Die Peitsche bewegte sich nach rechts auf die nächste Person zu. »Nan Curtis, die Küchenmagd«, erklärte Giles. Nan Curtis war, obwohl noch nicht alt, über die Maßen korpulent und hatte ein rundes, rosiges Gesicht, aus dem jetzt alle Farbe gewichen war. Sie trug ein Häubchen und war, abgesehen von einigen Rußflecken, einigermaßen sauber.
Als Giles auf sie zeigte, schluchzte sie laut auf und weinte dann leise weiter.
Jedesmal wenn sich die Peitsche bewegte, schien ein heftiger Sturm unterdrückter Furcht und Wut gegen die bücherschweren Wände zu schlagen.
»Neben ihr steht Judith Pamphlin«, sagte Giles. »Die Kammerzofe unserer gnädigen Frau.«
Fenton studierte die Kammerzofe, während er an Lydia dachte. Judith Pamphlin war eine große, dürre Jungfer mit scharfen Zügen, etwa Ende Vierzig. Ihr schütteres Haar lag in kleinen Locken dicht am Kopf. Sie trug ein knappanliegendes Kleid aus grauer Wolle und stand mit gefalteten Händen kerzengerade da. Nein, Lydia mochte sie sicher nicht. Und doch . »Und hier«, ließ sich Giles hören, der inzwischen die Peitsche wieder bewegt hatte, »haben wir Kitty Softcover, die Köchin.« Fenton blickte sie mit gelassenen, ruhigen und kalt abschätzenden Blicken an.
Kitty schien von allen die demütigste zu sein. Sie war klein, rundlich und vielleicht neunzehn Jahre alt. Ihre Bluse aus rauhem Leinen und ihr grauer Wollrock waren durch die Arbeit an Herd und Bratenwender sehr mitgenommen. Mitten auf der Nase hatte sie einen Rußfleck. Was Fenton zuerst in die Augen sprang, war ihr Haar.
Es war dick und schwer und von jenem tiefen Dunkelrot, in dem tausend Glanzlichter sprühen. Die Flammen der Kerzen, die in einem dreiarmigen Leuchter brannten, ließen es aufleuchten. Sie hob den Kopf und blickte Fenton aus dunkelblauen Augen an, die fast schwarz wirkten. Es waren große Augen - eigentlich zu große Augen für das kleine, dreiste Gesicht und das überkecke Näschen.
Es war der Blick einer Frau, die auf vertrautem Fuß mit ihm gestanden hatte. Kitty war die einzige, die sprach. »Gnädiger Herr, Ihr werdet mir doch nichts zuleide tun?« fragte sie demütig mit heller Stimme, aber mit einem so starken Akzent, daß Fenton sie kaum verstand.
Er ignorierte sie und wandte sich an die übrigen. »Ihr wißt alle, daß eure Herrin langsam getötet wird mit einem Gift, das man Arsenik nennt. Vermutlich hat sie es in einer Schale Sektmolke zu sich genommen, die jeden Tag in der Küche zubereitet und dann nach oben getragen wird. Schleichende Vergiftung beruht nicht auf einem Versehen. Wer hat diese Sektmolke zubereitet?«
»Sir, das war ich«, erwiderte Kitty. Wiederum warf sie ihm diesen vielsagenden, wissenden Blick zu. »Hast du sie immer zubereitet?«
»Immer«, bestätigte Kitty. Langsam drehte sie ihr Kinn zur Seite. »Aber viele gehen in der Küche ein und aus, und alle können schwören, daß ich nichts damit zu tun hatte.«
»Wer hat die Sektmolke zu Mylady getragen?« Sein Blick fiel auf die strengen Züge von Judith Pamphlin, die jetzt die Arme eng über der flachen Brust verschränkt hielt. Die Lippen hatte sie zu einer weißen Linie zusammengepreßt und schien mit sich zu ringen, ob sie eine Antwort geben solle oder nicht. Als sie endlich sprach, geschah es mit herabgezogenen Mundwinkeln. »Ich habe sie hinaufgetragen.«
»Judith Pamphlin«, fragte Fenton, »wie lange seid Ihr schon Kammerzofe bei meiner Frau?«
»Ich war ihre Dienerin, lange bevor sie das Unglück hatte, Euch zu heiraten«, erwiderte Judith mit näselndem Singsang, während sie ihm unverwandt in die Augen blickte. »Wenn Ihr abends zuviel gebechert hattet und nicht ganz bei Sinnen wart, habe ich gehört, wie Ihr sie Rundkopf-Kanaille, Gezücht eines Königsmörders genannt habt.« Fenton blickte sie fest an. »Giles, gib mir die Peitsche«, sagte er gelassen. Giles reichte sie ihm.
Fentons Blick war kühler, beständiger als ihr eigener. Dies war nicht Sir Nicks Art. Er hätte wie ein Löwe gebrüllt und auf sie losgeschlagen - eine Taktik, mit der eine entschlossene Frau fertig geworden wäre. Fenton bändigte langsam ihren Geist und ihren Willen, weil sein Geist und sein Wille ihr überlegen waren. Sekunden schienen sich in Ewigkeiten zu verwandeln, während dieser kalte Blick auf ihr ruhte. Dann sah Fenton, daß sich Judith Pamphlins Augenlider allmählich senkten. Nicht weit von seiner Rechten hatte er einen hohen, schweren Stuhl bemerkt. Sobald er das Flattern ihrer Augenlider wahrnahm, hob er die Neunschwänzige Katze hoch empor und ließ sie mit aller Wucht darauf niedersausen, so daß die Riemen zischten und die Stahlspitzen rasselten und knallten. Sie zerfetzten das Holz, wie sie Fleisch zerfetzt hätten. Der schwere Stuhl sprang in die Höhe und barst. »Frauenzimmer«, sagte Fenton, »nie wieder werdet Ihr so mit mir reden.«
Schweigen. Giles Collins war kreideweiß. »Nein«, murmelte Judith. »Ich. ich glaube nicht.«
»Wie nennt Ihr mich?«
»Gnädiger Herr.«
Ein Zittern erfaßte alle außer dem phlegmatischen Big Tom. »Gut«, sagte Fenton mit derselben ausdruckslosen Stimme und gab Giles die Peitsche zurück. »Wart Ihr jemals anwesend, wenn die Sektmolke in der Küche zubereitet wurde?«
»Ich habe kein einziges Mal dabei gefehlt«, erwiderte Judith Pamphlin, kerzengerade, doch besiegt. Ihre harte Stimme hatte einen zittrigen Klang. »Warum? Habt Ihr Gift vermutet?«
»Nein, nicht Gift. Aber diese Schlampe« - Judith streckte blitzschnell ihren langen, dürren Arm nach Kitty aus - , »ist lüstern und diebisch, seit ihre Brüste schwollen. Sie liebäugelt mit allen Männern und beschwatzt sie, für sie zu stehlen.« Judiths Stimme wurde lauter. »Der Herr lasset Gerechtigkeit walten und verdammet sie zu immerwährendem Höllenfeuer, das .«
»Hört auf mit diesem Puritaner-Geplärr.« Judith Pamphlin verschränkte fest ihre Arme und schwieg. Kitty, das sah er mit flüchtigem Blick, heuchelte nicht länger Demut und Bescheidenheit. Ihre schmalen, runden Schultern waren geduckt, und voller Haß richteten sich ihre zu großen Augen auf Judith. Die kleine, dicke Oberlippe war zurückgeschoben. »Dieses Arsenik«, fuhr Fenton fort, »ist ein weißes Pulver oder« - hier dachte er daran, wie es wohl in diesem Zeitalter ausgesehen hatte -, »ein kleiner weißer Brocken von einem größeren Stück. Judith, hätte die Köchin so etwas unbemerkt in die Sektmolke tun können?«
Obwohl Judith Kitty bis aufs Blut haßte, blieb sie eisern gerecht und stieß nur ein Wort zwischen ihren Lippen hervor. »Nein«, sagte sie. »Seid Ihr dessen sicher?«
»Es wäre mir nicht entgangen.«
»Wenn Ihr nach oben gingt, um die Schale zu Eurer Herrin zu tragen, hat Euch da niemand Einhalt geboten oder versucht, Eure Aufmerksamkeit abzulenken, um das Gift in die Molke zu schütten?«
»Es ist mir niemand begegnet. Niemals.«
»Dann laßt Euch gesagt sein, daß ich Vertrauen zu Euch habe und Euch für treu halte. Ein Wort unter vier Augen mit Euch!« Fenton schritt auf die Tür des Studierzimmers zu und öffnete sie halb. Judith Pamphlin, die mit dem Rücken zum Schreibtisch gestanden hatte - was für eine Rolle spielte dieser Schreibtisch in Giles Collins' Bericht! -, warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. Dann durchquerte sie das Zimmer.
»Geht mir voran«, sagte Fenton schroff, als sie an der Tür stehenblieb.
Die Frau zögerte eine Weile. Dann neigte sie gehorsam den Kopf und marschierte hinaus. Fenton folgte ihr in die trübe Halle. »Geht rasch in die Küche«, befahl er leise, »und bereitet folgendes zu. Nehmt einen Suppenlöffel voll Senfpulver. Ist Senfpulver vorhanden?«
Judith nickte nur, ohne zu sprechen.
»Und schüttet es in ein Glas warmes Wasser. Gebt der gnädigen Frau diese Arznei zu trinken. Habt Ihr« - hier versagte sein ungeheures Gedächtnis für Einzelheiten -, »habt Ihr Olivenöl?«