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»Und gegen Mylord und seine wider den Hof gerichtete Partei«, fuhr George fort und schüttelte unsicher den Kopf, »stelltest du sechs Punkte auf. Dies war der politische Kern, der über meinen Horizont ging. Aber das Ende deiner Rede! Ei, das kann ich wörtlich wiederholen!«

George sprang auf die Füße. Seine in der rötlich erhellten Finsternis ausgestreckte Hand schien auf einen als Geist anwesenden Shaftesbury zu deuten.

»Viermal Überläufer, viermal Verräter. Dreimal verheiratet, dreimal befördert. Zweimal geadelt, zweimal ent-adelt. Einmal tot, bald verdammt. Und hier ist das Schwert, das ihm dazu verhelfen möchte!«

George nahm wieder Platz und schien völlig bei dieser Szene zu weilen. »Bei Gott, Nick! Das Geschrei, das sich auf beiden Seiten erhob, wollte schier das Gold von der Decke sprengen. Während der ganzen Zeit saß Mylord Shaftesbury still im Sessel am Kamin und spielte mit seinem Spitzentüchlein. Nur einmal wandte er dir sein Gesicht zu. Göttliche Ruhe spiegelte sich darauf. Einmal nur sprach er - mit Mylord Essex. >Dieser Bursche mißfällt mir<, sagte Mylord - so wurde mir später berichtet -, lässig wie ein Weibsbild nach einem ausgedehnten Schäferstündchen, >sorgt dafür, daß ihm eine Lehre zuteil wird«.«

»Eine Lehre«, wiederholte Fenton langsam.

»Ja, eine Lehre«, sagte George lächelnd. »Und wie du dich erinnern wirst, wurde sie dir bereits drei Abende später zuteil. Da saßest du hoch zu Roß und rittest nach einem Zechgelage allein durch die einsamsten Felder nach Haus. Plötzlich schossen aus dem Hinterhalt drei flinke Burschen auf dich zu und rissen dich aus dem Sattel.«

Fentons auf dem Tisch liegende Hand ballte sich langsam zur Faust.

»Wenn ich nicht irre«, fuhr George fort, »hatten sie nicht die Absicht, dich zu töten. Sie wollten dir nur die Nase aufschlitzen und dir eine tüchtige Tracht Prügel mit ihren Keulen verabreichen, wie ein großer Lord es üblicherweise anzuordnen beliebt.«

»Ha, wie ich Mylord Shaftesburys Zurückhaltung bewundere!«

»Bewundere deine eigene«, riet ihm George trocken. »Einer der Schurken wurde am nächsten Morgen in einem Graben gefunden, halbtot von einem Schlag auf den Schädel mit seiner eigenen Keule. Dem zweiten gelang es, mit einem Degenhieb durch den Bauch zur Schenke zurückzukriechen. Der dritte entkam.«

»Ja, ich entsinne mich«, log Fenton.

»Heraus mit der Sprache, alter Freund!« drängte George und rückte dichter an ihn heran. »Du kannst mir dein Vertrauen schenken. Viele haben sich gewundert, warum du keine Rache genommen hast. Monatelang hast du nur grübelnd und trinkend zu Hause gesessen. Wenn du das Haus verließest, so geschah es nur, um ein wenig in der Mall zu reiten oder Meg York deine Aufwartung zu machen, die damals in der King Street wohnte, ehe du sie zu dir ins Haus nahmst. Manche behaupteten, Meg habe dich umgarnt. Andere wieder meinten, du habest Angst.«

»Haben sie das wirklich angenommen?« fragte Fenton in merkwürdigem Ton. George warf ihm rasch einen besorgten Blick zu. Doch Fenton lächelte ihn so freundlich an, daß er sich wieder beruhigte. Fenton selbst wußte, daß er bei klarem Verstande war - ohne jegliche Spur von Sir Nick.

»Ah«, seufzte George erleichtert, »hier kommt unser Essen!« Der Wirt kam in Begleitung eines kleineren Mannes herbei. Sie trugen das dampfende Fleisch auf gewaltigen Platten. George schlug die linke Seite seines Rockes zurück und holte aus einer unter seinem linken Arm befestigten Scheide einen einschneidigen Dolch hervor, der zum Essen diente.

»Nein, ich zahle die Zeche!« erklärte er energisch, als Fenton in die Tasche griff. »Du wirfst das Gold mit vollen Händen hinaus, mein Lieber. Laß es gut sein. Zum Wohl!«

Wenn man eine »Kanne« Wein bestellte, entdeckte Fenton, so erhielt man ein reichliches Liter. Und wenn man einmal seinen Dolch vergessen hatte, lieferte das Speisehaus auch ein Messer. Fenton hob die Kanne mit Kanarien-sekt zum Mund und tat einen tiefen Zug. Es wurde ihm fast übel. Der bräunliche Weißwein war schwer, berauschend und so übermäßig süß, daß sein Gaumen den Weingeschmack kaum wahrnahm. Aber was ihn besonders faszinierte, war die Blitzgeschwindigkeit, mit der George einen Kapaun verzehrte. Er benutzte nur seinen Dolch und warf die Knochen in eine Kiste, die am Boden stand. Nachdem er den Kapaun verschlungen hatte, spießte er eine fette Taube auf die Platte, zerschnitt sie in vier Teile und verzehrte der Reihe nach jedes Viertel mit Knochen und allem Drum und Dran. »Na also«, rief sich Fenton im stillen zu, »nun bist du hier; dies ist dein Jahrhundert; lang zu!« Damit stieß er sein Messer tief in die Fleischpastete, die, wie zu erwarten war, einen riesigen Umfang hatte.

Seine neuen Zähne, so stark wie die eines Hundes, zerrissen die mageren, aber sehr zähen Fleischstücke spielend. Bei der fetten, suppenartigen Sauce hatte er das Gefühl, er müsse sich übergeben.

Bald legte er Messer und Gabel hin und erwog den Plan, der ihm durch den Kopf ging. »Hm - George!«

Irgendein Urlaut drang aus den knirschend kauenden, aufgeblasenen Wangen. Georges Gesicht war ganz rot, und seine Augen strahlten vor Vergnügen über diese kulinarischen Genüsse. »Gibt es eigentlich festgesetzte Zeiten, wo Mylord Shaftesbury im >Königshaupt< zu finden ist?« fragte Fenton leichthin.

Als George das letzte Viertel der letzten Taube verschlungen hatte, spülte er es mit einem halben Liter Kanariensekt hinunter. »Nun, was das angeht«, sagte er und faßte sich hinten unter den Rock, um seine fettigen Hände an der Seidenweste abzuwischen, »so ist Mylord an den meisten Nachmittagen dort zu finden. Nur nicht, wenn das Oberhaus oder der Rat Seiner Majestät tagt. Ha, fast hätt' ich's vergessen. Mylord ist stets am Dienstag«, setzte er hinzu, ohne daran zu denken, daß dies ein Dienstag war, »von ein Uhr bis Mitternacht im >Königshaupt<. Er .«

Fenton erhob sich.

Entsetzen malte sich in Georges Augen, als er erriet, was in Fenton vorging.

»Ich möchte wohl«, erklärte Fenton, »dem >Königshaupt< jetzt einen Besuch abstatten.«

IX

Die über Temple Bar an Pfählen aufgespießten Totenköpfe waren keine Häupter von Verrätern. Es waren nur die Köpfe unbekannter Männer, deren Leichen aus dem Fluß gefischt oder in Feldern und Gassen gefunden worden waren. Wenn keiner die Leichen identifizieren konnte, schnitt man ihnen die Köpfe ab, pökelte sie in einer Lake von Essig und Fenchelsamen und steckte sie hoch auf Stangen, damit jemand sie vielleicht erkenne. Aber wenn sie so über dem schwarzgrauen Gemäuer von Temple Bar im Winde hin und her schwangen, boten sie mit ihren starren, glasigen Augen den Besuchern der City nicht gerade einen warmen Willkommensgruß.

Temple Bar, ein Tor zwischen Strand und Fleet Street, durch dessen Bogen die Räder der Fahrzeuge mit großem Krach rollten, hatte zu beiden Seiten Passagen für Fußgänger. Gerade jenseits des Tores, an der Ecke von Fleet Street und Chancery Lane, stand das Wirtshaus »Königshaupt« mit seinen schwarzen Balken und seinem hoch über der Straße liegenden Balkon. »Nun, ich will's darauf ankommen lassen«, erklärte Lord George Harwell mutig. »Aber, Nick, was Mylord Shaftesbury angeht.« Am Eingang zur Fleet Street blieb Fenton stehen, um die Gegend zu betrachten. Doch George in seiner Beharrlichkeit ließ sich nicht abweisen.

»Potz Geck! Was willst du gegen ihn unternehmen?«

»Allerlei.«

»Aber wie?«

»Mylord Shaftesbury«, erwiderte Fenton, »wollte mir gnädigst eine Lehre erteilen. Gut! Nun wollen wir mal sehen, wie Mylord selber sich eine Lehre schmecken läßt.«

»Nick, du darfst ihn aber nicht fordern! Er ist ein vornehmer Lord .«

»Das ist dein Vater auch.«

»Stimmt, stimmt. Aber der alte Filz kommt selten nach London.