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»Arsenik«, rief er und schien vor dem Wort zurückzuschrecken. »Potztausend, darum sind wir ja hier! Ich hatte es ganz vergessen.« Er warf rasch einen Blick auf seine rechte Hand, um zu sehen, ob sie schon geschwollen und schwarz geworden sei. Mit Erleichterung stellte er fest, daß es nicht der Fall war. Die Totenmannsgasse war nicht mehr als vier Meter breit. Auf der rechten Seite befand sich eine hohe, dunkle, fensterlose Ziegelwand. Zehn Meter weiter bog sie in eine andere Gasse ein, die durch ein verschlossenes, mit Spitzen versehenes Eisengitter verbarrikadiert war.

Auf der linken Seite zog sich die lange, offene Fassade einer Heu- und Getreidehandlung hin. Davor standen ein Karren und eine lange steinerne Tränke. Es war eine Anzahl von Läden vorhanden, doch die beiden Freunde sahen nur einen: eine blaue Tür und das Schild mit dem blauen Mörser. George wandte sich an seinen Gefährten.

»Was hat dies alles überhaupt für einen Sinn?« fragte er, und seine Stirn unter der flachsenen Perücke rötete sich vor Zorn. »Niemand ist vergiftet in deinem Haus, Nick, oder die Obrigkeit hätte sich längst eingemischt. Du kannst nicht behaupten, daß Meg .« Das ernste Gesicht seines Gefährten brachte ihn zum Schweigen.

»Ich weiß es nicht«, sagte Fenton unglücklich. »Eine ganze Zeit lang habe ich es geglaubt, das will ich ganz offen zugeben. Heute jedoch sind mir immer und immer wieder Zweifel gekommen. Wer bin ich, daß ich sagen könnte: >Diese Person würde dies tun<, oder: >Jene Person würde das tun?< George, ich weiß es einfach nicht.«

»Ich werde es ausfindig machen .«

»Nein! Überlaß das Reden bitte mir.«

Fenton stieß die blaue Tür auf, und sie traten in einen kleinen, nicht allzu sauberen Raum. Er hatte ein ziemlich großes Fenster mit bleigefaßten Butzenscheiben. Durch das buckelige Glas fiel ein etwas grünliches Licht auf den dunkelgebeizten Eichentresen mit der trüben Messingwaage. Der Apotheker, ein kleiner, verrunzelter Mann, der sein eisengraues Haar unter einem schwarzen Käppchen trug, stand hinter dem Tresen und las in einem aufgeschlagenen Buch. Als seine Besucher eintraten, blickte er sie durch seine länglichen, stahlgefaßten Brillengläser an

»Einen schönen guten Tag, die Herren«, begrüßte er sie mit einer Stimme, die wie ein Straßenschild knarrte, während er sich tief, aber ohne Unterwürfigkeit verbeugte. »Und womit kann ich Euch dienen?«

Der Apotheker, Magister William Wynnel, war im Grunde ein fröhlicher, rühriger, lebhafter Mann. Aber sein Beruf hatte ihm ein gesetztes, strenges Aussehen verliehen. Er betrachtete die Besucher mit gespitzten Lippen und einem traurig-ernsthaften Blick, als sei die Last seiner Gelehrsamkeit zu schwer für ihn. »Magister Apotheker, mein Name ist Fenton.«

»Habe ich die Ehre«, erwiderte der andere, sich abermals verneigend, »mit Sir Nicholas Fenton zu reden?«

»Wenn Ihr es eine Ehre zu nennen beliebt, ja, ich bin Nicholas Fenton.«

Der alte Apotheker war hocherfreut, daß ihm eine so höfliche Behandlung widerfuhr, wie sie ihm nach seinem Dafürhalten auch zukam.

»Ihr seid zu gnädig, Sir Nicholas! Und was führt Euch zu mir, wenn ich fragen darf?«

Fenton griff in seine große rechte Tasche. Über dem Päckchen mit Arsenik lag die kleine, aber schwere Geldbörse mit der Zugschnur, die er sich von Giles hatte geben lassen, ehe er von zu Hause fortging. »Ich möchte Wissen kaufen«, entgegnete er.

Er öffnete den Geldsack und schüttete einen Teil des Inhalts aus. Gold- und Silbermünzen rollten klirrend über den Ladentisch.

Der kleine William Wynnel richtete sich würdevoll auf. »Sir«, bemerkte er, »ich bin Drogist und Apotheker, ein Metier, das gelernt sein will und fast an das des Chirurgen oder Doktors der Medizin heranreicht. Steckt bitte das Geld weg, bis wir in Erfahrung gebracht haben, ob ich . das Wissen, wonach Euch verlangt, besitze.«

Ein Schweigen folgte diesen Worten. George wollte gerade den Mund öffnen, um den Apotheker anzubrüllen. Doch ein Zeichen, das Fenton ihm unterhalb des Tresens gab, hinderte ihn daran. Fenton hatte einen ganz bestimmten Zweck im Auge. »Eure Worte sind berechtigt«, gab er zu und fegte die Münzen wieder in die Geldkatze. »Und Euer Tadel ebenfalls. Ich bitte Euch um Verzeihung.« George und der Apotheker starrten ihn an. Die höfliche Entschuldigung eines Adligen, dessen Vorfahren bis in die Zeit vor Edward III. zurückgingen, erschien so leutselig, daß der Apotheker völliges Vertrauen gewonnen hatte. Er hätte jetzt jedes Geheimnis enthüllt.

»Zunächst einmal«, fuhr Fenton fort, während er die Geldkatze wieder in seiner Tasche verschwinden ließ und ungezwungen das Päckchen Arsenik herauszog, »nehme ich an, daß Ihr dies verkauft habt. Habe ich recht?«

Magister Wynnel nahm das Päckchen in die Hand, um es genauer zu betrachten.

»Nun, freilich«, entgegnete er prompt. »Hätte ich die Tatsache zu verbergen gewünscht, so hätte ich nicht mein Zeichen so deutlich darauf vermerkt. Denn es verstößt nicht gegen das Gesetz, Arsenik zu verkaufen. Fast alle unsere Häuser sind ja mit Ungeziefer behaftet: Ratten, Mäuse, große und kleine Insekten, die man vertilgen muß. Es ist dem Apotheker überlassen, mit Hilfe seines Urteilsvermögens und geschickter Fragen die Ehrlichkeit des Käufers zu ermessen.«

Damit hatte er recht. Dennoch trat in seine Augen ein unruhiger, ängstlicher Ausdruck.

»Aber ich hoffe«, sagte er, »daß sich kein . kein . Unglücksfall zugetragen hat.«

»Keineswegs«, versicherte ihm Fenton lächelnd. »Ich gehe der Sache nur auf den Grund, um meinen Haushalt Vorsicht und Sparsamkeit zu lehren.«

Ein leiser, halberstickter Seufzer der Erleichterung wurde hörbar. Die gespitzten Lippen und das wichtige Gehabe des Apothekers waren wie weggeblasen. Er war jetzt ein dienstbeflissener, lebhafter, entgegenkommender kleiner Mann, dessen Augen hinter den Brillengläsern funkelten.

»Könnt Ihr Euch«, fragte Fenton,«auf das Datum besinnen, an dem das Gift gekauft wurde?«

»Mich besinnen? Nein, Sir, aber ich kann es Euch unverzüglich sagen!«

Er stürzte sich auf das aufgeschlagen vor ihm liegende Buch, blätterte rasch ein paar Seiten um und deutete mit dem Finger auf einen Eintrag.

»Das Datum«, erklärte Magister Wynnel, »war der 16. April. Also vor gut drei Wochen.«

»Könntet Ihr vielleicht auch feststellen . obzwar es an ein Wunder grenzen würde. wieviel Arsenik aus dem Päckchen verschwunden ist?«

»Ein Wunder? Aber nein, Sir Nicholas! Hier!« Er flog zu der alten Messingwaage, wo er das Päckchen in eine Waagschale und einen sehr leichten Kieselstein in die andere legte.

»Dies ist keine gute Waage«, meinte er. »Aber ich bin zu arm, um. Na, es sind etwa drei oder vier Gran daraus verschwunden.«

»Und wie hoch war die ursprüngliche Menge, die Ihr dispensiert habt?«

»Das steht in meinem Buch. Einhundertunddreißig Gran.« Die fehlende Menge, über drei Wochen verteilt, entsprach genau Lydias Symptomen.

»Der Teufel hole diesen ganzen Kram!« platzte George heraus. »Was wir wissen wollen -«

»Pst!« flüsterte Fenton mit einem warnenden Blick und wandte sich wieder dem Apotheker zu. »Und der Name des Käufers, wie steht's damit?«

»Damit kann ich nicht dienen, Sir. Sie wollte keinen Namen nennen.«

Als Lord George das ominöse Wort sie vernahm, war es ihm, als habe sich eine Schlinge um seinen Hals gelegt. »Sie gehört aber zu Eurem Haushalt«, sagte der Apotheker zu Fenton. »Das nehme ich jedenfalls an.«

»Könnt Ihr sie beschreiben?«

»Das Mädchen legte ein gutes, demütiges, bescheidenes Benehmen an den Tag. Sie war vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Sie trug einen Schal um die Schultern und Holzschuhe an den Füßen. Ach ja, und sie hatte auffallendes dunkelrotes Haar, das in der Sonne aufleuchtete. Ich konnte sofort sehen, daß sie ehrlich und tugendhaft war.«