»Stillgestanden!« rief Sir Nick, das Wort in die Länge ziehend. »Stillgestanden, Führer der Raufbolde. Oder bist du es doch nicht?«
Sir Nick keuchte. Seine an dem Hut festgesteckte Perücke belästigte ihn. Sie hatte sich über ein Auge geschoben, und er faßte mit der Hand danach.
Langbein stand in Paradestellung. Unauffällig kroch seine linke Hand in die Tasche, in der er vorsorglich eine Handvoll Kies, mit Sand und Staub vermengt, trug.
»Macht Euch nicht so mausig!« brüllte Langbein. »Wenn Eure Eingeweide erst durchlöchert sind .«
Seine linke Hand mußte den Kies direkt in Sir Nicks Augen schleudern, und zwar eine Sekunde, bevor er seinen Ausfall machte. Doch mußte er niedrig werfen, nicht hoch, damit der Wind den Sand nicht in seine eigenen Augen blies. Es war zu der Zeit ein ziemlich fairer Trick.
»Wenn Eure Eingeweide durchlöchert sind«, schrie er, »werdet Ihr wissen, wer Herr ist!«
Staub und Kies spritzten aus seiner linken Hand. Sir Nick, dessen linker Daumen bereits unter der Perücke steckte, während seine Finger sie von oben griffen, riß die Perücke nach vorn. Der breitrandige Hut bildete einen Schild für sein Gesicht. In der nächsten Sekunde schleuderte er Hut und Perücke in die Luft - gerade als Langbein einen vollen Sekondstoß nach dem rechten Oberschenkel seines Gegners machte.
Sir Nicks Rapier sauste von oben herab, und die beiden Klingen klirrten zusammen, als er den Stoß parierte und Langbeins Degen zur Seite schlug. Noch ehe Langbein wieder zur Paradestellung zurückspringen konnte, schoß Sir Nicks Degenspitze vor und in einem schrägen Winkel nach oben.
Die Spitze drang Langbein, dessen Kopf ein wenig zurückgelehnt war, unterhalb des Kinns in die Kehle, dann hinter den Zähnen durch den Gaumen hindurch und schließlich ins Gehirn. Im nächsten Augenblick zerrte Nick mit beiden Händen an dem Degen, um ihn zu lockern und herauszuziehen. Es gelang ihm schließlich. Das Blut schoß aus der Wunde und strömte ihm über Hände und Ärmelaufschläge.
Eine halbe Sekunde lang stand Langbein noch, kaum schwankend, aufrecht. Eine dünne Schicht von Blut legte sich über seine Augen, so daß sie erloschen. Blut stürzte ihm aus der Nase und schäumte über seine Lippen.
Langbein schlug der Länge nach hin und fiel mit dem Gesicht nach unten über die Doppelreihe rotlederner Feuereimer. Die meisten davon schwappten über, hielten aber quietschend sein Gewicht, zwei fielen um, und das stinkende, mit Blut vermischte Wasser bildete eine Pfütze im Staub.
Sir Nick blickte auf seinen Gegner hinab, während er sich mit dem Samtärmel den Schweiß aus der Stirn wischte. Etwas weiter entfernt lag seine staubige Perücke mit Hut auf der Erde. Ein plötzlicher Lärm ließ ihn aus seinen Gedanken, die sich noch mit der Abwehr gegen den Sand beschäftigten, auffahren. Er raste aus dem Tunnel und die Gasse hinab. Er kam an dem schwatzenden Apotheker vorbei, der aller Vorsicht zum Trotz aus seinem Versteck herausgekrochen war. George befand sich in Schwierigkeiten.
Sein keuchender Atem war weithin vernehmbar. Er stand mit dem Rücken zu dem mit Eisenspitzen besetzten Tor an der Biegung. Sein Gegner - der zweite Bully von Alsatia - hatte Sir Nick den Rücken zugekehrt und bedrängte George hart. Sie waren beide bis zu den Hüften in eine dünne Staubwolke eingehüllt. Sir Nick blieb stehen und maß die Entfernung mit den Augen. Dann stieß er zu. Die Spitze traf den Mann ein paar Zentimeter unterhalb des linken Schulterblattes Er zuckte zusammen wie ein Fisch am Angelhaken, nahm aber sofort wieder Paradestellung gegen George ein.
»Senk deinen Degen!« befahl Sir Nick. »Senke ihn, oder du bist ein Kind des Todes. George, senk deinen Degen ebenfalls, aber erst nach ihm.« Langsam ließ Bully der Zweite die Hand mit dem Degen sinken. Als Sir Nick diesen Degen sah, wuchsen seine Freundschaft und Bewunderung für George in demselben Maße wie seine finstere Rachsucht gegen Bully.
Es war eine ganz altmodische Klinge, länger und bedeutend schwerer als Georges, mit zwei geschärften Schneiden und einer Spitze. Als Gegner damit fertig zu werden war Kinderspiel, wenn man die nötigen Kenntnisse besaß. Aber George, der nur im zeitgenössischen Degenfechten bewandert war, hatte trotz seines Putzes, seiner hohen Absätze und seiner Korpulenz wie ein Berserker ge-fochten und seinen Gegner drei Minuten - eine ungeheuer lange Zeit! - in Schach gehalten.
Über Bullys Schultern hinweg konnte Sir Nick Georges bleiches, schweißtriefendes Gesicht sehen. George keuchte so sehr, daß er nicht sprechen konnte.
»Ich bin Nick Fenton«, sagte Sir Nick und drehte die Degenspitze in Bullys Rücken, so daß den Mann eine Gänsehaut überlief. »Du kennst mich ja wohl, nicht wahr?«
»Ich kenne dich«, fauchte er, während er ebenso wie Sir Nick das verächtliche Du gebrauchte, »als Hurenjäger und Schweinehund, der sich eine papistische Dirne hält...«
»Ich gehe jetzt fünf lange Schritte zurück, du Spitzbube. Dann dreh dich um und fechte!«
»Und der Herr schenke mir den Sieg über den Philister!« Sir Nick stampfte fest mit den Hacken auf, damit alle die fünf Schritte hören konnten.
Bully der Zweite, ein vierschrötiger Mann von Sir Nicks Größe, wirbelte herum. Sein fettiges graues Haar reichte ihm bis halb über die Ohren. Durch die Narbe einer alten Schwertwunde stand eines seiner Augen schräg. Er hatte eine sehr schlechtsitzende obere Prothese, die wie eine Reihe übler Grabsteine wirkte.
»Bist ein Puritaner, Narbengesicht?« erkundigte sich Sir Nick höflich. »Wie alle Schurken und Spitzbuben von Alsatia?«
»Als du noch in den Windeln lagst vor fünfundzwanzig Jahren, gehörte ich zu Cromwells mächtiger neuer Armee. Wenn der Herr es für richtig befunden hat, mich unter einem unrechtmäßigen König mit Unglück zu schlagen .«
»Nun, wer hat je gehört«, sagte Sir Nick lachend, »daß ein Rundkopf mit einem Degen umgehen kann?«
Wutentbrannt ging Narbengesicht zum Angriff über. Es war eigentlich gar kein Kampf. Sir Nick spielte nur mit ihm und lachte ihn aus. Narbengesicht versuchte, im neuen Stil zu fechten, und hielt den Körper in seitlicher Stellung. Aber immer wenn er heftig nach Sir Nicks Brust stieß, wurde seine Klinge verächtlich zur Seite geschlagen oder spielend beiseite geschoben, was ihn maßlos in Wut brachte. Immer wieder stieß er ins Leere. Mit einer behenden Bewegung ritzte Sir Nick die Nase seines Gegners, so daß ein einziger Tropfen Blut hervorquoll.
Narbengesicht holte zu einem altmodischen Hieb weit mit dem Arm aus und ließ die ganze rechte Seite seines Körpers ungeschützt. Im selben Augenblick machte Sir Nick einen vollen Ausfall. Die Spitze drang in die Achselhöhle, bewegte sich etwas nach links und stieß auf einen Teil der Wirbelsäule. Narbengesicht wurde zurückgeschleudert und fast umgeworfen, erlangte jedoch das Gleichgewicht wieder, als das Rapier herausgezogen wurde. Eine halbe Sekunde stand er regungslos da. Obwohl er den rechten Arm wahrscheinlich nicht heben konnte, umklammerten seine Finger krampfhaft den Degen.
»Nimm dich in acht vor dem Kerl hinter dir!« rief er und streckte die linke Hand aus - ein uralter, unter Duellanten gebräuchlicher Trick. Beim Sprechen flogen ihm seine falschen Zähne aus dem Mund und landeten, ohne zu zerbrechen, im wirbelnden Staub. Sir Nick, ausnahmsweise nicht auf der Hut, blickte über die rechte Schulter. Diesen Augenblick nahm sein Gegner wahr, rannte links an Sir Nick vorbei und eilte wie ein geflügelter Gott auf den Tunnel zu. Blutstropfen spritzten überall auf den Boden. Sir Nick jagte sofort mit mächtigen Schritten hinter ihm her und versuchte, ihm den Degen in den Rücken zu stoßen. Aber Freund Narbengesicht, der zu beten schien, besaß ein unmenschliches Tempo. Er stürzte durch den Bogen in den Tunnel, dann an seinem toten Gefährten vorbei, ohne in der Blutlache auszurutschen, da sie bereits eingetrocknet war. Er erreichte den belebten Strand und entkam tatsächlich durch ein Wunder.