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Während Nan Curtis aufmerksam dabeistand, öffnete Kitty vier Eier und begann sie mit der Gabel zu schlagen. Schritte wurden auf der Treppe hörbar, und Giles erschien im Türrahmen mit neuen Sorgenfalten im Gesicht und einer großen Uhr im Arm. Hinter ihm tauchte Lydia auf, die ihm über die Schulter blickte, ohne jedoch die Treppe ganz hinabzusteigen.

»Sir, Sir«, stöhnte Giles, »Eure Gemahlin hat mir eingeredet, daß Euer Wunsch, sie nicht in der Küche zu haben, sich nicht auf die Treppe beziehe.«

Lydia, die den dreiarmigen Leuchter in die Höhe hielt, blickte Fenton so treuherzig an, daß er nachgab. »Gut«, sagte er, obwohl er ihre Anwesenheit ganz und gar nicht schätzte.

»Ach, ja!« rief Lydia.

Während sich Lydia geruhsam auf der zweituntersten Stufe niederließ, ging Giles in die Küche und stellte seine Uhr auf die Anrichte, wo jeder sie sehen konnte.

»Mr. Giles?« murmelte Kitty, die inzwischen die Eier zu einer gelben Flüssigkeit geschlagen hatte.

Giles nahm sein Schlüsselbund und schloß einen Schrank auf, in dem das von der Herrschaft benutzte Porzellan auf Regalen stand. Er holte eine Porzellantrinkschale heraus, die mehr als ein halbes Liter faßte, und stellte sie auf den Tisch. Dann eilte er auf eine Tür zu, die wahrscheinlich zum Weinkeller führte.

»Milch!« rief Nan Curtis und holte mit zitternden Händen einen irdenen Krug von der Anrichte, dessen Inhalt durch eine umgestülpte Schüssel vor Fliegen und Insekten geschützt war. »Sie ist heute morgen frisch aus der Milchkammer geholt«, versicherte Nan. »Doch wenn sie sauer geworden sein sollte . « Ehe sie sich ihrer Handlung bewußt wurde, hatte sie den Krug an den Mund gesetzt und den Inhalt probiert.

»Gut! Sie ist noch süß«, sagte sie mit zitternder Stimme. Blitzartig wurde sie sich darüber klar, was sie getan hatte. Sie blickte entsetzt auf den Krug und dann auf ihre Hand, als ob sie, wie George, befürchte, daß sie vor ihren Augen schwarz anlaufe. »Es kann dir nicht schaden«, versicherte ihr Fenton. »Du hast nur einen kleinen Schluck getrunken.«

Bestürzung lief durch den heißen Raum. Die Luft dieser Küche war wohl mit ekelhaften Gerüchen geschwängert, aber noch ausgeprägter war die Gegenwart des Bösen. Und all das Böse war verkörpert in der kleinen Person von Kitty Softcover. Unbekümmert goß Kitty die flüssigen Eier in die hellbemalte Porzellanschale. Dann fügte sie die Milch hinzu und verrührte die Mischung. Giles, der inzwischen mit einer Literflasche Sekt zurückgekehrt war, öffnete diese mit einem Korkzieher und stellte sie auf den Tisch.

Aus einer zerknitterten, aber prallen Papiertüte nahm Kitty vier Stückchen Hutzucker und warf sie in die Schale. Dann goß sie nach Augenmaß ein Viertelliter Sekt hinzu. »Hier ist die Sektmolke«, sagte sie schnippisch. »Nun trinkt davon!«

Mit diesen Worten trat sie zurück. Das Pendel der großen Uhr tickte laut, aber so langsam, daß die Zeit stillzustehen schien. Fentons nächster Schritt war so unerwartet, daß alle zurückscheuten und Lydia die Hand auf den Mund preßte. Er warf Giles die schwere Neunschwänzige Katze zu. Dann hob er mit beiden Händen die bunte Trinkschale auf, setzte sie an den Mund und nahm einen tüchtigen Schluck. Aus seiner Hosentasche zog er das blutbefleckte Taschentuch, mit dem er sich im Wirtshaus zum »Teufel« gesäubert hatte, und wischte sich den Mund ab.

»Ich verlange von keinem meiner Dienstboten etwas, was ich nicht selber tun würde«, erklärte er.

Sie starrten sich gegenseitig an. Ein solcher Gebieter verwirrte sie nur. Seltsamerweise war es wieder einmal Big Tom, der zuerst verstand.

»Gut!« brummte er und zog seine Hosen in die Höhe. Dann griff er nach der Schale.

»Nein!« gebot Fenton scharf. »Zurücktreten!« Big Tom gehorchte verdutzt. »Keine andere Person soll davon trinken außer einer.« Er machte eine so gebieterische Geste, daß Kitty zum Tisch rannte.

»Los, du Schlampe, trink, wie ich es getan habe!« befahl er. Kitty zögerte. Ihre weitaufgerissen Augen blickten forschend in sein Gesicht. Plötzlich hob sie die Schale, nahm ebenfalls einen tüchtigen Schluck und setzte sie wieder hin. Dann trat sie mit verschränkten Armen an die Vorrichtung, die man im Notfall als Küchenausguß bezeichnen konnte.

Dann ist der Trank also nicht vergiftet, dachte Fenton, oder etwa doch?

Tick! machte das langsame, schwere Pendel, und nach einer unendlich langen Zeit tack!

Fenton war durch den Tisch von Kitty getrennt. Giles stand nicht weit von ihr. Sein Gesicht unter dem hochstehenden roten Haar war fast grün. Fenton wagte es nicht, Lydia anzusehen. »Ich fürchte«, sagte er, »wir müssen etwa fünfzehn Minuten warten, bis sich etwaige Schmerzen zeigen.« Lachend fügte er hinzu: »Nanu, sind euch allen die Kinnbacken gelähmt? So schlimm ist die Sache nicht! Irgend jemand kann doch sicher eine lustige Geschichte erzählen und uns dadurch ablenken, wie?« Big Tom, der sein Schüreisen stets bereithielt, machte wieder einen kolossalen Sprung und tötete eine Ratte. Alle fuhren erschreckt zusammen, und Big Tom schien überrascht und verletzt, als sie ihn wütend anblickten. Nur Lydia lächelte ihm anerkennend zu. Er warf die Ratte in das Abflußrohr hinter Kitty, die sich nicht einmal umblickte. Tick. Eine Pause, die sich dehnte wie ein Gummiband. Tack. Fenton prüfte in Gedanken noch einmal das Beweismaterial. In dieser Schale - davon war er felsenfest überzeugt - , befand sich Arsenik. Judith Pamphlin, die er nicht schätzte, der er aber Vertrauen schenkte, hatte geschworen, daß sie jeden Tag die Zubereitung der Molke überwacht und sie dann zu Lydia hinaufgetragen habe, ohne angehalten oder abgelenkt worden zu sein. Also gut. Dann mußte das Gift unbedingt in einer der Ingredienzen sein, da sich keiner heute daran zu schaffen gemacht hatte. Es sei denn, der Giftmischer habe ein paar Tage ausgesetzt, wie es auch schon vorgekommen war .

Fenton ließ seine Augen durch den Raum schweifen. Er blickte zur Uhr auf der Anrichte, auf das Geschirr und die langen Holzlöffel. Ein unbestimmtes Gefühl nagte an ihm, ein Gefühl, daß bei der Zubereitung der Sektmolke etwas unterlassen oder unbemerkt geblieben war.

Tick. Und wieder dehnte sich das Gummiband bis zum Tack. Wohl ein dutzendmal wurde er von rein imaginären Schmerzen gefoltert. Noch einmal wanderte sein Blick zur Uhr. Vierzehn Minuten. Dann plötzlich kam ihm ein Geistesblitz; es war, als habe der talggetränkte Zapfen einer Zunderbüchse über seinen Verstand gekratzt.

»Ha, ich hab's!« rief er laut. »Daran hat's gelegen!« Er eilte zur Anrichte und holte sich einen der langen Löffel, mit dem er die gelblichweiße Mischung in der Schale gründlich umrührte. Dann blickte er zu Kitty hinüber. »Komm hierher!«

Kitty näherte sich dem Tisch wie hypnotisiert. »Nun trink davon!« gebot Fenton. »Nein, du erst!«

»Trink, potz Geck und kein Ende! Bis zur Neige!«

»Ich will aber nicht!« Fentons rechte Hand fegte zum Degengriff. Zum erstenmal erbleichte Kitty.

»Ich werde trinken«, murmelte sie.

Fenton trat zurück. Kitty umfaßte die Schale mit beiden Händen und hob sie langsam an die Lippen. Im Handumdrehen machte sie eine halbe Wendung, rannte ein paar Schritte und goß den Inhalt in den Ausguß, wobei die Porzellanschale zerbrach. Kitty stand mit dem Rücken zu den anderen und beugte sich noch weiter vor. »Giles, gib ihr einen Hieb mit der Peitsche!« Die Riemen mit den Stahlspitzen zischten. Fenton empfand keine Skrupel, als sie Kittys Körper trafen. Kleine rote Flecke und Rinnsale zeigten sich auf der Rückseite von Kittys Bluse, bis ihr dickes Haar herabfiel und sie verdeckte. Sie sank mit dem Gesicht nach unten gegen den Abfallhaufen unter dem Ausguß. »Es genügt!« sagte Fenton gelassen. »Bis wir entscheiden, was geschehen soll.«