»Tiens«, schien er zu sagen, »was kann ich mit einem solchen Mann anfangen?«
Fentons Wangen brannten. »Ruhe bewahren!« mahnte ihn eine innere Stimme. »Ruhe bewahren!« Und er faßte sich wieder. Er hatte sich natürlich wie ein Narr benommen. In dem seltsamen Blick, den ihm der Captain zuwarf, lagen Amüsement und Verachtung. Dieser große Pseudofranzose mit seinem gemalten Gesicht und dem affektierten Wesen glaubte offenbar, er könne einen Gegner in zwei oder drei Gängen erledigen. In kaltblütiger Weise, mit einem Anflug von Komik, arrangierte er ein Duell, das den kostbaren Green-Ribbon-Klub nicht mit einbeziehen sollte. Wiederum machte Captain Duroc eine dramatische Wendung.
»Monsieur«, sagte er traurig, »ich bedaure sehr, aber hier gehen unsere Meinungen auseinander. Denn die schönste Dame, vous comprenez, ist die reizende Madam Meg York .«
»Laß mich vorbei!« ertönte Georges keuchende, heisere Stimme. »Einmalige Gelegenheit; genug!«
George hätte sich nicht lange mit formellen Dingen, wie Degenziehen, aufgehalten, sondern wäre ihm gleich mit dem Dolch an die Kehle gesprungen, wenn Fenton es gestattet hätte - und vielleicht wäre es am besten gewesen.
»Und nun«, verkündete der Captain, »muß ich Ihnen die Beleidigung verabfolgen. Aber ich will Ihnen nicht wehe tun; nein, nein, nein!« Wieder blickte er schockiert drein, wobei er tausend Grimassen schnitt.
Er krümmte seinen hageren Körper und stellte sich auf die Spitzen seiner weißen Schuhe mit den roten Absätzen. Dann streckte er den Arm aus und gab Fenton einen Nasenstüber. »Voilà!« sagte er.
Die Geste wirkte so grotesk und lächerlich, daß der ganze Raum wieder vor Lachen brüllte. Tränen strömten aus Green-Ribbon-Augen und flossen über Green-Ribbon-Wangen. Captain Duroc, der sehr mit sich zufrieden war, lehnte sich gelassen an das Treppengeländer.
»Dies ist also die Beleidigung?« fragte Fenton mit lauter Stimme. »Mais naturellement, mon ami!«
Fentons Körper drehte sich um seine eigene Achse, und seine flache rechte Hand klatschte auf Durocs linke Wange mit einem Geräusch, als prallte eine Musketenkugel auf eine dicke Lederscheibe.
Captain Duroc taumelte über das Geländer und fiel mit einem gewaltigen Aufprall der ganzen Länge nach auf die Treppe. Die Perücke wurde ihm vom Kopf geschleudert. Er schrie einmal auf, ehe er in einem Wirbel von Degen, Beinen, Armen und Spitzenkrausen zum Fuß der Treppe rollte, wo er unbeweglich liegenblieb. Ein Mitglied der Grünen Meuterer stürzte in einem weiten Bogen um Fenton herum ans Geländer. In der Tiefe beugten sich ein Zapf-kellner und verschiedene andere über Captain Duroc. »Ist was passiert?« ertönte ein Ruf von oben. »Kann's nicht sagen, Sir«, rief der Zapfkellner gellend zurück, so daß alle es oben hören konnten. »Es gefällt mir aber nicht. Das linke Bein ist gebrochen, wie mich deucht. Drei Häuser weiter wohnt ein Bader, der gleichzeitig Wundarzt ist. Sollen wir den herbeiholen?«
Der Mann an der Treppe blickte Shaftesbury fragend an, der bejahend nickte. Die Zustimmung wurde nach unten gebrüllt. »Zieht Euren Degen, alle beide!« flüsterte Mr. Reeve mit scharfer Stimme. »Und dann zur Treppe! Diese Memmen werden Euch nicht hindern.«
Durch Ruß verdunkeltes Sonnenlicht fiel auf die Klingen, als die drei Männer die kurze Entfernung zum Treppenkopf zurücklegten. Mr. Reeve hob seine Stimme, damit alle ihn hören konnten: »George, Ihr geht als erster nach unten. Dolch in der Linken, Mann, und zugestochen, wenn einer Euch wehrt! Ich gehe zwischen Euch und singe ein Lied für die Verräter und Gimpel! Nick, Ihr bildet die Nachhut. Der erste, der Nick Fenton attackiert, ist ein toter Mann. Das wissen sie alle!«
Mit dröhnenden Schritten ging George die Treppe hinunter, den Degen in der Rechten, den Dolch in der Linken. Mr. Reeves Hand zupfte die Saiten und sang mit heiserer Stimme:
»Stoßt an auf das Wohl Seiner Majestät.«
Einer der Lords zog blitzschnell seinen Degen. Fenton, der oben an der Treppe stand, sprang herum, um sich zu stellen. Ein seltsames Triumphgefühl schoß ihm heiß durch die Adern, weil er jetzt auf sich allein angewiesen war. Sir Nick war nicht präsent, um ihn zu unterstützen. Ihm standen nur die Kenntnisse des Florettfechters zur Verfügung, aber er beabsichtigte, vollen Gebrauch davon zu machen.
»Auf daß seinen Feinden es schlecht ergeht...«
Am erhöhten Tisch nippte Mylord Shaftesbury delikat an seinem Gläschen Wein.
»Na«, fragte er mit trockenem Sarkasmus, »kann wohl irgendein Mensch tatsächlich die Zukunft weissagen?«
»Ach nein, das ist töricht«, brummte Bucks, die Augen auf die Treppe gerichtet. »Aber wäre ich nur zehn Jahre jünger .«
»Auf ihn, Mylord!« rief eine Stimme aufmunternd Fentons Angreifer zu.
Der Lord tanzte zur Seite, Arm und Klinge ausgestreckt - und blieb dann wie angewurzelt stehen, volle vier Meter von Fentons noch blutverkrusteter Klinge entfernt. Langsam senkte Mylord den Degen.
»Und wer nichts von diesem Trinkspruch hält.«
»Solche Hirngespinste«, murmelte Shaftesbury, »könnten, wie ich schon bemerkte, von jedem geäußert werden. Aber die Anspielung auf meine Entlassung aus dem Rat! Ich glaube, dieser Fenton genießt das Vertrauen des Königs weit mehr, als ich angenommen hatte.«
»Dem wünsch' ich weder Leben noch Geld... «
Inzwischen war Fenton, immer noch auf der Hut, rückwärts die Treppe hinuntergegangen.
»Platz da!« bellte George von unten her. »Öffnet die Tür!«
»Nicht mal 'nen Strick, sich zu hängen ...«
Beide Flügel der Haustür flogen krachend zur Seite. »Wenn ich einen Mann nicht ausstehen kann«, murmelte Mylord Shaftesbury, »so lebt er gewöhnlich nicht lange. Ein drittes Mal wird er mir nicht entkommen.«
»Vivat hoch und heisa juchhei... heisa juchhei!«
Und so verließen erhobenen Hauptes und stolzen Herzens drei königstreue Männer das Wirtshaus zum »Königshaupt«.
X
Wenn Fenton später Rückschau hielt, so schien es ihm, als sei der Monat, den er jetzt durchlebte, die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen.
Im Mittelpunkt stand seine Liebe zu Lydia, die fast an Verehrung grenzte. Er hatte beobachtet, wie sie sich in wenigen Wochen aus einer halbkranken in eine glückliche, lachende, kräftige Frau verwandelte. Und aus irgendeinem geheimnisvollen Grunde betete sie ihn an.
Sein Glück wurde allerdings durch einen Gedanken getrübt - den Gedanken an den gefürchteten 10. Juni, an dem Lydia nach den Aufzeichnungen sterben mußte. Jedesmal, wenn die Furcht vor diesem Tag an ihm nagte, schwor er, daß er Lydias Tod verhindern würde.
Auch gab es in diesem angenehmen Dasein, von dem wir noch hören werden, einige häßliche Vorfälle, die ihn wie Dolchstiche trafen. Der erste ereignete sich noch an demselben Abend, nachdem er mit George und Mr. Reeve den Green-Ribbon-Klub im Wirtshaus zum »Königshaupt« verlassen hatte. George hatte darauf bestanden, daß sie noch einen Becher Wein trinken müßten, um ihren Triumph zu feiern.
»Außerdem mußt du dich etwas herausputzen«, erklärte er mit einiger Berechtigung. »Mit solchen Händen und solchen Ärmeln kannst du doch nicht nach Hause gehen! Im Wirtshaus zum >Teufel< wirst du sicherlich eine Schale mit Wasser finden!«
»Ein Becher Wein, mit Verstand getrunken«, versicherte ihm Mr. Reeve würdevoll, »ist allemal gut für die Verdauung.« Also tranken sie ein paar Becher im »Teufel«, wo Fenton sich so gut säuberte, wie es eben ging. Dann zogen sie ein Häuschen weiter zu dem berühmten »Schwan« in Charing Cross. Dort nahmen sie Platz auf hölzernen Ruhebänken mit hohen Rückenlehnen, und mitten im Lärm und Gestank des Wirtshauses begannen George und Mr. Reeve eine recht zünftige Zecherei. George schwor - und das mindestens sechsmal-, daß er nach dem nächsten Krug Fenton nach Hause begleiten und Meg bitten würde, ihn zu heiraten. Das Ergebnis des Gelages war nicht schwer zu erraten. Die beiden sanken nach einer Weile unter den Tisch - eine bequeme Sitte zu der Zeit.