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»George«, sagte Fenton, als das Mahl bestellt war und beide eine Weile nachdenklich am Tisch gesessen hatten, »ich habe ganz vergessen, dir zu danken .«

»Pah!« erwiderte George barsch.

»Nicht zu wissen, daß man heutzutage einen Hieb von der Schulter nicht pariert, sondern einfach zustößt, wenn der Gegner den Arm hebt«, beharrte Fenton, »und dennoch einen Bully von Alsatia drei Minuten lang in Schach zu halten .!«

»Papperlapapp!« knurrte George. »Sie hatten's nicht auf mich abgesehen. Du warst ihre Beute.«

»Das denke ich auch. Diese Raufbolde schleichen sich aus ihrem Asyl, um gegen Bezahlung zu töten. Wer hat sie auf mich gehetzt?« George blickte ihn überrascht an.

»Nun, bist du noch darüber im Zweifel? Mylord Shaftesbury natürlich.«

Alle Warnungen und Prophezeiungen, die Giles Collins heute morgen kopfschüttelnd geäußert hatte, kamen Fenton jetzt wieder in den Sinn: »Ihr wollt doch nicht etwa einen Becher Wein im Wirtshaus zum >Teufel< trinken, das so nahe beim >Königshaupt< liegt?« Diese Schenke war natürlich der Treffpunkt des Green-Ribbon-Klubs. Und vor allem Giles' ominöse Worte: »Es wird wohl ein Blutvergießen heute geben.«

Giles hatte ihn tatsächlich wie für ein Duell gekleidet: ohne hindernde Spitzenkrausen, ja selbst ohne Ring an der Degenhand. Doch Fenton saß hier im Speisehaus und biß sich verdutzt auf die Lippen.

»Zugegeben«, sagte er mit finsterer Miene, »ich hasse Mylord Shaftesbury. Aber er ist immerhin ein Mann von gewaltigem Ruf. Er war Schatzkanzler, ehe er zum vierten Male seine Partei wechselte und sich gegen den König kehrte. Warum hat er denn mich gerade zu seinem Opfer gewählt?«

Die Farbe wich aus Georges Gesicht, als er sich langsam seinem Gefährten zuwandte.

»Gott steh uns bei«, betete George, und dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Ich hatte geglaubt, deine bösen Säfte hätten dich verlassen und dein Koller sei verschwunden. Nick, Nick! Nun, ein guter Doktor der Arzneikunde könnte.«

»Ich brauche keinen, George. Sag mir lieber: warum sollte dieser kleine alte Mann einen Groll gegen mich hegen?«

George faßte sich in Geduld und sprach zu Fenton wie zu einem Kinde. »Kannst du dich denn gar nicht entsinnen, Nick?«

»Überhaupt nicht.«

»Das Parlament wurde vertagt.«

»Im November letzten Jahres«, stimmte Fenton zu. »Und ist noch nicht wieder einberufen.«

»Gut! Vortrefflich!« George nickte mit strahlenden Augen. »Ich werde dich noch kurieren, guter Freund. Im November lagen sich das Oberhaus und das Unterhaus dermaßen in den Haaren, daß beide Häuser gemeinsam in der >Gemalten Kammern< tagten, die ja ein gemeinschaftlicher Raum für beide ist.«

»Der Teufel hol dich! Das ist mir bekannt. Ich möchte wissen, warum Mylord Shaftesbury .«

George, ein wenig eingeschüchtert, hielt Rückschau: »An jenem Abend saß ich in der öffentlichen Galerie der >Gemalten Kammer<. Ich kann nicht sagen, warum ich dort war, da ich keinen Kopf für Politik habe. Doch es fällt mir wieder ein. Ich ging hin, weil ich hörte, daß diffizile Punkte zur Verhandlung kämen und es daher hoch hergehen würde.«

»Ja?«

»Jack Ravenscroft und ich schlossen eine Wette ab, ob die Kerzen wohl erlöschen würden, ehe die Reden zu Ende waren. Die Feuer in beiden Kaminen loderten hell und warm. Mylord Shaftesbury saß bequem in einem Stuhl neben dem einen Feuer. Seine Majestät war ebenfalls anwesend.«

»König Charles? Warum?«

»Das kann ich nicht sagen. Aber er saß am anderen Kamin. Du mußt dich doch erinnern.«

»Ich. ich . nein.«

»Weißt du nicht mehr, wie du dich von deinem Platz erhobst und mit dem Finger auf Mylord Shaftesbury zeigtest? Wie du eine geistreiche Rede gegen ihn hieltest, die ihn bis aufs Blut geißelte?« Bei diesen Worten durchrieselte Fenton ein kalter Schauer. In der Tiefe des verrußten Speisehauses glühte das Feuer. Man hatte schon längst Georges Kapaun und Tauben auf den Bratspieß gesteckt. Ein Junge, der Bratspießdreher, sein Gesicht hinter einem feuchten Tuch verbergend, begoß das Fleisch mit einer Schöpfkelle. Fleischkeulen, die an eisernen Armen und Ketten hingen, wurden vom Feuer weggedreht.

»Nein!« flüsterte Fenton. »Nein! Mylord Halifax wird das in späteren Jahren besorgen. Aber ich nicht! Nicht ich!« George hatte nur die letzten Worte verstanden. »Du nicht? Potz Geck! Aber ich war doch dabei! Ich habe dich gehört. Alle starrten dich offenen Mundes an in dieser Finsternis, die nur von Feuerschein und trübem Kerzenlicht erhellt war. Du zügeltest deine Leidenschaft wie ein Reiter sein Pferd. >Da sitzt er, Lords und Gentlemen. Mylord Wendehals nennen ihn manche .<«

»Und . und was habe ich sonst noch gesagt?«

»Zum Teufel! Bringe mich nicht in Verwirrung!« fauchte George und runzelte die Stirn. »An den Anfang entsinne ich mich und an das Ende. Doch .« Plötzlich kniff er die Augen zusammen und warf seinem Gefährten einen verschlagenen Blick zu. »Hast du die Wahrheit gesprochen, Nick, als du auf Mylord Shaftesbury s Vergangenheit anspieltest?«

»Seine Vergangenheit? Inwiefern?«

Da Nick anscheinend benebelt war, versuchte George, ihm Fallen zu stellen, um seinen Geisteszustand zu prüfen. »Du erwähntest, daß Mylord Shaftesbury in seiner Jugend und zu Anfang der Großen Rebellion ein höchst eifriger Royalist gewesen sei und im Heere Charles des Ersten tapfer gefochten habe, bis.«

Fenton richtete sich auf.

»Bis«, ergänzte er, »der Mann es in der Luft roch, daß das Glück des Königs eine Wendung nehmen und sein Stern untergehen würde. Gerade vor der Schlacht bei Naseby desertierte er und ging in das Lager der Rundköpfe. Er wurde der glühendste, der frömmste, der eifrigste Psalmensinger .«

»Und bei Abbotsbury?« drängte George mit heiserer Stimme.

»Bei Abbotsbury«, sagte Fenton, »war er ein so hitziger Rundkopf, daß er eine Besatzung, die im Hause eines Royalisten gefangengenommen wurde, bei lebendigem Leibe verbrennen wollte.« Als der Bratspießwender das Geflügel begoß, fielen einige Tropfen Fett zischend auf die glühenden Kohlen, die aufflackerten und das Speisehaus mit einem rötlichen Lichtschein erhellten. »Aber er hatte immer einen guten Riecher«, fuhr Fenton kühl und besonnen fort. »Bei der Restauration war er auf einmal wieder ein Royalist und stand katzbuckelnd und lächelnd -denn manchmal ist er ein fröhlicher Geselle - unter den Bevollmächtigten, die König Charles den Zweiten willkommen hießen.« Abermals zischten die Fettropfen ins Feuer.

»Und du weißt ja wohl«, meinte Fenton, »wie sein Glück ins Unermeßliche wuchs. Da er ein eifriger Anhänger des neuen Königs war, wurde er mit Titeln und Gunst überhäuft. Doch er roch wieder Lunte. Dies wachsende Geschrei >Nieder mit den Papisten< würde - so dachte Mylord - einen Sturm auslösen, der den König fortblies. Also wurde er wieder abtrünnig.« Bisher hatte Fenton kühl und ohne Erregung Tatsachen zitiert. Jetzt aber ahmte er zum ersten Male nach, was er heute beobachtet hatte. Er wandte den Kopf zur Seite und spuckte auf den Fußboden.

George aber sprudelte vor Erregung.

»Dein Gedächtnis ist wieder da!« wiederholte er dauernd und zupfte Fenton am Ärmel. »Nick, du bist nicht wahnsinnig. Du kannst mich nicht beschwindeln! Du warst betrunken, als du so vor dem Oberhaus und Unterhaus sprachst. Und so war's auch heute, wenn du es auch abgestritten hast. Meiner Treu, hab' ich doch erlebt, wie du fünf Wochen hintereinander gepichelt hast und dich am Ende auf nichts mehr besinnen konntest.« Es war die einfachste Lösung. Fentons ironisches Lächeln deutete Zustimmung an.