Fenton nahm an, daß es dem alten Kavalier gefallen werde, und darin hatte er sich nicht getäuscht. Mr. Reeve stand ehrerbietig davor und nahm seinen breitkrempigen Hut ab. George, der sich einen Stuhl an der langen Tafel hervorzog und Platz nahm, kam sofort zur Sache. »Nick«, fragte er, »weißt du, was für einen Tag wir heute haben?«
Fenton wußte es sehr wohl. Das Datum jedes Tages notierte er in einem Buch, das er in der Schublade seines Schreibtisches verschlossen hielt. Obgleich er hoffte, daß durch Kittys Entlassung Lydia allen Gefahren entronnen sei, spürte er im Herzen, daß dies eine Illusion war.
»Heute haben wir«, entgegnete er, »den 19. Mai.«
»Hast recht!« stimmte George zu und klopfte mit der Hand auf den Tisch. »Heute morgen wurde Mylord Shaftesbury schmachvoll aus dem Rat Seiner Majestät entlassen und aus London beordert. Genau, wie du es prophezeit hast.«
Fenton blickte auf den polierten Tisch hinab. »Na und?« sagte er. »Die Nachricht«, erwiderte George, »ging wie ein Lauffeuer durch alle Wirtschaften und Kaffeehäuser. Nick, hörst du nicht das Zungengedresche derer, die das grüne Band tragen?«
»Ich kann's mir vorstellen. Aber worauf willst du hinaus?« Zögernd senkte George den Kopf, wobei die gelbe Feder auf seinem roten Hut auf und ab wippte.
»Nick, du gehst so selten in Gesellschaft. Wer sieht dich je beim Hofball in Whitehall oder in einem der anderen großen Häuser? Wer trifft dich woanders als in einer stinkigen Kneipe oder über den Büchern in deinem Studierzimmer? Und doch bist du ein so wunderbarer Degenfechter. Und doch erscheinst du plötzlich im letzten November als Redner und fesselst das Parlament wie ein Schauspieler sein Publikum. Und doch sagst du haargenau auf den Tag die Zukunft voraus!«
»Ich wiederhole, George, wozu dies alles?«
George würgte verlegen, während ihm unter seiner Perücke der Schweiß ausbrach. »Manche Narren nennen dich einen finsteren Hund, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat.« Fenton blickte ihn seltsam an.
»Nun wollen wir mal offen reden«, schlug George vor. »Wenn man auch arme verrückte Geschöpfe henkt, weil das Gesetz es noch verlangt, so wissen verständige Leute doch, daß dieser Geister- und Hexenspuk ein törichtes Hirngespinst unserer Altvordern ist.«
»Ja, und selbst wenn dem so ist?«
»Potz Geck! Die Sache liegt doch klar auf der Hand! Nick, du steckst eben tief im Vertrauen Seiner Majestät. Es ist ganz natürlich, daß du es vorher wußtest.«
»George, das ist nicht wahr.«
George warf ihm einen flüchtigen Blick zu und spielte mit seinem Reithandschuh. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Manche behaupten«, murmelte er, »daß ein unterirdischer Tunnel von deinem Haus zum Whitehall-Palast führt und dies der Grund ist, warum man dich dort nicht sieht.« George hielt inne und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Nick, verzeihe mir, ich will nicht spionieren.«
»Es gibt auch nichts zu spionieren, alter Freund. Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß ich nie ein Wort mit Seiner Majestät gewechselt habe, und ich bin ebensowenig fähig, die Zukunft zu weissagen, wie du selber!«
»Na, wenn du das sagst«, entgegnete George erleichtert, »glaube ich es dir. Und damit basta! Außerdem kann dir jetzt, wo Mylord Shaftesbury von London fort ist, noch keine Gefahr drohen .«
»Gefahr? Was für eine Gefahr?«
»Potz Geck! Meine vermaledeite schwatzhafte Zunge! Na, meinetwegen. Ich will's dir sagen. Entsinnst du dich noch deiner anderen Prophezeiungen im Green-Ribbon-Klub?«
»Es war irgendein Unsinn. Ich hab's vergessen.«
»Die anderen aber nicht, Nick. Sie behaupten, du habest prophezeit, daß die Papisten bald einen großen, blutigen Aufstand machen, uns die Kehlen abschneiden und London in Brand stecken würden.«
Fenton stand langsam auf.
Zuerst tobte und fluchte er. Dann ging er im Zimmer auf und ab, um Sir Nicks Drängen, die Oberhand zu gewinnen, im Keim zu ersticken.
»Solche Worte habe ich nicht gesprochen«, erklärte er schließlich in ruhigem Ton. »Die anderen behaupten ja genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Ich habe von einer Verschwörung gegen unschuldige Katholiken geredet, von denen viele eines blutigen Todes sterben würden.«
Der alte Mr. Reeve wandte zum erstenmal den Blick von dem Porträt und dem darunterhängenden Küraß ab. Sein aufgedunsenes Trinkergesicht wirkte unter dem weißen Haar grotesk. »Ich kann das bezeugen«, erklärte er. »Ebenfalls Lord George Harwell. Aber wer von den anderen?«
Er setzte sich auf einen Stuhl und richtete seine listigen alten Augen auf Fenton. Seine lange Degenscheide rasselte auf dem Fußboden.
»Diese Nachrichten, die George Harwell brachte, stammen zum größten Teil von mir. Ich bin ein Horcher, wie man sagt, ein gedungener Spion, der jetzt allerdings von Mylord Shaftesburys Partei enthüllt dasteht. Aber habt Ihr, mein junger Freund, schon mal über die Bedeutung dieser Dinge nachgedacht?«
»Nein, ich .«
Die entzündeten Augen waren immer noch mit sanftem, aber durchdringendem Ausdruck auf Fenton gerichtet. »Als Ihr in dem Raum da oben Mylord Shaftesburys Schicksal und Absichten aufdecktet«, fuhr Mr. Reeve fort, »waren alle über die Maßen vexiert, und ihre Gedanken gerieten in Verwirrung. Sie erinnern sich gut an den 19. Mai, da Ihr dieses Datum Mylord so oft unter die Nase gerieben habt. Aber woran können sie sich sonst erinnern? Selbst der ehrlichste Mann ist im benebelten Zustand seiner Sache nicht sicher. Kurz gesagt, sie haben eben das gehört, was Mylord Shaftesbury ihnen eingeredet hat. Und wenn Ihr, wie er behauptet, einen blutigen Papistenaufstand prophezeit habt - nun, dann liegt's auf der Hand, daß Ihr selbst darin verwickelt seid, vielleicht gar als ein Führer von Meuchelmördern. Weshalb sollte nicht auch Seine Majestät in den Plan eingeweiht sein? Mein guter Freund, wenn Mylord Shaftesbury schon stark genug wäre - ich bin überzeugt, daß dies nicht der Fall ist -, dann hättet Ihr einen Bürgerkrieg heraufbeschworen!« Fenton ging immer noch unruhig im Zimmer auf und ab. »Das ist doch nicht Euer Ernst?« bemerkte er ironisch.
Mr. Reeves Bacchusgesicht zeigte einen Ausdruck verdutzten Unwillens.
»Sir Nicholas«, sagte er, »merkt Ihr denn nicht, welches Verbrechen man Euch aufhalsen will?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hochverrat! Wollt Ihr Euch den Tower von innen besehen?«
Fenton blieb stehen und wandte sich ihm zu. »Ich - ich bin mir der Gefahr nicht unbewußt«, protestierte er. »Aber Eure Nachricht kommt so plötzlich und ist so beunruhigend, daß . daß .«
»Nun, das klingt schon besser! Man hätte denken können, Ihr kümmertet Euch keinen Pfifferling darum.«
»Was soll ich aber tun?«
»Nun, folgendes«, sagte Mr. Reeve lächelnd und trommelte leise mit den Fingern auf den Tisch. »Wenn Ihr uns heute die Wahrheit gesagt habt, ist die Sache ganz einfach. Ersucht um eine Privataudienz bei Seiner Majestät, was durchaus keine Schwierigkeiten bietet.«