schicksal der Priesterin völlig gleichgültig!

»Meine Tochter Isebel hat auf dem Markt mit einer der Sklavinnen aus dem Haus des Handelsherren gesprochen. Samu hat gestern abend das Haus verlassen. Seitdem hat sie niemand mehr lebend gesehen.«

Philippos mußte sich zur Ruhe zwingen. Der Gleichmut des Judäers trieb ihn schier zum Wahnsinn. »Was heiß das, lebend?«

»In der Nacht hat Elagabal Männer ausgeschickt, um nach der Priesterin zu suchen. Angeblich haben sie sie nicht gefunden. Ich habe allerdings auch gehört, daß die Fischer heute morgen ein blutbeflecktes Himation aus dem Hafenbecken gezogen haben. Jahwe allein wird wissen, was mit der Götzenpriesterin geschehen ist. Vielleicht haben ihre Daimonen sie verschlungen?«

»Oder Elagabal wußte, warum sie in sein Haus gekommen war. Du hättest mir früher sagen müssen, daß sie dort wohnt! Ich hätte sie warnen können. Du weißt doch, was in der Stadt vor sich geht, Simon. Ein paar Tage noch, und es wird zum Aufstand kommen. Sie sind alle verrückt, diese Tyrener! Sie glauben, sie könnten Rom herausfordern!«

Der Judäer wiegte bedächtig den Kopf. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß es seit langem der Wille Jahwes ist, daß diese Stadt vernichtet wird. Es ist töricht, zu glauben, daß wir dies verhindern könnten!«

»Und dein Haus? Du wirst all dein Hab und Gut verlieren! Wie kannst du nur so gleichmütig hier sitzen und deinem Untergang entgegensehen? Was ist, wenn Samu uns verraten hat, bevor diese Schurken sie ermordet haben? Vielleicht werden auch wir diese Nacht nicht überleben? Elagabal traut mir nicht. Er läßt jeden meiner Schritte überwachen. Ich kann nicht zum Stadtkommandanten gehen, um die Römer zu warnen. Das ist deine Aufgabe, Simon! Du mußt dieses Blutbad verhindern.«

Der Judäer schüttelte entschieden den Kopf. »Die Wege Jahwes sind unergründlich. Er wird seine schützende Hand über mich halten, denn ich werde nichts tun, um das Schicksal aufzuhalten, das er dieser sündigen Stadt bestimmt hat.«

»Und deine Tochter?« zischte Philippos wütend. »Soll sie mit dir zugrunde gehen? Was glaubst du, was geschehen wird, wenn die Römer diese Stadt stürmen? Glaubst du, sie werden dein Haus verschonen, weil du ihre Götter verachtest? Glaubst du, dein Jahwe wird mit flammendem Schwert vom Himmel herabsteigen, um dich zu beschützen?«

»Genug jetzt, Grieche!« Simons Gesicht war rot vor Zorn geworden. »Ich werde nicht dulden, daß du in meinem Haus den Namen Jahwes lästerst! Noch ein Wort, und ich lasse dich von meinen Dienern auf die Straße hinausprügeln! Geh mir jetzt aus den Augen!«

Vor Zorn bebend erhob sich Philippos. Er hätte den alten Kerl am liebsten niedergeschlagen. Dieser Ignorant! Wie konnte Simon nur so seelenruhig dem Verderben entgegensehen? War es die Kraft seines Gottes, die ihm diesen Gleichmut gab? Der Grieche stieg die Treppe zum Hof hinab. Er mußte an Samu denken. Er kannte die Priesterin nicht einmal ein Jahr lang, und die meiste Zeit, die er mit ihr verbracht hatte, hatten sie sich gestritten. Trotzdem fühlte er sich jetzt schuldig an ihrem Tod. Er hatte dafür gesorgt, daß sie nach Tyros kam.

Hätte er nur gewußt, daß sie im Hause Elagabals wohnte! Es hätte sicher einen Weg gegeben, sie vor den Plänen des Phöniziers zu warnen.

Der Grieche seufzte. Seit jenem Nachmittag, an dem Buphagos die Prozession der Artemis gestört hatte, schienen sich die Götter gegen ihn verschworen zu haben. Der Mundschenk, Thais, Samu ... Wer würde das nächste Opfer sein? Ob die Priesterin ihn verraten hatte? Philippos lächelte traurig. Er dachte an ihren Stolz und ihre Dickköpfigkeit. Ihr war zuzutrauen, daß sie nichts verraten hatte, selbst wenn sie gefoltert worden war.

Der Arzt ballte wütend die Fäuste. Er würde ihren Tod rächen und die wahnsinnigen Pläne Elagabals vereiteln!

Das erste, was Samu sah, als sie wieder zur Besinnung kam, war ein Kamel. Das Tier kaute mit mahlenden Kiefern auf einem Dornenzweig und schenkte ihr keine Beachtung. Vorsichtig tastete sich die Priesterin über ihre geschwollene Schläfe. Ihre Hände waren gefesselt, und sie konnte sich nur sehr eingeschränkt bewegen.

Sie hätte besser die Finger von der Prellung gelassen. Mit der Berührung hatte sie die bösen Säfte unter der Haut geweckt, und ein pochender Schmerz breitete sich über die Schläfe in ihrem Kopf aus. Dieser Schurke Hophra! Er hatte sie einfach niedergeschlagen! Langsam kehrte Samus Erinnerung zurück. Sie waren in dem Gewölbe unter dem Lagerhaus gewesen und jetzt ...

Blinzelnd blickte sie sich um. Sie lag im Schatten einer Palme.

Überall waren Kamele. Neben ihnen türmten sich hochbeladene Packsättel. Leise Männerstimmen erklangen hinter ihr und das Geräusch von Wasser, das in eine Tränke geschüttet wurde.

Wo bei Isis war sie nur? Sie hätte damit gerechnet, daß Hophra sie ermordet, doch das hier, das konnte sie sich nicht erklären.

Der Söldner hatte sie verhöhnt und ihr erklärt, wie leicht es gewesen war, sie nach ihrer Flucht aufzuspüren. Er hatte dafür gesorgt, daß die Leiter in der Gasse neben dem Lagerhaus liegengeblieben war, damit sie dort leichter einbrechen konnte. Wie er angeordnet hatte, die Felsplatte nicht über die verborgene Treppe zu legen, hatte sie selbst mitanhören können. Grinsend hatte Hophra ihr erklärt, daß er sie genau dort unten hatte haben wollen. Gefangen in einem Loch, aus dem es keinen Ausweg mehr gab, außer an ihm vorbei.

Großmütig hatte er ihr angeboten, sie aus der Stadt zu bringen, der Heuchler! Angeblich lag sogar schon ein flaches Boot im versandeten ägyptischen Hafen bereit, um sie in Sicherheit zu bringen. Er schien tatsächlich davon überzeugt gewesen zu sein, daß sie ihm seine Lügen glauben würde. Zum Schein hatte sie sich auf sein Angebot eingelassen und war mit ihm gegangen. Bei der erstbesten Gelegenheit jedoch war sie ihm davongelaufen. Durch die halbe Stadt hatte sie die Verfolgung geführt, bis er sie schließlich einholte und mit der mittlerweile verloschenen Fackel niederschlug. Mochte die Große Schlingerin ihn in ihren Abgrund reißen, diesen verfluchten Bastard!

Die Priesterin blickte zum Himmel. Das helle Licht der Sonne schmerzte ihren Augen, und wieder begann ihre Schläfe zu pochen. Es war kurz nach Mittag. Die Sonne hatte ihren Zenit noch nicht lange überschritten. Samu leckte sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Sie hatte seit fast zwanzig Stunden nichts mehr getrunken.

Sie versuchte, etwas zu rufen und auf sich aufmerksam zu machen, doch sie bekam nur ein heiseres Krächzen heraus.