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»Giles«, sagte Fenton, »sollte dies noch einmal vorkommen, wäre ich gezwungen, dich zu bestrafen.«

Kitty kreischte halb ungläubig, halb zornig: »Du willst ihn also nicht bestrafen?«

Trotz ihrer verworrenen Aussprache hatte Fenton jetzt deutlich gehört, daß sie ihn vor allen Anwesenden mit »du« angeredet hatte.

»Über die Bestrafungen werden wir noch reden, Frauenzimmer.« Fenton zog die Geldkatze aus seiner Tasche und warf sie Giles zu, der sie geschickt auffing. Dann zog er aus derselben Tasche das Päckchen Arsenik. »Du warst es, die dies Gift gekauft hat - hundertundvierunddreißig Gran! Nein«, fügte er abgespannt hinzu, »du brauchst deinen Kopf nicht anzustrengen, um es abzuleugnen. Ich war nämlich im >Blauen Mörser<. Nun sag mir eins: wer hat dich hingeschickt, um es zu kaufen?«

Es folgte ein langes Schweigen, während Kitty ihn immer noch eingehend mit zusammengekniffenen Augen betrachtete. »Du hast's nicht entdeckt«, sagte sie schließlich achselzuckend. »Wer kann's dann sagen?«

»Ich kann es sagen«, entgegnete Fenton mit vernichtender Ruhe. »Giles! Wir führen jetzt aus, was ich bestimmt habe. Geleite diese Leute nach unten in die Küche, wo uns Kitty eine Schale Sektmolke bereiten wird. Das Gift steckt bereits in einer der Zutaten. Und dann soll die Sektmolke von allen getrunken werden.« Dieses Mal protestierte Kitty nicht. Ihr kleiner Mund mit der geraden Unterlippe und der herzförmig geschwungenen Oberlippe verzog sich zu einer höhnischen Grimasse. Fenton wußte, daß er am Vormittag, als ihn die Angst um Lydia zur Raserei trieb, allen denen gegenüber zu streng gewesen war, die er für treue Dienstboten hielt.

»Fürchtet euch nicht«, sagte er zu ihnen, indem er sie der Reihe nach anblickte. »Euch wird kein Leid geschehen.« Giles stellte sich auf die Zehenspitzen und nahm den Kandelaber mit den brennenden Kerzen vom Schrank. Nan Curtis ging zuerst hinaus, dann folgte Big Tom, der zum Gruß die Hand an die Stirn legte, und zum Schluß Kitty mit ausdruckslosem Gesicht. Giles' Leuchter übergroß sie alle mit einem goldenen Schimmer. »Halt!« rief Fenton, als Giles ihm die Küchentreppe hinableuchten wollte.

Er hatte eilige Schritte auf der oberen Treppe gehört, und dann sah er Lydia in ihrem Abendkleid, umrahmt von dem goldenen Glanz der Kerzen.

»Nick, ich möchte mit Euch gehen«, bat sie. »Ich habe einen Grund dafür, wahrhaftig!«

Fentons Nase hatte bereits den üblen Geruch, der von unten heraufzog, wahrgenommen. Er fragte sich im stillen, ob er es selbst wohl aushalten könne.

»Ihr könnt nicht nach unten gehen! Außerdem bedürft Ihr der Ruhe. Laßt Giles Euch wieder in Euer Zimmer leuchten!«

»Wie Ihr wollt«, sagte Lydia und wandte sich ab.

»Giles, gib mir die Peitsche und begleite Mylady auf ihr Zimmer. Wenn du zurückkommst, bring irgendeine Uhr mit.« Als das Klappern der Absätze verhallte, tastete sich Fenton die Küchentreppe hinunter. Der Gestank war überwältigend. In der Tiefe entdeckte er den Schimmer von Unschlittlampen mit schwimmenden Dochten - Wachskerzen waren für die Dienstboten viel zu teuer - und die rote Glut eines noch nicht erloschenen Kohlenfeuers. Die Wand zu seiner Rechten bestand aus rohen Ziegelsteinen, während die zu seiner Linken mit schmutziger Tünche bedeckt war.

Plötzlich schrak er zusammen, und sein Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf. Irgend jemand, der an der rechten Wand gelauert hatte, jemand, der noch unsichtbar war, drängte sich an ihn heran. Arme umschlangen ihn, und kleine, kalte Lippen preßten sich an seinen Hals.

»Ich weiß, du hast nur Theater gespielt«, flüsterte Kittys Stimme sehr leise, mit heimlichem Frohlocken.

Fenton warf sie von sich und schleuderte sie gegen die getünchte Wand zu seiner Linken. Der Aufprall verursachte kein Geräusch; es rieselte nur ein wenig alter Mörtel hinab.

»Ich lasse mich gern schlagen; ich lasse mich gern peitschen, nicht wahr?« flüsterte sie, und ihre sehr großen Augen glitzerten unschuldsvoll. Sie deutete auf die mit Stahlspitzen versehenen Riemen der Peitsche in Fentons Hand. »Aber nicht mit dem Ding!«

Fenton stand im Begriff, sie anzubrüllen und nach unten zu beordern, doch ihr Geflüster hielt ihn davon ab.

»Das war ein ulkiger Trick, nicht wahr, als du die Brander-Meg gegenüber deiner Frau einquartiertest, so daß jede mit Luchsaugen über die andere wachte und sie uns beide darüber vergaßen.«

Hier lag also die Erklärung für Sir Nicks merkwürdiges Verhalten. Aber was in aller Welt konnte Sir Nick bloß zu dieser. dieser Schneppe hingezogen haben?

»Sieh mal her!« unterbrach Kittys Geflüster seine Gedanken. Fenton wagte nicht, sich zu rühren, aus Angst, er könne weitere Informationen verpassen. Sie standen ungefähr auf halber Höhe der Treppe. Die schwachen gelben Talglampen und die rotglühenden Kohlen warfen ihren Lichtschimmer zu ihnen empor. Abermals schlängelte sich Kitty an ihn heran, diesmal aber mit gesenktem Gesicht.

»Sieh her«, fuhr sie fort, »wie dicht ich das Geschenk, das du mir gabst, am Körper trage.«

Sie beugte sich vor und deutete mit dem Finger in den Ausschnitt ihrer groben Bluse. An einem schmutzigen, um ihren Hals geschlungenen Band baumelte zwischen ihren Brüsten ein mit drei Reihen sehr schöner Diamanten besetzter Ring in Form einer Schlange, deren Windungen boshaft glitzerten.

»Ich soll dir den gegeben haben?«

»Natürlich. Wer sonst?«

Sie hatte sich direkt vor ihn hingestellt. Fenton gab ihr keinen Schubs, obwohl seine Armmuskeln sich schon spannten. Kitty selbst rutschte mit ihren Filzpantinen aus, fiel mit lautem Aufschrei hintenüber und rollte dann schwerfällig bis zum Fuß der Treppe, wo sie unversehrt landete und wütend nach oben blickte. Ein schallendes Gelächter, das von Big Toms Baß beherrscht wurde, ertönte in der Küche. Die Treppe hinunterzufallen galt als ausgezeichneter Scherz.

Das Gelächter verstummte sofort, als Fenton erschien. Kitty stand auf und sprang leichtfüßig davon. Sie warf ihm einen seltsamen, aber triumphierenden Blick zu.

Die Küche war kein unterirdischer Raum, wie er erwartet hatte. Zwei staubige, mit schweren Eisenstangen verbarrikadierte Fenster gingen auf einen Hintergarten. Man konnte die Ställe erkennen.

Der ungeheure Kamin glich dem, den er im Speisehaus gesehen hatte. Töpfe und Kessel hingen dicht daneben. Ratten waren auch vorhanden. Fenton hörte sie rascheln. Ein langer, von einem zerfransten, abgelegten Gobelinstück bedeckter Tisch diente dem Personal als Eßtisch. An einer Wand befand sich eine hohe eichene Anrichte, auf der die trüben Unschlittlampen standen. Die Regale enthielten Schüsseln und Tassen, meistens aus Steingut; manche waren auch glasiert oder sogar aus Porzellan. Big Tom sprang plötzlich mit einem schweren Feuerhaken in der Hand an eine Ecke der Anrichte, und ein unbeschreibliches Geräusch ertönte. Triumphierend hielt er eine tote oder sterbende Ratte in die Höhe, mit der er seine Stirn berührte. »Bravo!« würgte Fenton hervor.

Zufrieden ging Big Tom zu einem halbhohen Brett, unter dem sich ein Abfallhaufen türmte. Darüber befand sich eine trichterförmige Vertiefung mit einem Abflußrohr, das einen Umfang wie ein Schornsteinaufsatz hatte. Big Tom war im Begriff, die tote Ratte auf den Abfallhaufen zu werfen, besann sich aber und ließ sie statt dessen in den Abfluß gleiten. Aus einem großen Eimer goß er etwas Wasser nach. Nan Curtis nickte ihm beifällig zu. »Nun«, rief Fenton, »laßt Kitty die Sektmolke zubereiten, wie es immer geschehen ist. Nan!«

»Gnädiger Herr?«

»Du sollst sie dabei beobachten. Stell dich neben sie und paß auf, daß alles genauso gemacht wird wie vorher.« Kitty, die ihren Kopf mit dem prachtvollen Haar hoch trug, benahm sich mit einer verächtlichen Unbefangenheit. Sie trat an die Anrichte und holte sich eine Schale mit Eiern, die sie auf den Eßtisch stellte. Dann nahm sie eine kleinere irdene Schüssel, ein Messer und eine Gabel aus der Schublade.