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Vom Hafen her ertönte Donnergrollen, und ein Blitz tauchte den Platz in gleißendes Licht. Ein einzelner Regentropfen streifte die Wange der Priesterin, ein zweiter ihre Nasenspitze. Noch immer hallten die Jubelrufe über den Vorplatz. Samu beobachtete den Feldherren, der sich ganz offensichtlich in der Pose des Triumphators wohlfühlte.

Die Pforten des Himmel öffneten sich, und ein schwerer Platzregen ging nieder. Binnen weniger Atemzüge hatte Samu keinen trockenen Faden mehr am Leib. Die Legionäre murrten unzufrieden, hielten aber ihre Formation, während die Bürger eiligst Zuflucht im Trockenen suchten.

Marcus Antonius kam mit seinem Gefolge die Treppe des Tempels hinab und stieß wieder zu seinen Reitern. Samu schenkte er ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich an den Tribun, der auf dem Platz zurückgeblieben war. »Lucius Septimius! Nimm dir zehn Mann und folge der Priesterin. Sie wird dich zu dem Haus eines Handelsherren führen, der in einen Giftanschlag auf den König Ptolemaios verwickelt ist. Bring mir den Kerl tot oder lebendig.« Der Tribun nickte stumm und wandte sich dann an den Stadtkommandanten.

»Wie kannst du mit Waffen gegen einen Tyrener vorgehen, Antonius?« Die Priesterin blickte den jungen Feldherren sprachlos an. »Du hast doch gerade erst bei Jupiter geschworen, daß du niemanden bestrafen willst, der sich gegen Rom erhoben hat.«

Antonius lächelte verschlagen. »Du hast mir nicht genau zugehört, Priesterin. Ich habe geschworen, niemanden zu bestrafen, der auf diesem Platz in Waffen erschienen ist. Da dein Verschwörer mich sogar davor warnen ließ, daß ein Anschlag auf mein Leben geplant war, kann ich mir nicht vorstellen, daß er in Waffen auf dem Tempelplatz anwesend war. Schaff mir diesen Bastard also her. Ich will ihn noch heute verurteilen.«

Von Norden her erklang, durch den Regen gedämpft, das Geräusch von Marschtritten, und schon wenig später erschien die Spitze einer Kolonne römischer Soldaten auf dem Platz.

Fassungslos starrte die Priesterin auf die Soldaten und schlug dann schnell mit der Linken ein Schutzzeichen gegen böse Magie. Hatte der Römer den Göttern des Windes geboten? War der Feldherr auch ein Zauberer? Samu hatte davon gehört, daß es so etwas bei den Römern geben sollte. So war Caesar, der in Gallien Krieg führte, zugleich auch der höchste Priester im römischen Reich. »Wie, bei Osiris, haben die Männer es geschafft, so schnell hier zu sein? Wir sind doch ein scharfes Tempo geritten!«

Der Römer lächelte. »Es sind nicht die Männer, die du noch heute morgen gesehen hast. Ich hoffe allerdings, daß viele Tyrener im Moment dasselbe denken wie du. Sollen sie nur glauben, ich hätte die Macht, meinen Soldaten Flügel zu verleihen. Die Truppen kommen aus Sidon. Ich habe schon vor Tagen einen Boten zum Stadtkommandanten geschickt und ihm befohlen, mit den Kampfschiffen, die ihm zur Verfügung stehen, eine Kohorte nach Tyros zu verlegen. Es war abgesprochen, daß seine Quinqueremen zur Mittagsstunde, also genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ich den Tempel betrete, in den Hafen einlaufen. Du hast doch nicht etwa ernsthaft geglaubt, ich würde mich mit zehn Leibwachen und der kleinen Garnison hier der aufsässigen Bürgerschaft entgegenstellen. Wenn die Tyrener die Waffen erhoben hätten, dann hätte ich sie in ihrem eigenen Blut ertränkt!«

Der Regen perlte in langen Schnüren von dem speckigen Umhang, den ihr einer der Legionäre geliehen hatte, als Samu und Septimius das Haus des Kaufmanns erreichten.

Bring mir den Kerl tot oder lebendig! Die Worte des Feldherren gingen der Priesterin immer wieder durch den Sinn.

Reichten ihre Beweise, um verantworten zu können, was jetzt geschah? Sie blickte in die Gesichter der Legionäre. Wenn der Kaufmann den Fehler machte, Widerstand zu leisten, dann wäre es um ihn geschehen. Die Krieger würden ihn ohne großes Aufheben mit ihren Schwertern niederstechen.

Septimius zog seinen Gladius und klopfte mit dem Knauf der Waffe energisch gegen das hölzerne Tor. »Im Namen des Praefectus equitum Marcus Antonius! Öffnet das Tor!«

Innen wurde ein Riegel zurückgeschoben, und die Torflügel schwangen auf. Vor ihnen stand ein Knabe, der vielleicht sechzehn Sommer gesehen haben mochte.

»Wo steckt dein Herr?« Der Tribun packte den Jungen bei seiner Tunica und hielt ihm sein Schwert an die Kehle. »Los, heraus damit!«

»Er ist am sidonischen Hafen. Er wird sicher bald wiederkommen.«

Samus war hinter dem Tribun in das kleine Atrium getreten, das sich an den Eingang anschloß. Überall in dem halb überdachten Hof türmten sich Säcke, Kisten und Truhen.

»Sorge dafür, daß keiner das Haus verläßt!« rief Septi-mius den Legionären zu, die sofort in die Zimmer der weitläufigen Villa ausschwärmten. »Treibt mir alle Sklaven ins Triclinium und bewacht sie.« Der Tribun drehte sich zu Samu und wies mit einer Kopfbewegung auf die Truhen im Hof. »Sieht so aus, als ob unser Vogel ausfliegen wollte. Aber wir werden ihn erwischen. Er wird bestimmt noch einmal zurückkommen.«

»Er redet wirr, nicht wahr?« Philippos stand dicht neben Chelbes und sah dem Hohepriester zu, wie er seine blutverschmierten Hände in einer Schale mit klarem Wasser wusch.

»Ich weiß es nicht. Er ist sehr stark. Ich bin mir nicht sicher, ob sich seine Sinne verwirrt haben. Er will dich sprechen.«

Der Arzt schnaubte verächtlich. »Was soll das nutzen? Ich bereue es nicht. Er hat mit dem Bogen auf mich gezielt. Es hieß, er oder ich!«

»Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht, Philippos«, erklärte der Hohepriester ruhig. »Trotzdem denke ich, daß du es ihm schuldig bist, zu ihm zu kommen, wenn er noch einmal mit dir reden will.«

»Du meinst also, er wird sterben ...«

Chelbes runzelte die Stirn und sah den Griechen lange an.

»Das weißt du genauso gut wie ich. Die meisten Männer wären jetzt schon tot. Dein Ägypter ist außergewöhnlich zäh. Doch das wird ihm nicht nutzen. Es wird allein seinen Todeskampf verlängern. Man kann nichts mehr für ihn tun, Philippos. Als Söldner mußt du doch schon viele Wunden wie diese gesehen haben. Ziehe ich das Schwert aus seinem Bauch, dann wird er binnen weniger Augenblicke verbluten. Die Klinge ist ihm zu tief ins Gedärm gedrungen, als daß man ihm noch helfen könnte. Lassen wir das Schwert stecken, dann wird er langsam verbluten. Vielleicht dauert es nur ein oder zwei Stunden, womöglich aber auch bis tief in die Nacht. Eins jedoch ist gewiß: Den nächsten Sonnenaufgang wird er nicht mehr erleben.«

Philippos trat von einem Fuß auf den anderen. Am liebsten hätte er sich einfach davongeschlichen und in einer Taberna betrunken. Was wollte dieser Kerl noch von ihm? Konnte er nicht allein sterben? Darüber, daß er das Leben des Praefectus equitum gerettet hatte, wollte bei dem Arzt keine Freude aufkommen. Zu hoch war der Preis, den er dafür gezahlt hatte! Erst hatte dieser Söldner Samu umgebracht und dann auch noch Abimilku getötet! Was wollte der Kerl noch von ihm? Um einen schnellen Tod betteln? Philippos preßte die Lippen aufeinander und starrte vor sich auf den Fußboden. Den Gefallen würde er ihm nicht tun!

Nachdem Abimilku gestorben war und der Regen begonnen hatte, war Philippos in den Tempel hinabgestiegen und hatte Hilfe geholt. Zwei Männer hatten Hophra auf eine Trage in den Eshmun-Tempel gebracht, wo Chelbes persönlich sich des Verletzten angenommen hatte.

»Soll ich mit dir kommen?« Der Hohepriester hatte Philippos väterlich den Arm um die Schultern gelegt.

Verärgert schüttelte der Grieche den Kopf. »Ich möchte mit ihm allein sprechen.« Seine Stimme klang hart und verbittert.