Fenton zahlte die Zeche, und mit Hilfe zweier Zapfkellner gelang es ihm, die Betrunkenen in je eine Sänfte zu zwängen. Dann schickte er die zwei Sänften in verschiedene Richtungen davon. Jeder voran lief ein Fackelträger. Es war noch nicht einmal dunkel und somit die von Wegelagerern drohende Gefahr nicht sehr groß. Hinterher legte Fenton die kurze Entfernung zu seinem eigenen Haus zu Fuß zurück. Der stattliche Portier mit seinem Amtsstab stand kerzengerade an der Tür. »Eine Frage noch . hm .«
»Sir«, erwiderte der Portier, »ich heiße Sam.« Dann packte er rasch mit allen Neuigkeiten aus. »Madam York ist vor knapp einer Stunde mit schwerem Gepäck in einer fremden Kutsche fortgefahren. Und es freut mich, berichten zu können, daß Ihre Gnaden, Eure Gemahlin, wohlauf sind und ihre Gesundheit sich ständig bessert. Ein dutzendmal in der Stunde schickt sie Mrs. Pamphlin aus, Euch zu suchen.«
»Gott sei gelobt«, sagte Fenton langsam und spürte, wie sein Herz klopfte.
Sam verneigte sich.
»Mich . hm . verlangte es zu wissen«, stieß Fenton schließlich hervor, »wie viele Briefe heute von hier abgeschickt wurden. Aber das ist nicht mehr wichtig, da ich jetzt weiß .«
»Sir, vier Briefe im ganzen«, erwiderte Sam, nachdem er ausgerechnet hatte, wie viele Male er einen Dienstmann suchen mußte. »Einer von der gnädigen Frau an Mrs. Wheeler, die Damenschneiderin im Hause >La Belle France<. Einer von Madam York an einen Captain Duroc in der Chancery Lane. Einer von Mr. Giles an seinen Bruder in der Nähe von Aldgate Pump. Einer - hm! - von der Köchin Kitty .«
»Kitty! Kann sie überhaupt lesen oder schreiben?«
»Man hätte es nicht erwartet«, erklärte der stattliche Sam stirnrunzelnd. »Es war so schlecht geschrieben, daß ich die Adresse nicht entziffern konnte. Ich gab einem Dienstmann Sixpence und habe ihn damit losgeschickt.«
»Das konnte aber nicht am Nachmittag gewesen sein! Das Mädchen war - das hoffe ich wenigstens - unter Bewachung in meinem Studierzimmer.«
»Nein, Sir, alle Briefe wurden frühmorgens abgeschickt.« Ist ja unwichtig, dachte Fenton, und als Sam ihm würdevoll die Tür öffnete, stürzte er durch die ekelhaft riechende untere Halle, dann die Treppe hinauf und den Flur entlang zu Lydias Zimmer. Die Wachskerzen flackerten, als er die Tür aufstieß. Über der Holztäfelung hingen Gobelins, die fast jeden Zoll der Wände bedeckten. Das schwere Bett hatte vergoldete Liebesgötter an jedem Pfosten. Lydia saß in einem tief dekolletierten Abendkleid auf einem gradlehnigen Stuhl neben einem fünfarmigen goldenen Kerzenleuchter und hatte ein Buch im Schoß. Wenn sie auch bei ihrer Genesungskur ziemlich viel durchgemacht hatte, wie aus der Blässe der Wangen und den dunklen Schatten unter den blauen Augen zu ersehen war, so war sie dennoch Lydia. Sie streckte ihm beide Arme entgegen, und er hielt sie fest umschlungen, Wange an Wange.
»Mein liebes Herz«, sagte er, als Lydia sich zurücklehnte, um ihn forschend anzublicken, »hoffentlich habe ich dich mit meiner Kur nicht noch kränker gemacht.«
»Pfui!« sagte Lydia. Ihre rosa Lippen bebten, und sie machte den Versuch, ein wenig zu lächeln. »Es war nicht schlimm! Obgleich manchmal etwas unbehaglich, das gebe ich zu, besonders.« Hier hielt sie verlegen inne. Dann fiel ihr Blick auf seinen etwas mitgenommenen rechten Ärmel. »Oh, Nick, hast du .?«
»Und wenn schon, Lydia, so bin ich doch unversehrt wieder zu dir zurückgekehrt.«
»Oh, ich bin nicht ungehalten. Ich - ich bin sogar stolz. Aber ich hatte nicht angenommen .« Ihre Stimme erstarb, als sei sie von Entsetzen gepackt.
Am anderen Ende des Zimmers, den hageren, steifen Rücken ihnen zugekehrt, stand Mrs. Judith Pamphlin und hielt einen Teller in die Höhe, um ihn zu polieren.
Lydias Schultern zitterten ein wenig. Nachdem sie einen verstohlenen Blick auf Judith geworfen hatte, preßte sie ihre Lippen auf Fentons Wange, schob seine Perücke beiseite und flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich werde doch heute nacht deine Gesellschaft haben, nicht wahr?«
»Ja, und jede Nacht!« sagte er laut und küßte sie so, daß sie ihm ihre Lippen öffnete.
Er dachte bei sich: Hat sie etwa immer noch Angst vor ihrer puritanischen Kinderfrau? Er setzte sich in Positur. »Mistreß Pamphlin«, sagte er mit kalter Stimme, die sie wie ein Peitschenschlag traf, »dreht Euch um und seht mich an.« Mrs. Pamphlin stellte den Teller auf eine Spiegelkonsole und wandte sich langsam um. Ihre Lippen waren fest zusammengepreßt.
»Ich habe Euch«, sagte Fenton, »vor den üblen Folgen gewarnt, die Eurer harren, wenn Ihr noch ein einziges Wort von Eurem puritanischen Geplärre zu meiner Frau sagt. Habt Ihr das etwa getan?«
»Nein, nein!« rief Lydia. »Ich habe mich schon im stillen darüber gewundert. Im tiefsten Herzen ist sie, glaube ich, ganz freundlich.«
»Dann habt Ihr wohl daran gedacht«, sagte er zu der starren Mrs. Pamphlin. »Denkt daran, daß Ihr sie künftig damit verschont. Nun könnt Ihr gehen.«
Mrs. Pamphlin marschierte aus dem Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
»Liebes Kind«, sagte Fenton sanft, »du darfst dich nicht von diesen Leuten mit ihren verderblichen Torheiten in Angst und Schrecken jagen lassen! Ich - ich habe jetzt eine wichtige Affäre zu erledigen. Es handelt sich um die Dienstboten .«
»Ja, ich weiß. Nick, mein teuerster Gemahl, ich .«
»Aber ich werde so bald wie möglich wieder bei dir sein und dich nicht mehr verlassen!«
Immerhin verging eine Weile, bevor er, von Lydias Liebe erwärmt, das Zimmer verließ. Er eilte die Treppe hinunter zum Studierzimmer.
Dort brannten immer noch die drei Kerzen in dem silbernen Kandelaber auf dem dunklen, geschnitzten Schrank mit den Satyrköpfen. Im übrigen war aber eine Veränderung mit dem Raum vorgegangen. Big Tom lag jetzt der Länge nach vor dem leeren Kamin, heftig schnarchend. Nan Curtis, die dralle Küchenmagd, schlummerte, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, in einem Sessel. Aber die Atmosphäre in der Nähe des Schrankes, wo Giles und Kitty Softcover standen, schien mit mörderischem Haß geladen zu sein.
»Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte Fenton, »weil ich länger fortgeblieben bin, als ich dachte. Giles, ist alles glatt gegangen?«
Giles ließ mit einem harten Ausdruck in seinem blassen Gesicht die Neunschwänzige Katze rasseln.
»Sir«, entgegnete er, »sie verlangten zu essen und zu trinken, und da habe ich es mir obgelegen sein lassen, kaltes Fleisch und Bier zu bestellen.«
»Gut! Habt ihr irgendwelche Beschwerden vorzubringen?« Er blickte sie der Reihe nach an. Nan Curtis, die bei seinen ersten Worten bereits aus dem Schlummer aufgeschreckt war, versetzte Big Tom einen ermunternden Tritt mit ihrer Filzpantine, und beide sprangen auf.
Kitty lehnte mit zusammengekniffenen Augen und verschränkten Armen an dem schwarzen Schrank. Ihr von Groll erfüllter Busen hob und senkte sich langsam. Das Kerzenlicht ließ ihr rotes Haar aufleuchten und warf die Schatten der langen Wimpern auf ihre Wangen.
»Ich hab' eine Beschwerde«, sagte sie schnippisch. Wiederum maß Fenton sie von Kopf bis Fuß und wunderte sich im stillen, warum er eine so tiefe Abneigung gegen sie empfand.
»Dieses versoffene Luder«, sagte sie und nickte scharf zu Giles hinüber, »hat sich mir genähert. Er nahm seine Hand, so .« Sie griff nach dem Saum ihres Rockes, aber Giles schnitt ihr scharf das Wort ab.
»Was das Mädchen sagt«, warf er dazwischen, »stimmt. Sie hat jedoch eine Bemerkung über Euch gemacht, Sir, die ich Euch mit Verlaub unter vier Augen wiederholen will.«