»Ich möchte wohl«, fuhr sie ungezwungen fort, »zur Neuen Börse fahren, um dort in den Arkaden zu spazieren und vielleicht ein paar Bagatellen zu kaufen. Liebster, ich bin ja so verschwenderisch. Doch werden zwanzig Guineen für heute genügen, denke ich.«
»Seid Ihr sicher, Madam?«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu und sah, daß er mit gemessenen, drohenden Schritten auf sie zukam. Mit gespielter Heiterkeit ging sie vom Fenster weg und am Ankleidetisch vorbei auf die linke Wand zu. Mit zornumwölkter Stirn und zähneknirschend stellte er sich vor sie hin.
Hilflos spürte er einen schweren Druck auf seiner Brust; er konnte kaum atmen. Es war, als stülpte sich die schwarze Haube des Henkers über seinen Kopf. Sein Verstand verwirrte sich. Er kämpfte dagegen an, aber.
»Oh, pfui!« rief Meg, etwas ängstlich lachend. »Ihr seid doch gewiß nicht eifersüchtig auf diese armseligen Laffen in der Neuen Börse mit ihren flachsfarbenen Perücken, die mir mit verliebten Blicken folgen. Dem einen reiche ich -so - meine Mantille zum Halten, einem anderen - so -meinen Muff und einem dritten .« Meg brach ab. Sie hatte keine Zeit zu schreien oder sich zu rühren. Mit leisem Zischen wurde das Rapier aus der Scheide gerissen und glänzte matt in der trüben Beleuchtung. Seine Spitze ruhte auf Megs Körper, genau über der Mitte ihres Mieders. Eine Haaresbreite weniger, und die Spitze hätte sie nicht berührt; eine Haaresbreite mehr, und sie hätte ihre Haut geritzt.
»Ehe wir von etwas anderem sprechen«, ertönte eine heisere Stimme, »wollt Ihr gefälligst den Dolch fallen lassen, den Ihr in Eurem Muff tragt.«
»Dolch?« flüsterte Meg und hob die langen schwarzen Wimpern.
»Der Griff ragt über Eure Hand hinaus, und Euer Daumen ruht auf der Klinge: er ist beim besten Willen nicht zu übersehen.«
»Oh, scheußlich! Wenn ich bedenke .«
»Entweder laßt Ihr den Dolch fallen oder ich steche zu. Ruhig Blut, Madam. Ihr könnt selbst wählen.«
Sir Nick würde nicht davor zurückschrecken. Das mußte Meg erkannt haben; denn sie ließ ihre grauen Augen umherwandern. Sir Nicks Daumen und Zeigefinger umschlossen den Degengriff fester, um die Spitze durch ihren Körper zu treiben, wahrend Fenton sich krampfhaft bemühte, den Arm zurückzuhalten. Mit kühler und etwas verächtlicher Miene zog Meg die rechte Hand aus dem Muff, und ein zierlicher venezianischer Dolch fiel klirrend auf den Fußboden neben dem Teppich. »Verbindlichsten Dank«, sagte der Mann in der Perücke, der in allen seinen Bewegungen so rasch und wendig war wie eine Katze, und senkte die Degenspitze. Dann bückte er sich, hob den Dolch auf und schleuderte ihn ans andere Ende des Zimmers. Während er sich aufrichtete, ließ er das Rapier wieder in die Scheide gleiten. »Und nun verratet mir einmal«, sagte er mit einem Blick auf die im Bett liegende Lydia, »wen von uns beiden Ihr zu erdolchen gedachtet.«
Meg legte ein Erstaunen an den Tag, das nicht geheuchelt war. »Nun, die Tochter des Rundkopfs. Wen denn sonst?« erwiderte sie und deutete auf das Bett. »Habe ich sie nicht in dieses Zimmer huschen sehen? Konnte ich mir nicht vorstellen, was hier vor sich ging? Manche Tat ist in meinen Augen kein Verbrechen.«
»Gott steh uns bei! Darin habt Ihr nicht so ganz unrecht.« Seine Stimme wurde sanfter. »Aber unternehmt nichts gegen meine Frau, Meg, und auch nichts gegen mich. Oder es wird Euch bitterlich gereuen. In der vergangenen Nacht habt Ihr eine niederträchtige Unwahrheit über meine Frau geäußert.«
Meg zuckte die Achseln und blickte verdutzt drein. »Wenn sie meinen Zwecken diente, warum nicht?« fragte sie. »Ich tue, was mir gefällt.«
»Wirklich? - Giles!«
Mit schreckensbleicher Miene, aus der aller Schabernack gewichen war, schlüpfte Giles ins Zimmer. »Zu dienen, gnädiger Herr?«
»Sorg dafür, daß Madam York das Geld bekommt, das sie verlangt.« Dann wandte er sich wieder an Meg. »Die Kutsche dürft Ihr benutzen, aber Ihr müßt sie zurückschicken. - Halt, einen Augenblick, Madam, ein Punkt wäre noch zu erwähnen.« Seine Finger krochen wieder zum Degengriff. »George Harwell und ich gehen zum Strand. Wenn ich Euch bei meiner Rückkehr hier noch vorfinde, wenn Ihr nicht mit all Euren Habseligkeiten für immer verschwunden seid, werde ich den Friedensrichter holen und Euch in den Kerker werfen lassen.«
Meg hob den Kopf unter dem schlappen Hutrand. »Und auf Grund welcher Anklage, bitte?«
»Das werdet Ihr noch früh genug erfahren. Aber es ist eine Sache, die Euch an den Galgen bringt, dessen kann ich Euch versichern. Nun geht!«
»Für immer? Das ist nicht Euer Ernst!«
Er hatte den Degen halb aus der Scheide gezogen. Meg starrte in sein finsteres, gedunsenes Gesicht und wich gegen die Wand zurück.
»Ich gebe Euch eine Minute«, sagte er, »und dann seid Ihr verschwunden.«
Meg ließ den schwarzen Pelzumhang von den Schultern gleiten und drapierte ihn über den Muff. Ihre glänzendweißen Schultern hoben sich aus den schwarzen Rüschen des scharlachrot und schwarz gestreiften Mieders. Während sie ihren Hut zurechtschob, schloß sie ein wenig die Augen und lächelte wieder, ohne die Lippen zu öffnen. Eine leichte Bewegung konnte verführen, eine Erinnerung wecken .
»Ist Euch bekannt«, fragte Meg, »daß Captain Duroc, der zum persönlichen Gefolge des französischen Königs gehört, schon eine Wohnung für mich in der Chancery Lane genommen hat? Die schönsten Räumlichkeiten in London? Und mich auf den Knien gebeten hat, wie sich das für einen Mann von Stand geziemt, mich von ihm unterhalten zu lassen?«
»Ich wünsche Captain Duroc recht viel Vergnügen mit Euch.«
»Nick!« schrie sie, als sie spürte, daß er seine Worte wirklich ernst meinte.
»Eine halbe Minute ist um!«
»Wenn Ihr mich unbedingt fortjagen wollt«, erklärte Meg in kühlem Ton, »so bin ich die letzte, die dagegen protestiert. Aber - heute schon?« Ihre Stimme wurde weicher. »Meiner Treu, ich benötige allein einen Tag, um meine Habe zusammenzupacken. Sir, wollt Ihr mich nicht noch eine Nacht unter Eurem Dache weilen lassen?«
»Ich. ich. nun! Eine weitere Nacht, das möcht' ich wohl schwören, wird keinen Schaden stiften.«
Hier richtete sich Lydia, die sich inzwischen in Fentons Schlafrock gehüllt hatte, kerzengerade im Bett auf. In ihrem Gesicht war ein neuer Ausdruck.
»Und eins will ich Euch noch sagen«, fügte Meg hinzu, wobei ihr die Tränen über die Wangen liefen - Tränen, die man sogar für echt halten konnte. »Selbst wenn Ihr mich fortschickt, zu Captain Duroc oder einem anderen, so werden wir doch wieder zusammenkommen. In irgendeiner Weise gehören wir zusammen, auf Leben und Tod.«
Es folgte eine tiefe Stille,, während der Wind an den Fensterscheiben rüttelte und in den Baumkronen wühlte. Unerwartet änderte sich Sir Nicks Stimme.
»Mary!« sagte diese Stimme. »Ist es möglich, daß -»So gewann Fenton, der wieder den Sargdeckel über einen grausigen Inhalt hinunterzwang, abermals die Herrschaft und behielt sie auch. Er sah mit seinen eigenen Augen und mit seinem eigenen Verstand. Doch im Augenblick durfte er nicht lockerlassen. Diese Frau Meg - selbst wenn es Mary wäre, was er anzweifelte - , mußte das Haus morgen verlassen; sonst würde ihr Einfluß alles vernichten. »Eure Zeit ist um«, mahnte er schroff. »Nun geht!« Er rasselte ein wenig mit dem Degen.
Meg, die offenbar zu dem Schluß gelangte, daß weiteres Reden zu gefährlich sei, stürzte an ihm vorbei. Mitten im Zimmer blieb sie stehen und richtete sich auf, während sie sich den Pelzbehang um den Hals legte und ihren Hut mit der goldenen Feder von neuem zurechtschob.
Sie war im Begriff, etwas zu sagen, überlegte es sich aber anders. Würdevoll und mit einem gewaltigen Rauschen von steifen Unterröcken fegte sie aus dem Zimmer.
Nur jemand in der trüben Passage draußen hätte ihren veränderten Gesichtsausdruck und ihr verhaltenes Lächeln sehen können. Obwohl er ein wenig schwankte, blieb Fenton fest auf seinen Füßen stehen.