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Philippos blickte den Hohepriester einen Moment lang verwundert an. Es ging hier um das Schicksal seiner Heimatstadt, und Chelbes diskutierte mit ihm über Floskeln! Hatte er sich vielleicht in dem Mann getäuscht? War er nicht minder verrückt als all die anderen Phönizier? Doch es war auf jeden Fall klüger, auf den Hohepriester einzugehen. »Es schmeichelt mir, daß du in mir deinesgleichen siehst, Chelbes. Ich nehme dein Angebot gerne an.«

Der Priester lächelte. »So ist es gut. Dann folge mir nun. Es gibt eine schmale Treppe, die auf das Dach des Tempels führt. Dort oben werden wir alleine sein.« Chelbes führte Philippos durch einen Seitenflügel des Tempels auf einen zweiten, verborgenen Hof, der allein den Priestern vorbehalten war. Dort erklommen sie die Stiege zum Dach. Der Eshmun-Tempel lag nicht weit vom Meer entfernt. Seine Rückwand berührte fast die Stadtmauer, und von dem flachen Dach konnte man über die Zinnen der Mauer hinweg auf die See blicken. In die andere Richtung hatte man einen guten Blick über die Dächer der Stadt. Nur der Melkart-Tempel, der ungefähr in der Mitte von Tyros lag, war noch höher.

»Nun, was hast du mir zu sagen, Bruder?« Der glatzköpfige Priester blickte Philippos mit seinen dunklen Augen erwartungsvoll an.

Der Arzt erzählte ihm alles, was er über die Verschwörung wußte, ließ die Geschichte um den Mordanschlag auf Ptole-maios allerdings aus. Chelbes hörte ihm ruhig zu. Als der Grieche geendet hatte, zog der Priester die Stirn in Falten und blickte Philippos einige Herzschläge lang schweigend an.

Schließlich seufzte er leise. »Ich weiß, was in der Stadt vor sich geht. Auch ich beobachte die Ereignisse mit Sorge, doch kann ich nichts tun. Azemilkos, der Hohepriester des Melkart, behauptet, es sei der Wille des Gottes, daß Marcus Antonius stirbt und die Römer vertrieben werden. Ich werde mich nicht gegen einen Gott auflehnen, Söldner. Wie die anderen Hohepriester werde auch ich den Feldherren vor dem Tempel des Melkart erwarten. Wenn der Gott ihn nicht richtet, und ich sehe, daß es die Menschen sind, die sich gegen Marcus Antonius empören, dann werde ich meine Stimme erheben und versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Sollte es aber der Wille Melkarts sein, daß wieder einmal Feuer und Schwert in unserer Stadt regieren, so werde ich treu zu den Meinen stehen.«

Philippos schüttelte verständnislos den Kopf. »Du bist ein kluger Mann, Chelbes. Du mußt doch wissen, was es heißt, wenn die Römer Krieg führen. Keine Stadt hat ihnen je widerstehen können. Denk nur an Korinth, Syrakus oder das mächtige Karthago!«

»Du hast mein Wort gehört, Grieche. Gleichgültig, was du mir zu sagen hast, ich werde meine Meinung nicht ändern. Du kannst sicher sein, daß ich dich nicht verraten werde. Deine Sorge zeichnet dich als einen Ehrenmann aus, Philippos, doch mußt du auch verstehen, daß ich als Hohepriester mich nicht wider die Götter entscheiden kann.« 

19. KAPITEL

Samu war erwacht, als sie etwas auf ihrem Bein krabbeln spürte. Still verharrte sie und wartete, was geschehen würde. Etwas hockte auf ihrem linken Oberschenkel. 

Es schien keine Schlange zu sein. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie die Decke zurückschlagen sollte, um nachzusehen.

Vielleicht war es ja nur eine Wüstenmaus ... Doch wenn nicht? Es war besser, still liegenzubleiben!

Haritat hatte ihr ein eigenes, kleines Zelt errichten lassen, in dem sie unbehelligt von den Blicken der Männer die Nacht verbringen konnte. Der Beduine hatte ihr zur Nacht sogar die Fesseln abgenommen. Gleichzeitig hatte er sie allerdings eindringlich davor gewarnt, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Wenn sie seinen Worten glauben konnte, dann waren nabatäische Bogenschützen als Wachen aufgestellt worden.

Das Ding unter ihrer Decke bewegte sich wieder! Deutlich spürte Samu, wie das Tier ihren Schenkel weiter hinaufkroch ... Spürte die starren Füße auf ihrer Haut.

Ängstlich biß sie sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Jetzt hatte sie keine Zweifel mehr, daß ein Skorpion unter ihrer Decke hockte. Endlich verharrte das Tier und preßte seinen kalten Leib auf ihren Bauch.

Samu betete leise. Die vertrauten Worte nahmen ihr ein wenig Angst. Als Isis vor Seth in die Wüste geflohen war, da hatten sieben Skorpione sie begleitet, um sie zu beschützen. Vielleicht war es ja die Göttin, die ihr das Tier geschickt hatte?

Draußen dämmerte es. Die Priesterin konnte hören, wie das Leben im Lager erwachte. Sie atmete nur flach, so daß sich ihr Bauch kaum hob. Der Skorpion hockte jetzt unmittelbar unter ihrem Rippenbogen. Samu kam es so vor, als wäre das Tier ungewöhnlich groß. Sie würde es gerne sehen. Es war leichter, mit einer Gefahr umzugehen, der man ins Auge blicken konnte. Auch wüßte sie dann, ob es sich um einen der Skorpione handelte, deren Gift selbst Menschen zu töten vermochte, oder aber um eine harmlose Art.

Vorsichtig krallte sie ihre Zehen in den weichen Leinenstoff, und jedesmal, wenn sie ausatmete, zog sie die Decke mit den Füßen einen Finger breit tiefer. »Petet, erhöre mich! Sage deinem Bruder, daß ich eine Dienerin der Göttin bin!« Samu spürte, wie sich der Skorpion auf ihrem Bauch ein kleines Stück bewegte. Würde der Zauber auf ihn wirken?

»Tjetet, erhöre mich! Sage deinem Bruder, daß ich eine Dienerin der Göttin bin!« Wieder zog sie die Decke ein wenig tiefer. Die Stimme der Priesterin klang leise und monoton. Ihr Gesicht war naß von Schweiß. Sie versuchte, sich das Tier vorzustellen, das auf ihrem Bauch hockte. Versuchte, es im Netz der Magie einzufangen.

»»Matet, erhöre mich! Sage deinem Bruder, daß ich eine Dienerin der Göttin bin!« Samu wollte alle sieben Skorpione anrufen, die der Isis gedient hatten. Sie waren die Mächtigsten ihres Volkes, und einer von ihnen mußte der Herrscher über jenen Skorpion sein, der auf ihrem Bauch kauerte.

Die Priesterin hatte die Decke jetzt bis über ihre Brüste hinabgezogen. Nur noch ein kleines Stück, und sie würde die Bestie sehen! »Mesetetef, erhöre mich! Sage deinem Bruder, daß ich eine Dienerin der Göttin bin!« Wieder rutschte die Decke ein klein wenig tiefer. Das Tier verhielt sich weiterhin ruhig.

Die Priesterin leckte sich über die trockenen Lippen.

»Mesetetef, erhöre mich! Sage deinem Bruder, daß ich eine Dienerin der Göttin bin!«

Im selben Augenblick, in dem sie den Namen Mesetetef aussprach, begann das Tier sich zu bewegen. Langsam schoben sich seine Zangen unter der Decke hervor. Lautlos öffneten und schlossen sie sich, so als wolle er ihr ein Zeichen geben oder sie einfach nur grüßen. Auf seinen dünnen Beinen kroch der Skorpion vorwärts, bis er zwischen ihren Brüsten lag. Er war schwarz wie die Nacht und fast so groß wie eine Menschenhand. Seinen Stachel hatte er drohend über den Rücken erhoben.

»Ist Mesetetef dein Herrscher?«

Der Stachel des Skorpions zuckte auf und nieder.

»Ich bin Samu, Dienerin der Isis. Spürst du die Kraft der Göttin in mir? Laß uns einen Bund schließen, so wie dein Herrscher einst mit meiner Herrin einen Bund geschlossen hat.« Samu sprach leise und bewegte bei ihren Worten kaum die Lippen. Langsam senkte sich der drohende Stachel.

»Bist du zu mir gekommen, so wie Mesetetef gekommen ist, um die Zauberreiche zu schützen?«

Die Plane am Eingang des Zeltes wurde zurückgeschlagen, und Haritat trat hinein. »Guten Morgen, Priesterin. Wenn du noch ...« Der Beduine verstummte. Schlagartig wich die Farbe aus seinem Gesicht. Seine Rechte glitt zu dem Dolch an seinem Gürtel.