»Aber hör mal, Nick! Diese »wichtige Angelegenheit'. In deinem Brief warst du so verwünscht mystérieux - wie die Franzosen sagen, der Teufel hole sie -, daß ich kein Wort davon verstanden habe.«
Fenton holte das Päckchen mit dem Gift aus der Tasche und reichte es ihm.
»Dies fand ich in meinem Schreibtisch, wo es ohne mein Wissen versteckt war. Lies die Aufschrift.«
»Gift!« las George, während er zurückwich und das Päckchen so hielt, als ob es ihm die Finger verbrenne. »Hier, rasch, nimm es zurück!«
Fenton nahm es wieder an sich. Obwohl George sich stets Hals über Kopf in jedes Gefecht stürzte, wobei er unter Tränen behauptete, daß er ein friedlicher Mann sei, jagte ihm die unmittelbare Nähe von Arsenik die Farbe aus den Wangen.
»Glaubst du«, fragte er ängstlich, »daß es meine Hand schon infiziert hat? Wird sie anschwellen und schwarz werden? Nein, allen Ernstes! Was meinst du?«
»Sei ohne Sorge, es hat keinen Schaden angerichtet. Sieh nur, ich fasse es ja auch an. Nun, hast du das Zeichen in blauer Tinte unter der Aufschrift bemerkt?«
»Ich ... wenn ich gestehen soll.«
»Nun, ich konnte es mir nicht erklären, bis Giles Collins mir auf die Sprünge half. Er sagte, es sei das Straßenschild über der Tür eines Apothekers.«
»Was sagst du da?«
»Es ist das Zeichen eines Mörsers mit einer Mörserkeule darüber. Wahrscheinlich das Schild der Apotheke >Zum Blauen Mörser.<«
»Und weißt du, wo die ist?«
»Jawohl«, erwiderte Fenton und zitierte aus dem Manuskript: »In der Totenmannsgasse, die vom Strand abbiegt, beim >Kopf des Wilden Mannes<. Wir werden uns dorthin begeben, um zu erfahren, wer das Gift gekauft hat.«
»Oh, schlau!« nickte George, der sich nie durch einen hohen Grad von Intelligenz ausgezeichnet hatte. »Schlau wie ein Advokat in Westminster Hall! Sollen wir gleich aufbrechen?«
»Ja, aber zunächst muß ich nach oben gehen und mich meiner Frau präsentieren .«
George traten die Augen aus dem Kopf. »Alle Wetter, Nick! Doch nicht schon wieder?«
»Deine Denkweise, alter Freund, ist ekelhaft. Lydia muß meine Stimme hören, damit sie Judith Pamphlin die Tür öffnet. Dann .«
Fenton hielt inne. Ohne es sich erklären zu können, wurde er plötzlich von einer bangen Ahnung erfaßt.
»Zum >Blauen Mörser<«, fügte er hinzu, »in der Totenmannsgasse!«
VI
Knarrend und kreischend schwangen die Aushängeschilder in dem heftigen Wind, der den Strand von Charing Cross her hinunterwehte. Sie klapperten und quietschten über den Häuptern der Passanten und prallten mit großem Krach aufeinander. Sie mochten alt oder schmutzig sein, diese Schilder, aber wenn die Sonne hervorkroch, glänzten ihre primitiven Bilder in leuchtenden Farben. Hier klaffte ein roter Mund in einem Gesicht von der Farbe eines neuen Schornsteinaufsatzes. Dort tänzelte eine grüne Wassernixe über der Tür einer Garküche. Augen, Hundeköpfe, Fische sprangen auf und ab und blitzten in Rot, Purpur und Gold, während Wind und Ruß miteinander fochten.
Doch der Lärm der Schilder war kaum größer als der Lärm des Straßenverkehrs. In den Strand, einst eine vornehme Allee, in der die Stadthäuser der Adligen mit der Rückseite nach der rauchigglitzernden Themse standen, waren Handel und Wandel bereits eingedrungen, bevor das Große Feuer vor neun Jahren Cheapside und Eastcheap einäscherte.
Hier, wo die Gosse oder der Kloakengraben in der Mitte der Straße üble Dünste aufsteigen ließ, krachten eisenbereifte Räder über das Kopfpflaster, begleitet von den Flüchen der Kutscher. Höker schrien ihre Waren aus. Rastelbinder riefen die Leute herbei, indem sie auf einem Messingkessel herumtrommelten. Sie wurden übertönt durch die Rufe der Lehrlinge, die sich über die unteren Hälften der zweiteiligen Ladentüren lehnten oder vor den Läden auf und ab gingen. »Tuch, Sir! Wie Samt; faßt es nur an!«
»Lilienweißer Essig! Lilienweißer Essig!«
»Habt ihr einen Messingtopf, einen Eisentopf, einen Kochtiegel oder eine Bratpfanne, die ausgebessert werden müssen?«
»Und ein schöneres Bordell«, schrie Lord George Harwell seinem Gefährten ins Ohr, »hab' ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Mit Mutter Cresswells Haus überhaupt nicht zu vergleichen; pfui!«
»Hm - besser?«
»Ein wahrer Venustempel, meiner Treu! Ich kann dir sagen. Zum Teufel, Nick, nimm dich doch in acht! Du kommst mir noch unter die Räder oder fällst in die Gosse! Zurück!« George hatte dauernd auf Fenton aufpassen müssen, seitdem sie in östlicher Richtung die Pall Mall entlanggewandert waren. Die Augen seines Gefährten waren glasig und halb geschlossen. Er drehte sich beim Gehen ständig nach allen Seiten um. Wenn sein Blick auf etwas fiel, was ihm ein wenig bekannt vorkam, bewegte er schweigend die Lippen, als spräche er den Namen vor sich hin. George wurde allmählich ganz nervös. Als sie sich der Reiterstatue Charles' des Ersten näherten, legte er seinem Gefährten die Hand auf den Arm.
»Schockschwerenot!« stieß er nach tiefer Überlegung hervor. »Du kannst doch unmöglich so viel Rotwein in dich hineingeschlaucht haben, ehe du von zu Hause fortgingst. Ich habe dich doch gesehen.«
Fenton tat die Bemerkung mit einer heftigen Geste ab und deutete mit dem Finger.
»Dort an der Nordseite«, sagte er, »sind wohl die königlichen Marställe, wo die Soldaten einquartiert sind?«
»Ja. Du tust ja so, als ob du nie den Zapfenstreich von dort gehört hättest!«
»Und nach Süden zu«, sagte Fenton, indem er sich vollständig umdrehte, »ist die King Street. Zur Linken ...« Seine Hand deutete auf einen Haufen alter, schmutziger Backsteingebäude, die von wehendem Rauch und dem grauen Himmel halb verdunkelt waren und sich eine halbe Meile lang zwischen der King Street und dem Flußufer dahinzogen.
»Whitehall-Palast«, sagte Fenton. Seine Hand fegte nach der anderen Seite. »Diese Eisengitter und Hecken zur Rechten verbergen den Privatgarten des Königs, und dahinter erstreckt sich der St.-James-Park.«
Fenton starrte immer noch die King Street hinab auf einen viereckigen Turm aus roten, blauen und gelben Ziegelsteinen mit einem sich drehenden Wetterhahn an jeder Ecke. Der Turm stand genau mitten in der Straße und hatte einen großen Torbogen für einen Durchgang nach Westminster.
»Das ist das Holbein-Tor«, sagte Fenton. »Und dahinten nach Südwesten: das muß ein Eingang zu Spring Gardens sein.« Bei diesen Worten legte sich Georges Nervosität, und er begann zu schmunzeln. Wenn Nick vorgab, Spring Gardens, den großen Lustgarten, nicht zu kennen - und ein flotter Geselle konnte dort immer Liebe finden, potz Geck!
-, dann hatte Nick keinen Wahnsinnsanfall, sondern war einfach total betrunken. George brüllte vor Lachen.
»Spotte meiner nicht, ich bitte dich«, sagte Fenton unerwartet. Sein Gesicht war so bleich, daß George offenen Mundes stehenblieb. Fenton netzte sich die Lippen. Nach einem Blick auf die östlich gelegene Neue Börse und die Einfahrt zum Strand kehrte er wieder um. Neben der Statue bückte er sich und nahm eine Handvoll Staub und Erde vom Boden, die er langsam durch die Finger rieseln ließ. »Ich bin hier«, sagte er leise. Aber George hatte dies alles vergessen, als sie sich durch das Menschengewühl auf der Nordseite des Strand drängten. Voller Seligkeit wollte er gerade den Traum aller Bordelle beschreiben, als Fenton, der sich immer noch umblickte, beinahe unter die Räder eines Leichenwagens geriet und zurückgerissen werden mußte.
»Nun hör mal zu, Nick«, riet George, der nicht zornig, sondern sehr beunruhigt war. »Ich frage keinen Pfifferling danach, wenn ein Mann zu tief in der Becher guckt. Spaß muß sein. Aber...«
»Ich bitte dich um Entschuldigung«, sagte Fenton, der sich bemühte, sich den Ruß aus den Augen zu reiben. »Mein Kopf ist jetzt wieder klar.«