»Nein, Sir«, schluchzte Nan, nachdem sie sich die Frage eine Weile überlegt hatte, »sie werden alle getrennt aufbewahrt, jede für sich.«
»Das ist ja trefflich«, erklärte Fenton. »Daraus läßt sich vieles erklären! Wie lautet die Antwort, Giles?«
»Nun, Sir«, erwiderte der, »das ist doch höchst einfach.«
»Inwiefern?«
»Sir, wir haben gehört, daß kein Gift von... von diesem armen Wesen in die Schale getan wurde. Ferner haben wir gehört, daß keiner die Schale berührt hat, als sie nach oben getragen wurde. Dann war das Gift wahrscheinlich schon in einer der Zutaten, ehe die Molke zubereitet wurde.«
»Richtig, mein guter Giles!« Fenton wandte sich den drei anderen zu. »Nun, wenn es sich so verhält, können die Dinge auf einfache Weise geklärt werden. Wir steigen alle in die Küche hinab und bereiten eine Sektmolke genauso zu, wie es für Mylady geschehen ist. Und dann sollt ihr alle davon trinken.«
Es folgte eine Totenstille, in der nicht einmal das Scharren eines Fußes zu hören war. Nur der Wind rüttelte an den Fenstern. Als allmählich die Bedeutung dieser Worte klar wurde, änderten sich die Gesichtszüge der drei Personen.
»Ei gut!« brüllte Big Tom plötzlich und brummelte etwas, was offenbar seine Billigung zum Ausdruck brachte. Nan Curtis fiel auf die Knie.
»Ach, gnädiger Herr, wollt Ihr uns alle töten, die wir nichts weiter sind als Eure armen Diener?«
»Euch töten?« widerholte Fenton. »Ist mein Weib etwa tot?« Vor ihren Augen faltete er das Päckchen mit dem Arsenik wieder zusammen und steckte es tief in die rechte Tasche seines Rockes. »Ihr werdet nur einen Tag unter Krämpfen leiden«, sagte er. »Wenn die Dosis stark genug sein sollte, werdet Ihr vielleicht das Gefühl haben, es brenne ein Feuer in Eurem Bauch, das nicht gelöscht werden kann. Das gehört mit zur Probe. Sollte jemand davor zurückschrecken und sich weigern, von der Molke zu trinken ...«
Nach einer eindrucksvollen Pause fuhr er fort: »Es könnte auch sein, daß sich kein Gift in der Schale befindet, daß ich aber, wenn ich jemanden entdecke, der zu trinken zaudert« - hier klopfte er auf seine Tasche - »genug von diesem Arsenik in die Schale zaubere, um den Tod herbeizuführen, so daß nur der Schuldige leidet und die Unschuldigen nicht zu Schaden kommen. Jedenfalls, wenn einer sich weigert zu trinken .«
»Ich weigere mich«, erklärte Kitty.
Abermals betrachtete Fenton sie mißbilligend vom Kopf bis zum Fuß.
»Wirklich? Dann müssen wir's auf die andere Art versuchen.« Kitty öffnete den Mund. Sie stand mit dem Rücken gegen den Schrank. Beide Arme hatte sie ausgestreckt und umklammerte mit jeder Hand den Kopf eines Satyrs. »Wenn Ihr die Katze meint.«
»Keineswegs. Wir müssen dich vor jeden Friedensrichter schleifen, bis wir einen finden, der dich kennt. Ich möchte wetten, daß du etwas auf dem Kerbholz hast, was dich an den Galgen bringt. Du bist ein hübsches Weibsstück, überreif für deine neunzehn Jahre. Warum hockst du hier über einem heißen Feuer in einem finsteren Loch, wenn nicht aus Gründen der Sicherheit?«
Kittys Augen verwandelten sich in häßliche Schlitze. »Hüte deine Zunge, Lügner!« sagte sie leise. Dann laut: »Ich eine Diebin? Wie solltet Ihr das wissen!«
»Ich sollte das nicht wissen? Na, na! Es war dir doch wohl ein Pläsier, dem hohlköpfigen Sir Nick Fenton süßen Unsinn ins Ohr zu plappern? Jawohl, mir selbst! Alles so naiv, ja? Und dann hast du dir eins ins Fäustchen gelacht, weil du ihn gefoppt zu haben glaubtest.«
»Was ich von Euch erzählen könnte .!«
»Dann sag es nur. Aber zunächst mußt du wählen. Die Sektmolke - oder den Friedensrichter?«
In diesem Augenblick hörten sie ein lautes Klopfen an der Tür des Studierzimmers. Unmittelbar darauf wurde sie aufgestoßen. »Nun, da hört doch alles auf!« verkündete eine muntere, herzhafte, ungezwungene Stimme. »Ich habe dich in jedem Winkel dieses Hauses gesucht, nur nicht in einem Raum, der Bücher enthält. Ich betrachte es als eine hohe Gunst, Nick - so wahr ich hier stehe -, daß du endlich aufgehört hast, dich mit deiner Frau zu amüsieren, und in die Kleider gestiegen bist, um mich zu begrüßen. Unsere Verabredung war für Punkt halb neun. Erinnerst du dich noch? Und jetzt ist es ...« Hier brach die Stimme auf einmal ab.
Ins Zimmer strömte ein kräftiger Stallgeruch, vermischt mit dem Aroma eines schweren Weißweins. Fenton drehte sich um und mußte schmunzeln. Der Graveur hatte es mit seinen Stichen am allerleichtesten für ihn gemacht, Lord George Harwell zu erkennen. Ein breitkrempiger, niedriger Biberfellhut mit einem goldenen Band saß verwegen auf Georges langer flachsfarbener Perücke. Er hatte ein Paar kecke braune Augen, die lustig blinzelten, eine ziemlich große Nase über einem dünnen blonden Schnurrbart und einen breit lächelnden Mund.
George war etwa fünf Zentimeter größer als Fenton, aber ein wenig korpulent. Wie Giles in seinem Manuskript erwähnt hatte, behinderte ihn dies in der Fechtkunst, auf die er sich gut verstand. In seinem Anzug aus purpurnem Samt mit Rüschen an den Handgelenken, einem feinen Spitzenjabot am Hals und den zahlreichen Juwelen, die an seinen Fingern glitzerten, bot er ein prächtiges Bild.
Aber er spürte, daß hier etwas nicht stimmte. Stirnrunzelnd versuchte er, der Sache auf den Grund zu kommen, was ihm jedoch nicht gelang. Fenton und er bedienten sich der üblichen freundschaftlichen Begrüßungsformeln.
»George!« rief Fenton mit aufrichtiger Herzlichkeit. »Möge deine Seele so tief in der Erde modern wie Olivers!«
»Nick!« rief George im selben Ton. »Möge die Pest über dich kommen und jeder Doktor in der Welt tot sein!«
Beim Austausch dieser Liebenswürdigkeiten hatte George fleißig seine Schuhe an der Türkante vom Stalldünger gesäubert. »Ei, stört euch nicht an meinen Manieren!« empfahl er der Allgemeinheit, während er versuchte, eine tragische Miene aufzusetzen. »Seit meiner Taufe bin ich ein ruinierter Mann. Es ist kein Scherz, behüte! Tausendmal hab' ich die Geschichte erzählt.« Er hielt inne, und seine aufmerksamen Augen fielen auf die Neun-schwänzige Katze.
»Das ist's also«, murmelte er und schnalzte mit den Fingern - eine Bewegung, die die Diamanten, Rubine und Smaragde in den silbernen Fassungen seiner Ringe in wechselnden Regenbogenfarben sprühen und funkeln ließ. Kitty, die sich wieder in eine schöne Frau verwandelt hatte, konnte ihren Blick nicht davon lösen. »Hier ist ein Gerichtshof mit Richter und Geschworenen; hier findet ein Verhör statt«, sagte George hastig. Sein Degen mit einem Stichblatt aus Silberfiligran und einem polierten Silbergriff klirrte ungeschickt gegen die Tür, als er sich umdrehte.
»Nick, ich werde dich verlassen. So etwas läßt sich wohl nicht vermeiden, aber ich mag's nicht. Nun, der Stall.«
Flüchtig sah Fenton, wie Judith Pamphlin mit einem großen beladenen Tablett die Treppe hinaufging.
»Geh nicht fort, George. Die Sache ist für den Augenblick erledigt. Giles!«
»Sir?»
»Sorge dafür, daß alle in diesem Raum bleiben«, Fenton nickte zu der Gruppe, »bis ich wiederkomme. Sie brauchen nicht zu stehen; gib ihnen Stühle. Aber niemand soll sich nach unten begeben, damit nichts angerührt wird. Lord George und ich haben eine wichtige Angelegenheit zu besprechen, aber es wird nicht lange währen.« George strahlte über sein ganzes rosiges Gesicht, als er sah, daß die Prügelstrafe, die eine Frau mit zwanzig Hieben fast töten konnte, hinausgeschoben war.
»Potz Blitz! Das ist aber ein feines Mädchen!« rief er aus und nickte mit seinem breitkrempigen Hut und seiner flachsfarbigen Perücke Kitty zu. »Wie steht's, mein Schatz?«
»Besser, seitdem Eure Lordschaft von mir Notiz genommen haben, Mylord«, erwiderte Kitty holdselig mit einem tiefen Knicks.
»Hah!« rief George entzückt. »Nick, sie besitzt auch Witz. Wie?«
»Mag sein.«